Elisabeth Hoffmann und ihr Mann Ulrich (Namen von der Redaktion geändert) haben vier Kinder im Alter von 12 bis 20 Jahren. „Wir können uns nicht beklagen, im Großen und Ganzen läuft es ganz rund“, lacht die 46-Jährige. Und doch gibt es immer mal Reibungspunkte im Familienalltag, die nicht so harmonisch ablaufen. „Mich nervt es zum Beispiel, wenn ich samstags morgens im Haushalt arbeite und die Kinder liegen bis mittags im Bett“, sagt Elisabeth Hoffmann. Sie wünscht sich beim Aufräumen und Putzen mehr Unterstützung von ihren Kindern.
Ausschlafen ist wichtig
„Dass Jugendliche am Wochenende bis mittags im Bett liegen, hängt mit den Hormonen zusammen“, erklärt Sozialpädagogin Marlene Alshut aus Meschede im Hochsauerlandkreis. Die 36-Jährige bietet Beratung und Coaching für Kinder, Jugendliche und Familien an. Bei Erwachsenen wird das Schlafhormon Melatonin abends etwa gegen 20 Uhr ausgeschüttet und gegen 22 Uhr geht’s dann müde ins Bett. Bei Jugendlichen wird das Hormon, das den Schlaf-wach-Rhythmus steuert, im Schnitt erst gut zwei Stunden später ausgeschüttet. Sprich gegen 22 Uhr. Das ist der Grund, warum Jugendliche abends fit sind und am Morgen teilweise müde oder auch launisch.
Um den Schlafmangel der Woche, für den ein Jugendlicher nichts kann, wieder aufzuholen, sollten Eltern ihre Kinder am Wochenende wenn möglich ausschlafen lassen. „Legen Sie Aktivitäten lieber auf den Nachmittag und bestehen Sie nicht darauf, dass die Jugendlichen um 8 oder 9 Uhr am Frühstückstisch sitzen müssen“, rät sie. Der „Jetlag“, also Schlafmangel, möchte ausgeglichen werden.
„Über die körperlichen und hormonellen Veränderungen in der Pubertät wissen viele Menschen Bescheid“, beobachtet die Sozialpädagogin. Die kognitiven Veränderungen, also die Umbauprozesse des Gehirns, sind oft nicht so bekannt. Doch wenn Mütter und Väter die Vorgänge verstehen, kann das den Alltag mit Jugendlichen durchaus etwas entspannen, verspricht Marlene Alshut.
„Baustelle“ im Gehirn
Das Gehirn gleicht in der Pubertät, die ungefähr mit neun oder zehn Jahren beginnt, in etwa einer Großbaustelle. „Ein Teenie überprüft dann unter anderem, ob die Werte, die er in seiner Kindheit mitbekommen hat, für ihn wichtig sind“, weiß Marlene Alshut.
Die verschiedenen Hirnbereiche unterliegen großen Veränderungen. Als Erstes ist das Gefühlszentrum, die Amygdala, sehr aktiv. Das ist der Grund, warum Jugendliche in der Lage sind, innerhalb weniger Minuten dreimal die Gefühlswelt zu ändern. Eltern sollten versuchen, möglichst ruhig und gelassen zu bleiben (Tipps dazu finden Sie im Kasten „So geht’s für Eltern leichter durch die Pubertät ihrer Kinder“). Denn oft verfliegt ein Wutanfall schneller, als er gekommen ist.
Der präfontale Kortex, der Bereich, der beispielsweise für das rationale Denken und fürs Konsequenzen abschätzen verantwortlich ist, ist hingegen erst als Letztes voll ausgereift. „Mit 17 Jahren ist das rationale Denken wieder besser möglich, erst zwischen 20 und 24 Jahren ist es dann voll entwickelt“, erklärt Marlene Alshut.
Baut ein Teenie beispielsweise mal Mist und die Eltern fragen sich, warum er das gemacht hat und ob er nicht nachdenkt, dann lässt sich genau das mit dem Umbau des Gehirns begründen. Der Jugendliche kann manchmal wirklich nicht rational über die Konsequenzen seines Handelns nachdenken.
Chaos im Zimmer
Was Elisabeth Hoffmann manchmal so richtig auf die Palme bringt, ist das Chaos in den Zimmern ihrer Kinder. „Sie ziehen die Kleidung aus und lassen sie einfach auf der Erde liegen. Oft bringen sie den Wäscheberg dann in die Waschküche, wenn ich gerade die ganze Wäsche fertig habe“, erzählt die vierfache Mutter.
Marlene Alshut gibt Eltern den Tipp, sich ihr eigenes bisheriges Verhalten anzuschauen. „Wenn ich den Kleinen bisher alles hinterhergeräumt habe, muss ich mich nicht wundern, wenn sie es später nicht alleine machen“, sagt die Expertin. Denn Jugendliche können nur Dinge in ihrem Gehirn abrufen, die sie vor Beginn der Pubertät sehr regelmäßig gemacht haben. Wenn sie manche Sachen nur ab und zu erledigt haben, ist die Fähigkeit, sich das zu merken, je nach Thema schwierig. Beim Gehirnumbauprozess läuft das nach dem Prinzip „use it or loose it“.
„Als Eltern darf man sich daher eingestehen, dass man dem Kind vielleicht nicht von klein auf beigebracht hat, dass es seine Sachen wegräumt. Das nimmt den Druck etwas raus“, rät Marlene Alshut. Und wenn die Eltern dadurch etwas entspannter sind, wird das Kind kooperativer werden. Bei dem Gefühl „Mama-nerv-mich-nicht“ speichern Kinder nämlich nichts ab.
Statt vorwurfsvoll zu sagen „schon wieder liegt deine Jacke auf der Erde“ führen Ich-Botschaften schneller ans Ziel: „Ich sehe, dass deine Jacke auf der Erde liegt. Bitte häng’ sie an die Garderobe.“
Aussagen wie „Du bist …“ – zum Beispiel unordentlich, zickig oder chaotisch – sollten Eltern komplett vermeiden. Denn sie werden irgendwann zur Wahrheit der Kinder. Besser positive Du-bist-Botschaften senden wie „Du bist wertvoll“ oder „Du bist wundervoll“.
Elisabeth Hoffmann hat vor einiger Zeit mit ihren Kindern eine Abmachung getroffen. Die Mutter wird weiterhin die Wäsche waschen und Socken und Unterwäsche zusammenlegen. Um die Oberbekleidung kümmern sich die Kinder nun selbst.
Wäsche selbst bügeln
„Ich lege jedem Kind die saubere Wäsche in einen Wäschekorb. Fürs Bügeln und Wegräumen sind sie nun selbst verantwortlich“, sagt Elisabeth Hoffmann. Bei ihren vier Kindern klappt das unterschiedlich gut. Während zwei Kinder die Wäsche bügeln – manchmal auch noch morgens vor der Schule –, tragen die anderen beiden die Kleidung auch mal ungebügelt aus dem Wäschekorb. Für Elisabeth Hoffmann ist das in Ordnung. Schließlich hat sie nun deutlich weniger Arbeit.
Und was ist mit der Hilfe beim Putzen, Aufräumen und Mülleimer leeren? Oft werfen Eltern ihren Kindern vor, dass sie im Haushalt nicht genug mit anpacken. Auch hier hat Marlene Alshut einen Tipp: „Vermeiden Sie das Wort ,helfen‘. Sagen Sie Ihren Kindern lieber, dass Sie den Haushalt zusammen machen, weil Sie hier gemeinsam leben und sich alle wohlfühlen möchten.“ Bei dem Wort „helfen“ wirkt es so, als wäre alles die Aufgabe der Eltern.
Und weil Kinder noch nicht sehen, was zu tun ist, kann ein Haushaltsplan helfen. „Setzen Sie sich gemeinsam hin und überlegen Sie, wer welche Aufgabe übernehmen kann und auch, welche Konsequenz es für alle hat, wenn ein Familienmitglied seine Aufgaben schludern lässt“, gibt die Expertin einen Tipp.
Auch wenn Elisabeth Hoffmann sich samstags morgens mehr Unterstützung im Haushalt wünscht, so weiß sie, dass sie auf ihre Kinder zählen kann, wenn auf dem Hof Unterstützung gebraucht wird.
So geht’s für Eltern leichter durch die Pubertät ihrer Kinder
Marlene Alshut hat für die gefühlt anstrengende Zeit der Pubertät Tipps:
Mit Humor: Eltern dürfen sich immer wieder daran erinnern, dass Kinder niemals gegen ihre Eltern, sondern immer für sich selbst handeln. Für ihr späteres Leben müssen sie „Nein“ sagen lernen. Deshalb sollten Mütter und Väter das Verhalten ihrer Kinder nicht persönlich nehmen, sondern lieber mit Humor.
Eigene Mitte finden: Um leichter mit den Gefühlsschwankungen der Kinder umzugehen, ist es wichtig, dass Eltern ihre eigene Mitte finden. Das gelingt, indem sie regelmäßig etwas für sich machen wie Sport, Yoga, Meditation, Wandern, Radfahren oder lange Spaziergänge in der Natur.
Loslassen und vertrauen: Jugendliche wenden sich irgendwann von ihren Eltern ab. Sie brauchen Freiraum. Schließlich sind sie auf dem Weg, erwachsen zu werden. Jugendliche mögen es nicht, wenn sich Eltern zu viele Sorgen machen. Wichtig ist, die Kinder nicht zu kontrollieren, stattdessen ihnen vertrauen.
Eigenverantwortung: Eltern dürfen sich fragen, warum sie von manchem Verhalten so stark genervt sind. Statt die Kinder immer wieder anzumeckern, sollten sie lieber in Ruhe das Gespräch suchen.
Vorbild sein: Kinder kopieren uns. Das größte Werkzeug in der Erziehung ist also, den Kindern das Verhalten vorzuleben, was man sich später von ihnen wünscht.
Privatsphäre: Es ist wichtig, den Kindern ihre eigene Privatsphäre zuzugestehen. Also immer erst an die Tür klopfen und das „Herein“ abwarten, die Kinder alleine duschen lassen und am besten keinen Kommentar abgeben, wenn sie sich stundenlang im Spiegel betrachten.
Selbstwert erhöhen: Eltern dürfen die Stärken ihrer Kinder nutzen und die Jugendlichen mit ihren Fähigkeiten einbeziehen. Bei dem Kind entsteht dann das Gefühl „Toll, Mama/Papa fragen mich. Meine Meinung/Hilfe ist ihnen wichtig“. Auch gelegentliche Aktionen wie Kletterpark oder Escape-Room fördern den Selbstwert.
Fehler zulassen: Auch wenn es für Eltern schwer auszuhalten ist, sollten sie ihre Kinder einfach mal „machen lassen“. Denn ein Kind muss bei manchen Dingen selbst die Erfahrung sammeln.
Beziehung statt Erziehung: In der Pubertät ist Erziehung nicht mehr möglich. Eltern dürfen stattdessen auf Augenhöhe gehen, für ihre Kinder da sein und echtes Interesse zeigen.