Das Hamsterrad im Kopf

Deutschlandweit leiden etwa 4 Mio. Menschen an einer Depression. Vor dieser seelischen Erkrankung sind auch Landwirte nicht gefeit. Schwere Formen werden zunächst medikamentös behandelt.

Landwirte sind Individualisten, Einzelkämpfer und begehen die brutalsten Arten von Suizidversuchen. Das sind zumindest die Patienten, die wir hier sehen“, sagt Psychiater Dr. Marius Houchangnia.

Im St. Vinzenz-Hospital Haselünne hat er viele Jahre als Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie unter anderem Patienten mit schweren Depressionen behandelt.

Ständiges Probleme wälzen

„Landwirte sind ja ganz speziell“, sagt Mediziner Houchangnia. In der Regel sei diese Berufsgruppe schwer zu behandeln, weil sie sich erst sehr spät in Therapie begebe. Häufig liege dann schon ein sehr schwere Depression mit Suizidgedanken und extremen Schuldgefühlen vor.

Bei den meisten Betroffenen beginne eine Depression mit ganz unspezifischen Symptomen. Sie fühlen sich matt und niedergeschlagen, sind antriebsarm und verlieren zunehmend das Interesse an Aktivitäten, die ihnen vorher Freude bereitet haben. Oft bestehe das Gefühl von Schuld, Wertlosigkeit und Überforderung.

Mit der Zeit falle es immer schwerer, sich zu konzentrieren und die Arbeit zu bewältigen. Hinzu kommen dann häufig körperliche Beschwerden wie Schlafstörungen, Kopf- und Rückenschmerzen, ein Ganzkörperschmerz sowie Appetit- und Gewichtsveränderungen. Betroffene sind nicht mehr so leistungsfähig wie zuvor. Es entwickelt sich das Gefühl von Unfähigkeit was die Situation noch verschlimmert.

Nicht jeder depressive Mensch verspüre alle diese Beschwerden. „Ganz typisch aber ist, dass sich depressive Patienten gedanklich immer wieder mit den gleichen Problemen befassen“, erklärt Dr. Marius Houchangnia. „So werde aus einer anfangs harmlosen Aufgabe eine schier unüberwindbare Hürde. Ständig kreisten ihre Gedanken wie der Hamster im Rad.

Landwirte sind anfällig

„Was Hofnachfolger anfällig für die Erkrankung macht, ist die Tatsache, dass sie häufig aus rigiden Familienverhältnissen stammen und oft durch ihre Vorgänger geprägt sind“, erklärt der Psychiater. Im Betrieb werde meist sehr diszipliniert gearbeitet. Es werde erwartet, dass der Betrieb im Sinne des Vaters weiter voran gebracht werde. Auch in der Familie laufe es oft starr und in geordneten Bahnen.

Weitere Infos und Beratungsstellen
Nürnberger Bündnis gegen Depression,
www.kompetenznetz-depression.de ;
Notruf und Telefonseelsorge
Ländliche Familienberatung im Bistum Münster, Tel. 02 51-53 46 349
Ländliche Familienberatung Hardehausen, Tel. 0 56 42-98 23 66,
Ländliche Familienberatung Oesede, Niedersachsen, Tel.
0 26 81-95 16 12
Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention, dgs.gf@
suizidprophylaxe.de, Tel. 030-4 17 28 39 52
Notrufdienst bundesweit Tel: 08 00-111 0 111 und -111 0 222.
Selbsthilfe und Angehörigengruppen
Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker, am Michaelshof 4b, 53177 Bonn-Bad Godesberg, Tel. 02 28-632646, www.bapk.de

„Es bleibt kaum Platz auszuscheren oder Veränderungen zu erleben“, sagt Dr. Marius Houchangnia.
Vor diesem Hintergrund ist der Erfolgsdruck für den Hofnachfolger sehr hoch. Der Druck sei häufig auch noch nach dem Tod der Eltern unbewusst zu spüren. Klappt es wirtschaftlich oder familiär nicht wie erwartet, entwickelten Landwirte oft extreme Schuldgefühle.

Ursachen werden vermutet

Welche Ursachen hat aber nun eine Depression? „Genau weiß man das bis heute nicht“, sagt Dr. Marius Houchangnia. Als Erklärung wird eine genetische Veranlagung für möglich gehalten und vermutet, das bestimmte Personen anfälliger für die Erkrankung sind als andere. „Treffen dann eine höhere Verletzbarkeit für Belastungssituationen und starker Stress zusammen, kann daraus eine Depression entstehen“, erklärt der Mediziner.

Als Auslöser werden beispielsweise aber auch virale Infekte, hormonelle Veränderungen oder der übermäßige Konsum von Alkohol oder Tabletten diskutiert. Wahrscheinlich sind an der Entstehung viele Faktoren beteiligt. „Sicher ist aber, dass es sich bei einer Depression um eine Stoffwechselerkrankung des Gehirns handelt. Daher wird die Erkrankung primär auch medikamentös behandelt“, sagt Experte Houchangnia.

Medikamentös therapieren

Zum Einsatz kommen Antidepressiva, die im Gehirnstoffwechsel eingreifen. Gewöhnlich sorgen elektrische Signale und Botenstoffe dafür, dass Reize zwischen den Nervenzellen ausgetauscht werden können. Bei einer Depression liegt ein Mangel an den Botenstoffen Noradrenalin und Serotonin vor. Medikamentös lässt sich dieser Mangel beeinflussen.

Die meisten Präparate benötigen etwa zwei bis vier Wochen, bevor sich der seelische und körperliche Zustand des Patienten bessert. Auch danach sind zwischenzeitliche Stimmungsschwankungen immer noch normal.

„Ist einmal das richtige Medikament gefunden worden, sollte es zunächst für acht bis zwölf Monate eingenommen werden“, erklärt Psychiater Houchangnia. Geht es dem Patienten wieder gut, könne das Medikament schrittweise abgesetzt werden. Komme es im Folgenden zu einem Rückfall, werde empfohlen, das Medikament für zwei Jahre einzunehmen. Bei weiteren Rückfällen gehe man heute davon aus, dass Antidepressiva ein Leben lang einzunehmen sind.

Richtiges Präparat finden

„Frei von Nebenwirkungen ist keines der Antidepressiva“, sagt der Experte. Anfänglich komme es häufig zu Übelkeit. Lasse die nach vier Tagen nicht nach, sollte der Wirkstoff gewechselt werden. Auch Schweißausbrüche seien möglich. Dann müsse ebenfalls ein anderes Medikament eingenommen werden.

„Bei etwa 20 % der Patienten treten als Nebenwirkung auch sexuelle Funktionsstörungen auf“, berichtet der Mediziner. Auch könne es unter Einnahme von Antidepressiva zu Gewichtsverlust kommen. Keinesfalls dürfe das Medikament dann eigenmächtig abgesetzt werden. Denn das könnte einen verbesserten Zustand schwerwiegend verschlechtern und zu einem Rückfall führen.

„Sprechen Sie in dem Fall mit Ihrem Arzt. Er weiß, was er veranlassen muss, damit die Nebenwirkungen abklingen, ohne das die Wirkung des Medikamentes aussetzt“, informiert Dr. Marius Hochangnia. Ergänzend zu Medikamenten gibt es eine Vielzahl weiterer Behandlungsmöglichkeiten wie die Musik-, Kunst- oder Lichttherapie. Auch eine Psycho- oder Verhaltenstherapie kann im Behandlungsplan einbezogen werden.

Perspektiven entwickeln

„Wichtig ist, dass depressive Patienten sich aus den krankmachenden Denkstrukturen befreien und wieder eine Perspektive für sich finden“, sagt der Psychiater. Der depressive Patient müsse lernen, sich nicht nur mit dem Problemen zu beschäftigen, sondern mit deren Lösungen. Das bedeute, sich professionelle Hilfe zu suchen und setze die Bereitschaft voraus, etwas ändern zu wollen. „Doch dazu muss der Patient auch bereit sein.“ Gerlinde Lütke Hockenbeck