Wochenblatt-Leser Robert U. aus K fragt: Ein Wirtschaftsweg mit Böschung der Gemeinde grenzt an meinen Acker. Auf der Böschung wachsen Eschen und Sträucher, überwiegend Schlehen. Die Äste wuchern teils mehr als 3 m in meine Fläche. Kann ich die Gemeinde zwingen, den Bewuchs zurückzuschneiden, wenigstens bis an die Grenze? Was kann ich sonst noch tun?
Heinrich Barkmeyer, Nachbarrechtsexperte von Wald und Holz NRW rät: Der Wirtschaftsweg ist vermutlich ein öffentlicher Weg. Deshalb gelten die Regelungen des Straßen- und Wegegesetzes NRW. § 32 Abs. 2 besagt, dass die Eigentümer von Grundstücken an öffentlichen Straßen die Einwirkungen von Pflanzungen im Bereich des Straßenkörpers und der Nebenanlagen und die Maßnahmen zu ihrer Erhaltung zu dulden haben.
Straßenbaubehörde informieren
Wenn Sie als Nachbar Äste oder Wurzeln von Straßenbäumen abschneiden wollen, müssen Sie dies der Straßenbaubehörde bzw. der Gemeinde vorher anzeigen. Demgegenüber regelt § 910 BGB, dass der Eigentümer eines Grundstücks Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten kann. Das Gleiche gilt für herüberragende Zweige, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt. Dem Eigentümer steht dieses Recht nicht zu, wenn etwa die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht oder kaum beeinträchtigen.
Rechtsprechung erlaubt Abschneiden
Vom reinen Wortlaut her hebelt die straßenrechtliche Regelung („Duldungspflicht“) das Recht des Grundbesitzers nach dem BGB, vom Nachbarn die Beseitigung des Überhangs zu verlangen, aus. Mit dieser Konkurrenz hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in einer Entscheidung vom 18. September 2000 befasst und dazu festgestellt: Eine Duldungspflicht derart, dass völlig ungehemmter Überwuchs vom privaten Grundstücksnachbarn hinzunehmen sei und ihm nicht einmal in extremen Überwuchsfällen das Recht aus § 910 BGB zustehen solle, könne nicht im öffentlichen Interesse liegen. Zudem bestehe seitens der Gemeinden die Pflicht, auf die Interessen der Anlieger an öffentlichen Wegen und Straßenkörpern Rücksicht zu nehmen, und zwar unabhängig vom Nachbarrecht.
Die Rechtsprechung tendiert deshalb unter verfassungskonformer Auslegung des § 32 Straßen- und Wegegesetz NRW dazu, bei Überwuchs ein privatrechtliches Abschneiderecht zuzubilligen (so auch das Oberverwaltungsgericht Münster im Urteil vom 21. September 1999).
Gemeinde ansprechen
Was bedeutet dies für Ihren Fall? Weil die Äste und Büsche ganz erheblich in Ihren Acker gewachsen sind und Sie den Rand nicht mehr bewirtschaften können, steht Ihnen das Recht zu, den Überhang zu beseitigen, obwohl es die öffentlich-rechtliche Duldungspflicht gibt. Doch Sie sollten den Rückschnitt vor Beginn der Gemeinde (Ordnungs- oder Bauamt) anzeigen. Sprechen Sie eventuell mit dem Leiter des Bauamtes. Vielleicht ist die Gemeinde ja bereit, sich an einer gemeinsamen Aktion zu beteiligen oder einen Teil des Überhanges mit eigenem Gerät zu beseitigen.
(Folge 13/2022)