Wenn der Boden unter den Füßen wackelt

Bei den Landfrauen aus Bochum berichtete Notfallseelsorger Hans-Joachim Witte von seinen Einsätzen – vor allem bei Suizidgefährdeten.

Das überlebe ich nicht. Am liebsten würde ich hinterhergehen“, sagen Menschen, die in akute Krisensituationen geraten sind, wie Unfälle, den plötzlichen Tod des Partners, Kindes oder Freundes.

Pfarrer Hans-Joachim Witte kümmert sich um Menschen in solchen Schockphasen. Der 61-Jährige arbeitet als hauptamtlicher Notfallseelsorger bei der Feuerwehr Bochum. Vorige Woche berichtete er vor rund 60 Bochumer Landfrauen aus seinem Alltag.

Notfallseelsorge bei Suizid

„Notfallseelsorge ist akute Krisenintervention, wenn der Boden unter den Füßen wackelt“, beschrieb er seine Arbeit. Das ist keine leichte Aufgabe. Besonders, wenn es um heftige Krisen wie Suizid geht. „Solche Geschehnisse passieren häufiger, als wir glauben“, kommentierte der Pfarrer. Jährlich sind es 12 000 Menschen, die sich das Leben nehmen.

Die Dunkelziffer ist höher. In diesem Zusammenhang machte er eine denkwürdige Aussage: „Nimm’ dir doch das Leben“ (Anm. der Redaktion: Titel eines Buches von Karin Weber, bereits vergriffen). Nach einer kurzen Diskussion über die Worte löste der Referent ihre Doppeldeutigkeit auf.

Zu verstehen ist: Ein suizidaler Mensch will das Leben nicht, das er lebt, und beendet es. Gemeint ist aber, dass er anfangen soll, sein Leben zu ändern. Ein erster Schritt ist, dass sich der Betroffene gegenüber Angehörigen, Kindern, der Telefonseelsorge oder Selbsthilfegruppen öffnet. „Sprechenden Menschen kann geholfen werden“, unterstrich Witte.

Leben in Gefahr

Im Gespräch versucht der Notfallseelsorger, die suizidale Person aus ihrer akuten Krise zu holen. Wenn das nicht gelingt, macht er eine klare Ansage: „Sie wollen sich etwas antun? Das heißt, Sie gefährden Leben. Dann sehe ich mich gezwungen, den Notarzt zu rufen.“ Manchmal helfen nur Zwangsmaßnahmen, gerichtliche Anordnungen, Therapien und Medikamente, den Suizidgefährdeten zurück ins Leben zu holen, ergänzte der 61-Jährige.

Dass das funktioniert, beweist ihm seine Erfahrung in 23 Jahren Notfallseelsorge. Genauso weiß er, dass es Grenzen gibt. „Wer sich mit dem Thema Suizid beschäftigt, muss eine Haltung dazu gewinnen. Respektiere ich den Suizid oder nicht?“ Er sehe seine Funktion nicht darin, Ratschläge zu geben, sondern da zu sein, zuzuhören und die Alarmsignale des Menschen zu deuten. rk