Ärztemangel - ein Mythos?

Immer mehr Hausärzte auf dem Lande finden keinen Nachfolger. Auch Krankenhäuser klagen über Nachwuchsprobleme. Das Thema Ärztemangel beschäftigte Fachleute im Rahmen eines Symposiums in Witten.

Seit Jahren beunruhigen Schlagzeilen über einen drohenden Ärztemangel in NRW viele Patienten. Kritiker streiten die Befürchtungen ab und sprechen vom „Mythos Ärztemangel“. Was ist dran an den Warnungen? Zahlreiche Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitswesens befassten sich am Dienstag vergangener Woche mit dieser Frage. Sie trafen sich zu einem Symposium im Forschungs- und Entwicklungszentrum Witten im Ennepe-Ruhr-Kreis. Eingeladen hatten die Ärztekammern in NRW zusammen mit der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke.

Ärztemangel droht in der Tat

Ein Ärztemangel droht durchaus in NRW – das wurde während der Vorträge und Diskussionen deutlich. Fast 80 % der Krankenhäuser geben bereits an, Probleme bei der Besetzung von Arztstellen zu haben. Und kaum eine Woche vergeht, in der nicht eine Gemeinde händeringend hausärztlichen Nachwuchs sucht, erläuterten die Organisatoren. Schon heute seien in NRW etwa 1500 klinische – das entspricht etwa drei bis vier Stellen pro Krankenhaus – und 500 ambulante Arztstellen, vor allem Hausarzt-, aber auch Kinderarzt- und Orthopädenstellen, unbesetzt. Ab 2030 werden laut Prognosen ohne ein Eingreifen doppelt so viele Ärzte aus ihrer Berufstätigkeit in Klinik oder Praxis ausscheiden wie nachrücken.

Problem von übermorgen

„Derzeit bemerken die meisten Patienten noch nichts vom Ärztemangel, denn wir behandeln hier ein Problem von übermorgen“, machte Dr. med. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, die Schwierigkeit klar. „Es lodert aber bereits vielerorts, in fünf Jahren brennt es lichterloh, in 15 Jahren wird die Lage katastrophal sein.“

Weite Wege zum Arzt

Ein Einwand der Kritiker: Die Zahl der berufstätigen Ärzte war noch nie so hoch wie heute – 2009 lag sie bei knapp 70 200 im Vergleich zu noch rund 50 000 im Jahr 1990. Doch ein großes Problem ist die ungleiche Verteilung. Während einige Gebiete mit Haus- und Fachärzten überversorgt sind, fehlen diese woanders. Schon jetzt müssen manche Patienten in ländlichen Regionen oder bestimmten Stadtteilen große Entfernungen zum Allgemein- oder Kinderarzt zurücklegen.

Nachwuchs gefragt

Dazu kommt: Etwa jeder fünfte Hausarzt hierzulande ist über 60 Jahre alt. Rund 24 000 von ihnen werden bis 2020 aus Altersgründen ausscheiden. Allein im Bezirk der Ärztekammer Nordrhein, in dem etwa 6000 Hausärzte tätig sind, müssten jedes Jahr etwa 200 Ärzte – statt wie momentan 100 – nachrücken, um die Lücke zu schließen, stellte Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, dar. Birgit Geuker

Warum so wenig junge Mediziner eine Praxis auf dem Land führen möchten und welche Anreize helfen sollen lesen Sie in der Wochenblatt Folge 20 auf Seite 101.