Es tut sich was in der Krebsforschung. Chemotherapie, Bestrahlung und Operation haben noch immer einen hohen Stellenwert. Gleichzeitig etablieren sich aber neue Therapien, die teils besonders wirksam oder schonender als die klassischen Methoden sind. Derzeit lassen unter anderem Therapien mit Bispezifischen Antikörpern und mit Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten, sogenannte ADCs, auf Heilung oder auf eine längere Überlebenszeit hoffen.
Für wen geeignet?
Die Wirksamkeit dieser neuen Therapiemöglichkeiten hängt von der Art der Krebserkrankung und der Situation ab, sagt Prof. Dr. Georg Lenz, Direktor der Medizinischen Kliniken A und Wissenschaftlicher Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums (WTZ) Münster bei einem Online-Talk des Universitätsklinikums Münster (UKM). Sie kommen häufig zum Einsatz, wenn die ersten Therapien nicht die gewünschte Wirkung gebracht haben – und das oft mit Erfolg. „Wir können durch diese Ansätze Patienten etwas anbieten, denen wir sonst nichts (mehr) anbieten konnten“, erklärt der Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Internistische Onkologie. Ob diese Medikamente auch in den frühen Therapielinien wirksamer sind als beispielsweise eine Chemotherapie, muss sich in Studien zeigen.
Bispezifische Antikörper und ADCs werden entweder allein verabreicht. Oder aber sie werden mit Chemotherapie, Strahlentherapie oder einer Operation kombiniert, um zielgenauer zu behandeln und weniger Nebenwirkungen zu haben, erklärt Prof. Dr. Annalen Bleckmann, Direktorin des WTZ Münster und Leitung des Bereichs Internistische Onkologie der Medizinischen Kliniken A.
Bispezifische Antikörper
Bei der Therapie mit Bispezifischen Antikörpern werden T-Zellen des eigenen Immunsystems genutzt. „Bispezifische Antikörper binden einerseits die Tumorzellen und andererseits die T-Zellen. Dadurch werden die T-Zellen in die Nähe der Tumorzellen gebracht“, erklärt Prof. Georg Lenz. Auf diese Weise werden die T-Zellen aktiviert und greifen den Tumor an. Zum Einsatz kommen bispezifische Antikörper vor allem in der Behandlung von Lymphomen, insbesondere bei diffusen großzelligen B-Zell-Lymphomen und follikulären Lymphomen. Hierfür gibt es bereits Zulassungen, ebenso wie für das Multiple Myelom sowie für die lymphatische Leukämie.
Bispezifische Antikörper sind gut verträglich. Doch es gibt mögliche Nebenwirkungen, die schwerwiegend sein können. Eine davon ist das Zytokin-Freisetzungssyndrom, eine Entzündungsreaktion, die durch die Aktivierung der T-Zellen entsteht. Diese Reaktion ist in der Regel gut kontrollierbar, sagt Prof. Georg Lenz. In seltenen Fällen müssen Patienten jedoch intensivmedizinisch überwacht und behandelt werden. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Veränderungen im Blutbild sowie Infektionen.
Bispezifische Antikörper lassen sich auf unterschiedliche Art verabreichen. Einige werden als Infusion über die Vene gegeben, meist alle drei bis vier Wochen. Alternativ gibt es Mittel, die in die Haut injiziert werden. Das ist für die Patienten meist angenehmer.
Die ersten zwei bis drei Gaben sollten stationär erfolgen, um Nebenwirkungen im Blick zu haben und gegebenenfalls schnell behandeln zu können. Wird das Medikament gut vertragen, kann die Therapie danach in der Regel ambulant durchgeführt werden.
ADCs mit Chemo kombiniert
ADCs enthalten Antikörper. Das sind Proteine, die in der Lage sind, einzigartige Strukturen einer Tumorzelle zu erkennen und zu binden. An diese Antikörper wird eine chemotherapeutische Substanz gekoppelt. Das gesamte Konstrukt wird dann in die Tumorzelle aufgenommen, beschreibt es Prof. Annalen Bleckmann. In der Zelle zersetzt sich das Konstrukt und die Chemotherapie wirkt zielgenau in der Tumorzelle.
Hier einige Anwendungsbeispiele, wobei die Zulassungen in vielen Fällen bisher nur für fortgeschrittene Therapielinien gelten. Zugelassen sind:
- Polatuzumab-Vedotin für aggressive Lymphome bereits in der Erstlinientherapie,
- Brentuzimab-Vedotin in der Erstlinientherapie bei T-Zell-Lymphomen und zum Teil beim Hodgkin-Lymphom,
- Trastuzumab-Deruxtecan bei HER2-positivem Magenkrebs, bei HER2-positivem Brustkrebs und bei Lungenkrebs,
- Sacituzumab-Govitecan beim triple-negativen Brustkrebs,
- Enfortumab-Vedotin beim Uro-thelkarzinom,
- Inotuzumab-Ozogamicin für die Behandlung der lymphatischen Leukämie bei Erwachsenen.
Darüber hinaus laufen zahlreiche weitere Zulassungsstudien.
Nebenwirkungen sind auch bei den ADCs möglich, beispielsweise Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Blutbildveränderungen oder Hautausschlag. In seltenen Fällen kann es zu Interstitiellen Lungenparenchymerkrankungen kommen.
Bei den ADCs ist es nicht zwingend nötig, die ersten Gaben stationär zu geben. Die Mittel werden in der Regel intravenös verabreicht, zum Beispiel im Abstand von drei Wochen.
Ein Blick in die Zukunft
Lokale Therapieverfahren, wie Bestrahlung und Operation, werden nach Einschätzung von Prof. Annalen Bleckmann fester Bestandteil der Krebstherapie bleiben. Auch die Chemotherapie und die Antikörpertherapie werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine zentrale Rolle spielen. Die neuen Substanzen werden diese ergänzen, aber nicht komplett ablösen. „In 20 bis 25 Jahren, werden wir, glaube ich, in der Lage sein, dass Chemotherapie nur noch sehr selten eingesetzt wird“, sagt Prof. Georg Lenz.
Klar ist aber auch, dass die neuen Mittel nicht bei jeder Krebserkrankung und nicht in jeder Situation eingesetzt werden können bzw. wirksam sind. Einige ADCs beispielsweise können nur dann wirken, wenn sich auf der Oberfläche des Tumors ein bestimmter Biomarker findet.
Die Chance, aber auch die Herausforderung wird in Zukunft darin bestehen, aus dem größer werdenden Angebot an verschiedenen Therapieoptionen diejenige herauszufinden, die in einem spezifischen Fall und einer bestimmten Situation die richtige ist, fasst es Prof. Annalen Bleckmann zusammen.
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