Als sie Mitte Juni dieses Jahres einen Brief von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bekam, hat Marita Kasper aus Barntrup (Lippe) das zunächst für einen Witz gehalten. In dem Brief lud die Politikerin sie ein, am Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ teilzunehmen. Doch nach kurzem Überlegen schrieb die 60-Jährige zurück, dass sie gerne dabei wäre. Und tatsächlich: Sie wurde ausgewählt. Ende September hat der Bürgerrat zum ersten Mal getagt (siehe Kasten).
Marita Kasper freut sich, dass sie Mitglied dieses neu gebildeten Gremiums ist. „Das Thema Ernährung begleitet mich seit 35 Jahren in meinem beruflichen Alltag“, erzählt die Erzieherin. Sie ist in einer stationären Jugendeinrichtung tätig und dort unter anderem für die Verpflegung zuständig. Da sie dabei mit einem sehr knappen Budget auskommen muss – pro Tag stehen etwa 6 € pro Bewohner zur Verfügung – liegt ihr die Bezahlbarkeit einer gesunden Ernährung sehr am Herzen. Dieses Thema wollte sie gern in den Bürgerrat einbringen. Ein weiteres wichtiges Thema ist für sie die Ernährungsbildung in den Schulen.
Was ist der Bürgerrat "Ernährung im Wandel"?
Am 29. September hat der Bürgerrat „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ seine Arbeit aufgenommen. Er soll unter anderem Fragen zur Umwelt- und Klimaverträglichkeit, Nutztierhaltung, Produktion von Lebensmitteln, Lebensmittelkennzeichnung und Lebensmittelverschwendung diskutieren.
Für die Auswahl der Teilnehmenden wurden 82 Gemeinden in Deutschland ausgelost. Aus diesen Gemeinden wurden 19327 Personen ab 16 Jahren zufällig ermittelt und angeschrieben. Davon waren 2220 an einer Teilnahme interessiert. Aus diesen Rückmeldungen wurden durch einen Algorithmus 1000 mögliche Bürgerräte mit je 160 Teilnehmern zusammengestellt, von denen die Bundestagspräsidentin am 21. Juli einen ausloste.
Bei der Zusammensetzung wurde darauf geachtet, dass die Teilnehmer bezüglich Alter, Geschlecht, Herkunft (Bundesland und Gemeindegröße) und Bildungshintergrund die Anteile an der Bevölkerung in Deutschland widerspiegeln. Außerdem wurde sichergestellt, dass der Bürgerrat genau den Anteil, der sich vegetarisch oder vegan ernährenden Personen an der Bevölkerung abbildet.
Experten sorgen dafür, dass alle Mitglieder ungefähr den gleichen Wissensstand zum Thema haben.
Insgesamt sind neun Sitzungen vorgesehen, davon drei in Präsenz und sechs online. Mitte Januar 2024 soll der Bürgerrat seine Empfehlungen formulieren. Unter anderem daraus wird ein Bürgergutachten zusammengestellt, das voraussichtlich im Februar an die Bundestagspräsidentin übergeben wird. Nach einer Aussprache im Plenum und Beratungen in den zuständigen Ausschüssen entscheidet der Bundestag, wie er mit den Ergebnissen weiter umgeht.
Drei Themenfelder gesteckt
Nun liegt die erste Sitzung in Berlin hinter ihr und die Themenfelder, mit denen sich der Bürgerrat in den kommenden Monaten beschäftigen wird, sind gesteckt:
- Labels und Kennzeichnung von Lebensmitteln,
- Tierhaltung und Tierwohl,
- Bezahlbarkeit von Lebensmitteln.
Damit konnte Marita Kasper nicht alle Themen, die ihr am Herzen liegen, einbringen. „Aber das ist Demokratie“, sagt sie.
Zu Beginn der Sitzung haben Experten die Teilnehmer über unterschiedliche Fachbereiche informiert, wie Lebensmittelindustrie, Ernährungsweise der Deutschen oder Landwirtschaft. Wie manche andere Teilnehmer auch hatte Marita Kasper Sorge, das alles zu verstehen. „Wir sind schließlich Laien“, sagt sie. Die Ausführungen waren aber sehr anschaulich. Nach den Vorträgen fanden Workshops statt, in denen mögliche Themenfelder diskutiert wurden.
Ergebnis ist ungewiss
Die nächste Sitzung wird am 10. Oktober online stattfinden. Dann werden alle Teilnehmenden sich gemeinsam eines der drei Themenfelder vornehmen. Vorab wird wieder ein Experte in das Thema einführen. Anschließend soll in Kleingruppen darüber diskutiert werden.
Das zurückliegende Wochenende in Berlin hat Marita Kasper als sehr anstrengend, aber auch spannend empfunden. Sie weiß, dass noch viel Arbeit vor ihr und den anderen Teilnehmenden liegt. Was genau bei diesen Sitzungen herauskommt, wird sich erst mit dem Abschlussgutachten zeigen, das im Februar fertig sein soll. „Wir alle hoffen sehr, dass die Empfehlungen angenommen werden und dass damit gearbeitet wird“ sagt Marita Kasper.
Kritik am Bürgerrat
Bürgerräte an sich und speziell der Bürgerrat Ernährung werden durchaus kritisch gesehen. Kritiker bemängeln beispielsweise, dass hier Laien Empfehlungen zu komplexen Sachverhalten abgeben, von denen sie in der Regel wenig verstehen. Zwar sind diese Empfehlungen für den Bundestag nicht bindend. Das aber wirft die Frage nach dem Sinn solcher Räte auf. Zumal im Bundestag und Bundesrat bereits gewählte Personen sitzen, welche die Interessen der Bürger vertreten sollen.
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