PRO: WOLFRAM AXTHELM – Geschäftsführer des Bundesverband Windenergie (BWE) und des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE)
Es gibt jährlich wenige Großschadensereignisse an Windenergieanlagen. Sie erfahren angesichts der spektakulären Bilder regelmäßig eine starke mediale Wahrnehmung. Dies trifft auch auf die Havarie in Haltern am See zu. Der Zusammenbruch einer Anlage ist ein extrem seltenes Ereignis, dessen Ursache jetzt eingehende Untersuchungen klären müssen. Alle 22 der in Deutschland betriebenen Windenergieanlagen des gleichen Modells wie in Haltern sind zunächst abgeschaltet.
Derzeit produzieren in Deutschland 29 715 Windenergieanlagen sauberen CO2-freien Strom. Unter ihnen finden sich kleinere Anlagen mit bis zu 2 MW Leistung und einer Gesamthöhe von bis 150 m genauso wie neue, leistungsfähigere Anlagen mit Höhen von bis zu 250 m.
Windenergieanlagen unterliegen nach der Errichtung regelmäßigen Prüfungen durch zertifizierte Experten. Das Regelwerk zur Überprüfung der Windenergieanlagen wird dabei kontinuierlich weiterentwickelt. Typenprüfung, Genehmigung und Bauüberwachung stehen am Anfang. Nach der Inbetriebnahme sind regelmäßige Prüfzyklen an der gesamten Anlage vorgeschrieben, die zu dokumentieren sind. Die Wartung erfolgt gemäß Pflichtenheft.
Bei der alle 2 bis 4 Jahre wiederkehrenden Prüfung werden alle standsicherheitsrelevante Komponenten begutachtet. Zusätzlich gibt es Prüfungen mit dem Fokus auf Arbeitssicherheit z. B. der elektrischen Anlagen von Aufzügen und Aufstiegshilfen, Druckbehältern und Brandschutzanlagen. Die hohen Standards bei der Anlagenherstellung und immer weiter professionalisierte Service- und Wartungsleistungen stellen heute sicher, dass die Anlagen eine technische Verfügbarkeit von etwa 98 % erreichen.
Im Vergleich zu den inzwischen fast 30.000 Anlagen liegt die Zahl von Großschadensereignissen im Promillebereich. Eine bundesweite Statistik gibt es nicht. Der Bundesverband Windenergie erfasst seit 2005 Großschäden. In dieser Zeit wurden insgesamt 7 umgebrochene Anlagen, 28 Rotorblattabbrüche und 57 Brände gezählt. Häufungen auf Anlagentypen, Alter oder Standorte sind dabei nicht signifikant. Windenergieanlagen gehören so zu den sichersten Bauwerken in unserer Kulturlandschaft.
CONTRA: HUBERTUS NOLTE – Geschäftsführer einer forstwirtschaftlichen Handels- und Dienstleistungsgesellschaft, Mitglied des Kreistags Paderborn (CDU)
Die Bilder brennender oder zerborstener Windindustrieanlagen (WIA) sind spektakulär und finden schnell ihren Weg in die mediale Berichterstattung. Hersteller und Betreiber betonen in solchen Fällen immer wieder die „relativ kleine“ Zahl von Havarien und gehen erst einmal auf Ursachenforschung.
Für die Menschen auf dem Land, die in der Nähe von WIA wohnen, sind die Bilder aus Haltern oder Neuenkirchen verheerend. Sie schüren die Angst, dass so etwas vor der eigenen Haustür passieren kann. Nicht ohne Grund: Zum einen werden die Anlagen immer älter, zum anderen kommen weitere, deutlich größere Anlagen hinzu. Sie werden aus einer Vielzahl von Bauelementen vor Ort zusammengebaut. Dies birgt zusätzliche Gefahren, zumal Havarien auch durch menschliches Versagen, wie 2018 bei Borchen, verursacht werden.
2019 titelte die Wirtschaftswoche: „Sicherheitsrisiko für Mensch und Umwelt“ und bemängelte die fehlende Unfall-Statistik bei Windrädern. Hier fehlen also amtliche Quellen.
Zudem vergeben WIA-Betreiber gerne Vollwartungsverträge an den Hersteller, die auch Kontrollen einschließen. Der Abstand der Prüfungsintervalle kann bis zu 4 Jahre betragen. Dieser Abstand ist viel zu lang. Zudem fehlt die Objektivität. VW prüft seine PKW auch nicht selbst.
Eine besondere Gefahr geht von brennenden WIA aus. Das ZDF stellte 2020 die Frage, ob die Brände auch mangels ausreichender Wartung entstehen. Zur Brandbekämpfung gäbe es Löschsysteme. Sie sind allerdings keine Pflicht. Die Feuerwehr kann nur machtlos zusehen und das Umfeld sichern. Brennende Teile können je nach Windstärke mehrere 100 m weit fliegen. Werden WIA in Wäldern aufgebaut, wie derzeit in NRW diskutiert, kann dies zum Beispiel in trockenen Sommern dramatische Folgen haben.
Windradhavarien sind keine Bagatellschäden. Das Risiko nimmt zu und erfordert einen deutlich verbesserten, jährlichen Prüfaufwand, ausreichenden Brandschutz und Sicherheitszonen. Der Schutz von Mensch und Umwelt kann nicht eine Frage von Kosten sein. Warnende Schilder, wie „Vorsicht Eiswurf“, nehmen keine Ängste und schaffen keine Akzeptanz.