PRO: BERNHARD KRÜSKEN, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Zu den Schlussfolgerungen aus dem Ukraine-Krieg ist im Grunde alles gesagt und muss hier nicht wiederholt werden. Versorgungssicherheit für Energie, Rohstoffe und Lebensmittel ist die neue strategische Aufgabe für Deutschland und Europa. Dies fällt nicht vom Himmel, sondern muss geschaffen und organisiert werden – wenn nicht in der Agrarpolitik, wo bitte denn sonst?
Dass die Agrarministerkonferenz in der vergangenen Woche noch immer keine abschließende Entscheidung zur Aussetzung von Stilllegungs- und Fruchtwechsel-Regelungen zustande gebracht hat, ist für sich genommen schon eine Zumutung für alle, die mit den GAP-Regeln arbeiten müssen, und grenzt an Arbeitsverweigerung. Unabhängig davon ist „keine Entscheidung“ auch eine Entscheidung, nämlich darüber, dass auf mindestens 200.000 ha keine direkte oder indirekte Lebensmittelerzeugung stattfindet und damit die angespannte Versorgungssituation verschärft wird.
Stilllegungsregeln aussetzen
Wer verstanden hat, dass Erzeugung und Flächennutzung, Märkte und Warenströme nach dem Prinzip kommunizierender Röhren funktionieren und landwirtschaftliche Erzeugung immer mit Nutzungskaskaden und Koppelprodukten arbeitet, kann sich auch populistisches Schwadronieren nach dem Motto „Tierhaltung und Bioenergie abschaffen“ sparen.
Der Kern des Problems liegt aber nicht in der Frage, ob einige 100.000 ha mehr oder weniger Anbau in Europa beim Welternährungsproblem helfen, sondern in der überholten Grundannahme, dass stumpfes Stilllegen von Flächen eine dauerhaft sinnvolle Lösung sein kann. Natürlich sind die Aufgaben beim Schutz von Klima und Artenvielfalt nicht am 24. Februar 2022 verschwunden. Aber sie müssen besser und intelligenter mit der alten, aber neu ins Bewusstsein gerückten Aufgabe der Versorgungssicherheit kombiniert werden.
Deshalb ein klares Plädoyer: Stilllegungsregeln aussetzen und die europäische Erzeugung nicht auslagern, sondern stärken! Wer in der Sonntagsrede von der Zeitenwende redet, muss auch in der Agrarpolitik konsequent sein.
CONTRA: JOHANN RATHKE, Koordinator für Agrarpolitik beim World Wide Fund for Nature Deutschland (WWF)
Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die weltweite Versorgungslage sind unbestreitbar. Darauf schnellstmöglich zu reagieren ist zwingend notwendig. Dabei gilt in erster Linie, die Ausfuhr ukrainischen Getreides zu ermöglichen und ausreichende Finanzhilfen bereitzustellen, um die Notversorgung bei gestiegenen Preisen zu gewährleisten.
Gleichwohl muss die landwirtschaftliche Produktion stärker auf die Erzeugung von Getreide ausgerichtet und dessen Verwendung angepasst werden. Unmittelbar wirksam wäre zum Beispiel, die Herstellung von Agrokraftstoffen zu stoppen. Auch ließe sich durch Anpassung der Handelskriterien deutlich mehr Weizen für die Brotherstellung verwenden. Große Flächenpotenziale entstünden auch durch die Senkung des Konsums tierischer Erzeugnisse und somit des Bedarfs an Futtermitteln, wenn auch eher mittel- bis langfristig.
Brachflächen für langanhaltende Biodiversität
Von zweifelhaftem Mehrwert ist die Idee, auf Brachflächen zu verzichten. Der zusätzliche Ertrag wird eher gering eingeschätzt, da Brachen meist auf Flächen mit niedrigem Ertragspotenzial liegen. Ziemlich sicher dagegen ist der ökologische Schaden, der durch das Aussetzen von „Vorschriften zur Erhaltung nicht produktiver Landschaftselemente auf Ackerland“ (GLÖZ 8) besonders in ausgeräumten, intensiv genutzten Ackerbauregionen entstünde. Gerade mehrjährige Brachen sind eine der effektivsten Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität mit positiven Effekten auf Bodenbrüter, Ackerwildkräuter und Insekten sowie zur Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit, zur Vermeidung von Erosion oder als Puffer zur Aufnahme überschüssiger Nährstoffe.
Das Aussetzen von GLÖZ 8 ist also die schlechteste Option. Der Verdacht einer Scheindebatte liegt nahe, die eher der politischen Profilierung dienen soll. Letztlich offenbaren sich aber wichtige Fragen, die weit über GLÖZ 8 hinausgehen:
- Was heißt Ernährungssicherheit in Zeiten zunehmender Produktionsunsicherheit?
- Welche Rollen spielen globale Abhängigkeiten?
- Wie können Agrarsysteme auch außerhalb Europas gestärkt werden, um Importabhängigkeiten zu reduzieren?
Zur Beantwortung dieser und vieler anderer Fragen braucht es vor allem einen ehrlichen und sachlichen Diskurs.
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