Stromautobahn im Praxistest

Es ist ein einzigartiger Ansatz, der deutschlandweit zum Vorbild für den Trassenausbau werden könnte. In Raesfeld im Kreis Borken untersuchen der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) und der Netzbetreiber Amprion in einem Pilotprojekt, ob Erdkabel für den Transport von Strom im Rahmen der Energiewende geeignet sind.

Erdkabel genießen zwar in der Bevölkerung eine höhere Akzeptanz als gewöhnliche Hochspannungsleitungen, sie sind aber mit erheblichen Eingriffen in die Bewirtschaftung der Flächen verbunden. Ziel der Zusammenarbeit zwischen dem WLV und dem Netzbetreiber ist es deshalb, ein Verfahren zu entwickeln, das auch dem Schutz des Bodens und der wirtschaftlichen Interessen der Bewirtschafter Rechnung trägt.

30 Mio. € für 3 km Erdkabel

Das Erdkabel in Raesfeld ist Teil der Höchstspannungsleitung Wesel-Meppen und wird auf 3,4 km Länge entlang der Gemeinde Raesfeld verlegt. Die Leistung der 380-kV-Leitung reicht, nach Angaben der Betreiber, um 4 Mio. Einwohner zu versorgen. Ludger Jungnitz, Projektleiter der Amprion GmbH, beziffert die Kosten für die gut 3 km Erdkabel auf rund 30 Mio. € – das Fünf- bis Siebenfache des Preises einer gewöhnlichen Hochspannungsleitung.

Für die Trasse öffnen die Arbeiter den Boden auf einer Breite von 42 m und heben ihn bis zu einer Tiefe von 2,2 m aus. Die rund 14 cm dicken Kupferkabel ver­legen sie in Rohren in zwei Grä­-ben von je 5,5 m Breite, zwischen denen eine 10 m breite Baustraße verläuft.

Baustopp bei Regen

Der Eingriff in das Bodengefüge hat es in sich: Auf der Baustraße bewegen sich Bagger und schwere Lkw, in den Gräben wird die Struktur des Ackerbodens komplett zerstört. Amprion und WLV haben sich deshalb auf folgende Grundsätze geeinigt, damit die Kabelverlegung möglichst bodenschonend vonstatten geht:

  • Der Zustand des Bodens wird vor Beginn der Bauarbeiten dokumentiert.
  • Ein Ingenieurbüro erstellt ein Bodenschutzkonzept, das ein neutraler Wissenschaftler prüft.
  • Die Arbeiten während der Bauphase werden dokumentiert und von einem Bodenfachmann überwacht.
  • Bei ungünstigen Wetterbedingungen werden die Bauarbeiten gestoppt.
  • Am Ende der Baumaßnahme wird der Bodenzustand erneut dokumentiert.
  • Es folgt eine bis zu drei Jahre dauernde Rekultivierungsphase mit dem Anbau von Leguminosen wie Rotklee auf der Trasse.


Noch kein Fazit

„Insgesamt stehen wir Bauern solch einem massiven Eingriff in den Boden skeptisch gegenüber“, erklärte WLV-Präsident Johannes Röring bei einem Ortstermin mit Medienvertretern, „wir glauben aber, mit dem Bodenschutzkonzept das Schlimmste verhindert zu haben.“ Er ist überzeugt, dass das Projekt Pilotcharakter für die künftige Verlegung von Leitungen in landwirtschaftlichen Nutzflächen haben könnte.

Bernd Nienhaus, Sprecher der betroffenen Landwirte, betonte: „Es ist noch zu früh für ein Fazit des Projektes.“ Angesichts des massiven Eingriffs hätten die Landwirte vor Ort weiterhin Sorge um ihre Flächen. Der Netzbetreiber Amprion zeige sich aber bislang kompromissbereit, auch die ökologischen und wirtschaftlichen Interessen der Landwirte zu berücksichtigen. Matthias Schulze Steinmann