Pubertät: Kontra aus Prinzip

Auf dem Weg zum Erwachsenwerden gleicht das Gehirn einer Großbau- stelle. Das reicht für Zündstoff im alltäglichen Zusammenleben.

Kinder in der Pubertät: Plötzlich wissen sie nicht mehr, wie der Schließmechanismus der Spülmaschine funktioniert. Ähnlich verhält es sich mit Kleiderhaken und Schuhschränken.

Das Kinderzimmer gleicht einem Biotop. Lüften und Aufräumen sind Fremdwörter und die Aufforderung dazu ist eine Zumutung. Der Alltag wird bestimmt durch Computerspiele, Hairstyling, Schmuck und Körperkult. Das andere Geschlecht wird attraktiv. Angesagt sind Feten und Discobesuche. Da dürfen schließlich alle hin. Die Risikobereitschaft, Alkohol und Drogen auszuprobieren, steigt. Schule ist doof und zum Lernen fehlt die Lust. Man kann alles, weiß alles – und vor allem besser.

Eltern erkennen ihr Kind häufig nicht wieder und sorgen sich: „Was haben wir denn falsch gemacht?“ Antworten darauf finden Dipl.-Sozialpädagogin Grit Wunderlich aus Kassel und Björn Tharun, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie aus Höxter. Die Experten informierten im Bildungszentrum Weseregge in Brakel zum Umgang mit pubertierenden Jugendlichen.

Teenager besser verstehen

Kinder kommen heute immer eher in die Pubertät. Bei Mädchen beginnt sie zwischen dem 8. und 14. Lebensjahr. Jungen sind etwa zwei Jahre später dran. Eltern haben nichts falsch gemacht, wenn ihr Kind plötzlich ein pubertäres Verhalten an den Tag legt. „In der Regel haben Sie bereits eine tragfähige Beziehung zu Ihrem Kind aufgebaut. Das ist ein fruchtbares Fundament“, sagt Grit Wunderlich.

Als Erklärung für pubertierendes Verhalten nennt die Dipl.-­Sozialpädagogin wachstumsbedingte, physiologische Änderungen im Gehirn, die bis weit über das 20. Lebensjahr hinaus andauern können. Das Gehirn befindet sich in einer Art Dauerbaustelle, in der überflüssige Nervenverbindungen gekappt werden. „Etwa ein Drittel der Dopaminrezeptoren gehen im Laufe der Pubertät verloren“, informierte Grit Wunderlich. Damit lasse sich häufig erklären, warum Teenager lustlos und antriebslos sind.

Wahrnehmung und Denkvorgänge ändern sich. Sie treffen viele Entscheidungen emotional und spontan. Grundlegende Wertvorstellungen der Eltern stellen sie infrage und setzen sich über diese hinweg. Grit Wunderlich sieht in dem Verhalten Pubertierender eine Chance für neue Beziehungsformen. Eltern können ihren Kindern Orientierung geben, indem sie sich mit ihnen auseinandersetzen.

Goldenen Mittelweg finden

Teenager haben häufig mit ihren zwiespältigen Gefühlen zu kämpfen. Es fehlt ihnen an Stetigkeit. Das müssen Eltern akzeptieren. Wichtig sei eine Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle, zwischen Loslassen und Festhalten zu finden. „Lassen Sie Raum für Eigenständigkeit und seien Sie gleichzeitig konsequent“, sagte Grit Wunderlich. „Setzen Sie Grenzen. Stellen Sie Regeln auf oder formulieren Sie Vereinbarungen – auch schriftlich. Fordern Sie Verantwortlichkeiten ein. Senden Sie klare Botschaften und seien Sie konkret.“

Und kochen die Emotionen einmal hoch, dann sei es am besten, einmal durchzuatmen und aus der Situation herauszutreten. Das gibt Teenagern Orientierung, entlässt sie aber nicht aus der Verantwortung für ihr Verhalten. Bei alledem sei es wichtig, fair zu bleiben. Das Verhalten des Kindes darf kritisiert werden, nicht aber das Kind als Person.

Schädlicher Drogenkonsum

Jugendliche gehen schneller Risiken ein, ohne sich der Tragweite darüber bewusst zu sein. Dazu zählt auch der Konsum von Alkohol und Drogen. Häufig spielen Neugierde und Gruppenzwang eine Rolle. Doch der Konsum kann zum Problem werden. Dies betrifft öfter Jugendliche, die wenig selbstbewusst sind, die dazu neigen, ihre Bedürfnisse sofort befriedigt zu bekommen und sich schnell frustrieren lassen.

Häufig haben sie nicht gelernt, ihre Probleme konstruktiv zu lösen, und können ihr Leben schlecht organisieren. Eine Rolle können aber auch ungeklärte Zukunftsperspektiven spielen oder Probleme in Schule, Familie und im Freundeskreis. Nicht selten fehlt ihnen auch die emotionale Zuwendung der Eltern. Viele Faktoren spielen eine Rolle, warum ein Kind süchtig werden kann.

Verschwundenes Geld, nicht wieder auffindbare Wertsachen, wiederholte Kontakte zur Polizei aufgrund von Diebstahl oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sollten ebenfalls hellhörig machen. „Man muss sich immer das Gesamtbild anschauen“, sagte Mediziner Björn Tharun. Gefährlicher Konsum liege vor, wenn er regelmäßig erfolge und zu körperlichen oder psychischen Problemen führe.

Gutes Vorbild sein

Eltern empfiehlt er, Vorbild zu sein und sich für das Freizeitverhalten und die Freunde der Kinder zu interessieren, um mögliche Schwierigkeiten erkennen zu können. Den Konsum von Alkohol und Drogen zu verbieten, bringe meist keinen Erfolg. Zielführender sei, sich bestmöglich über Drogen und Alkohol und eine damit verbundene Auseinandersetzung zu informieren. Bei Bedarf sollten Eltern Hilfe suchen, zum Beispiel bei einer Sucht- und Drogenberatungsstelle. LHo

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Wochenblattausgabe 50/2015.