Eva Kuhnert* zählt sich selbst nicht zu den „wirklich Kranken“. Dabei hat sie innerhalb eines Jahres gleich zweimal die Diagnose Krebs bekommen. Trotzdem hat sie sich ihre positive Grundeinstellung bewahrt. Sie weiß um ihr erhöhtes Krebsrisiko, lässt es jedoch nicht ihr Leben bestimmen. Doch der Reihe nach.
Nachdenklich hätte die 63-Jährige werden können, als ihr Zwillingsbruder 2019 an Darmkrebs erkrankte. Es ist nicht der erste Fall von Krebs in der Familie. Ihre Mutter war in jungen Jahren an Gebärmutterkrebs erkrankt, im Alter von 79 Jahren starb sie an den Folgen einer Magenkrebserkrankung.
Diagnose Darmkrebs
Trotzdem war Eva Kuhnert nicht alarmiert, als bei ihr selbst bei einer Darmspiegelung im Jahr 2014 Polypen entfernt werden mussten. Die empfohlene Nachsorge hat sie nie durchführen lassen. „Ich habe das schluren lassen“, gibt sie zu.
Bis sie im Oktober 2022 Blut im Stuhl bemerkte. Bei der daraufhin durchgeführten Darmspiegelung entdeckten die Ärzte ein Sigmakarzinom, also einen Tumor im unteren Bereich des Dickdarms. Der Tumor befand sich im Anfangsstadium, Metastasen gab es nicht. Vier Tage nach einer Operation im Uniklinikum Essen, bei der das Karzinom entfernt wurde, entließen die Ärzte sie mit den Worten: „Sie sind geheilt.“
Doch sie erkrankte erneut. Im Januar 2023 stellte die Architektin Blut im Urin fest. Die Diagnose: Gebärmutterschleimhautkrebs. Auch in diesem Fall befand sich der Krebs im Anfangsstadium, wieder gab es keine Metastasen. Bei einer Operation wurden die Gebärmutter und die Eierstöcke entnommen. „Ich bin davon ausgegangen, dass die Sache damit erledigt ist“, sagt die zweifache Mutter. Doch es handelte sich um einen besonders aggressiven Tumor. Deshalb empfahlen die Ärzte eine Chemotherapie und im Anschluss daran Bestrahlungen. Ende Dezember bekam sie die letzte Bestrahlung. Ihre Hoffnung ist, dass sie das Thema Krebs jetzt für sich selbst abhaken kann.
Verdacht bestätigt sich
Ganz aus ihrem Leben streichen kann sie es aber nicht. Im Juni 2023 hat Eva Kuhnert einen Gentest durchführen lassen. Die vielen Krebsfälle in ihrer Familie sowie spezielle Auffälligkeiten des Tumorgewebes bei ihr selbst und ihrem Zwillingsbruder legten den Verdacht nahe, dass es sich um genetisch bedingte Krebserkrankungen handelt.
Der Test war positiv. In ihrer DNA wurde eine Veränderung des MSH6-Gens nachgewiesen. Dadurch kam es bei ihr zur HNPCC-Erkrankung bzw. dem Lynch-Syndrom Typ 5. HNPCC ist die englische Kurzfassung für hereditäres kolorektales Karzinom ohne Polyposis. Dabei handelt es sich um ein erbliches Tumorsyndrom, das durch ein deutlich erhöhtes Risiko für verschiedene Krebserkrankungen gekennzeichnet ist.
Typisch für dieses Syndrom sind Darmkrebserkrankungen vor dem 50. Lebensjahr. Etwa 3 % aller Darmkrebsfälle treten im Rahmen einer HNPCC-Erkrankung auf. Für Menschen mit Lynch-Syndrom wird die Wahrscheinlichkeit, bis zum 80. Lebensjahr an Darmkrebs zu erkranken, mit 25 bis 60 % angegeben. Das Lynch-Syndrom kann aber auch für Krebserkrankungen in anderen Organen verantwortlich sein, wie der Gebärmutterschleimhaut, Eierstöcken, Dünndarm, Magen, ableitenden Harnwegen, Haut, Gallengängen, Bauchspeicheldrüse und Gehirn.
Sorge um die Kinder
Sorgen macht sich Eva Kuhnert um ihre zwei erwachsenen Kinder. Sollten auch sie Träger der Genmutation sein, läge bei ihnen ein erhöhtes Tumorrisiko vor. „Ich würde meinen Kindern nicht zu einem Gentest raten“, sagt sie. Schließlich erkranke nicht jeder Träger der MSH6-Mutation an einem Tumor. Die Entscheidung müssen die Kinder aber selbst treffen. Allerdings drängt Eva Kuhnert sie, regelmäßig zur Vorsorge zu gehen.
Die Genmutation, die bei ihr festgestellt wurde, soll nicht das Leben der Familie bestimmen, das ist Eva Kuhnert wichtig. Für sie selbst steht fest: „Auch wenn ich früher davon gewusst hätte, hätte ich Kinder bekommen.“ Schließlich mache die Medizin laufend Fortschritte. Sie selbst hat den Krebs schon zweimal besiegt. Das macht Hoffnung.
* Name von der Redaktion geändert
AnlaufstellenWer den Verdacht hat, dass in seiner Familie eine Genmutation verantwortlich für gehäuft auftretende Krebserkrankungen ist, sollte sich an ein Tumorzentrum wenden. Anlaufstellen des Westdeutschen Tumorzentrums (WTZ) sind die Universitätskliniken in Münster und Essen.Informationen zu erblich bedingten Krebserkrankungen sowie Adressen von Ansprechpartnern und Zentren für erblich bedingten Brust- und Eierstockkrebs bietet der BRCA-Netzwerk e. V. auf seiner Homepage. Lesen Sie mehr: