Eine Abwrackprämie für Dörfer?

Menschen fehlen. Nur zwei Häuschen, sechs Windräder, ein paar Bäume und ein Bus zieren als stilisierte Grafik die Umschlagseite einer Dorf-Studie, die seit kurzem für Wirbel sorgt. Ihr Titel: „Vielfalt statt Gleichwertigkeit – was Bevölkerungsrückgang für die Versorgung ländlicher Regionen bedeutet“.

Herausgegeben wurde das 76-seitige Werk vom „Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung“, einer 2000 gegründeten gemeinnützigen Stiftung. Sie hat sich zur Aufgabe gesetzt, das Bewusstsein für den demographischen Wandel zu schärfen und Konzepte zur Lösung zu erarbeiten. Die Stiftung wird vom Wissenschaftsjournalisten Dr. Reiner Klingholz geleitet und finanziert sich wesentlich aus Mitteln der Wirtschaft.

Abwärts auf dem Land?

Die Dorf-Studie beschreibt facettenreich und mit vielen Daten den demographischen Wandel und dessen Folgen: „Viele ländliche Gebiete sowie Klein- und Mittelstädte bluten aus, denn dort sinkt die Wirtschaftskraft, während die Bedürftigkeit vor allem der älteren Bewohner zunimmt. Letztere benötigen andere Versorgungsstrukturen – mehr Ärzte, Pflegedienste oder mobile Einkaufsmöglichkeiten. Sie sind zudem seltener erwerbstätig, wodurch die lokalen Steuereinnahmen sinken.“ Und weiter: „Nicht nur die Kosten für technische Infrastrukturen wie Wasser- und Abwassersysteme steigen, auch der Betrieb von Schulen, Arztpraxen, Supermärkten oder Krankenhäusern rechnet sich häufig nicht mehr. Zusätzlich sinken die Immobilienpreise, und selbst neu gebaute Häuser können ihren Wert nicht halten.“ Demografisch stark schrumpfende Gegenden seien „abhängig von Transferleistungen“.

In seiner Studie fordert das Berlin-Institut für den ländlichen Raum

• eine dezentrale Abwasserversorgung bzw. die Förderung von Kleinkläranlagen,

• eine „intelligente Vernetzung“ verschiedener Verkehrsmittel,

• einen Stop des Straßenausbaus „vor allem in ländlichen Gebieten mit geringen wirtschaftlichen Aktivitäten“,

• die Förderung von Dorfläden oder einer mobilen Lebensmittelversorgung, sowie

• die Ergänzung der Arztpraxen um „nicht-ärztliche Praxisassistenten, mobile Arztpraxen, Zweigpraxen oder medizinische Versorgungszentren“.

Diese Vorschläge sind wenig originell. In Nordrhein-Westfalen wird vieles davon längst umgesetzt, wie die Wochenblatt-Serie „Dörfer im Wandel“ seit März dieses Jahres beleuchtet.

Keine "gleichwertigen Lebensverhältnisse" mehr?

Zwei Forderungen des Berlin-Instituts aber bergen Sprengstoff in sich:

• Für Dörfer „in Schrumpfgebieten“ solle es eine Möglichkeit zur Schließung geben, wenn die Abwanderung stark und die Versorgung unzureichend sei – „und wenn die verbleibenden Bewohner mit Förderprogrammen zu einem Umzug bewogen werden können“ Also eine Art Abwrackprämie für Dörfer?

• Der Auftrag des Grundgesetzes, wonach der Bund für „gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland“ zu sorgen hat, solle gestrichen werden. „Wäre es nicht besser, die schwächelnden Regionen aufzugeben, hier ökologische Ruhezonen zu schaffen und mehr in stabile Gebiete zu investieren? Oder soll weiterhin Geld bis in jeden Winkel der Republik gepumpt werden, um in der gesamten Fläche ein hohes Versorgungsniveau zu garantieren?“

Geld also eher nach Berlin als nach Bellersen lenken? Eher nach Wilmersdorf als nach Wilnsdorf? Die Leser auf dem Land wissen nun zumindest, was es mit dem Wohlfühl-Titel der Studie – „Vielfalt statt Gleichwertigkeit“ – tatsächlich auf sich hat.

Auf dem „Tag der Dörfer“, den die Regionale Südwestfalen 2013 kürzlich in Bad Berleburg veranstaltete, löste die Studie erhebliche Kritik aus. „Ziemlich sauer“ zeigte sich Hildegard Schröteler-von Brand, Dekanin der Universität Siegen und Kennerin der ländlichen Entwicklung. Die Handlungsempfehlungen würden bereits jetzt vielerorts in Südwestfalen umgesetzt – „nur leider wurde das nicht berücksichtigt“.

„Wir werden den demographischen Wandel nicht aufhalten können“, räumte der Berleburger Bürgermeister Bernd Fuhrmann ein, „aber wir können Ideen entwickeln, damit umzugehen. Genau das passiert in unserer Stadt und in Südwestfalen.“

„Eine Unverfrorenheit“

Laut „Westdeutscher Allgemeiner Zeitung“ argumentierte der Mescheder CDU-Bundestagsabgeordneten Patrick Sensburg: Auf dem Land seien die Infrastrukturkosten tatsächlich höher. Aufgrund des Zusammenhalts der Familien und des hohen ehrenamtlichen Engagements in den Vereinen entstünden aber unter dem Strich „wesentlich niedrigere Sozialkosten als in Ballungsgebieten“. Diesen Menschen zu sagen, sie sollten ihre Dörfer aufgeben, sei eine „Unverfrorenheit sondergleichen“. – Es dürfte nicht das letzte Wort in der Dorfdebatte bleiben. Str.