Arla-Innovationshof

Milch mit mehr Klimaschutz

Kevin Anhamm aus Kamp-Lintfort hat ambitionierte Ziele: Leidenschaftlich arbeitet er daran, Kuhmilch so klimaneutral wie möglich zu erzeugen.

Die Adresse – Molkereistraße 54 – lässt vermuten, dass es sich hier um die Milch dreht. Allerdings betreibt Kevin Anhamm aus Kamp-Lintfort (Kreis Wesel) kein Milchwerk, sondern erzeugt mit seiner 295-köpfigen Kuhherde Milch für die europäische Genossenschaft Arla.

Ließ sich die Einweihung des ersten deutschen Innovationshofes von Arla nicht nehmen: NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (Mitte) mit Betriebsleiter-Ehepaar Kevin und Rebecca Anhamm. (Bildquelle: von Beschwitz)

Nachhaltigkeit liegt dem 39-Jährigen am Herzen: „In unserem Betrieb denken wir ganzheitlich.“ So spielen neben wirtschaftlichen Aspekten immer Umwelt- und Klimamaßnahmen eine Rolle. „Tierwohl und Klimaschutz vereint“ – so sein Motto. Mit dieser Herangehensweise punktet der Familienvater bei seiner Molkerei. Seine bisherigen Bemühungen überzeugten die Arla-Jury: In einem Bewerbungsverfahren wählten sie seinen Betrieb als ersten Innovationshof in Deutschland. Die Einweihung fand in der vergangenen Woche statt. Doch was steckt genau dahinter?

Praxistauglichkeit testen

Die Genossenschaftsmolkerei hat es sich auf ihre Fahnen geschrieben, beim Thema Nachhaltigkeit eine Vorreiterrolle einzunehmen. Das Ziel ist konkret: Vom Hof bis ins Kühlregal möchte Arla bis 2050 das Klimaziel „Netto-Null-Emissionen“ erreichen. Da der Großteil der Emissionen auf den Milch erzeugenden Höfen entsteht, sieht die Molkerei hier den größten Hebel.

Angefangen mit den jährlichen Klimachecks zur Ermittlung des CO2-Fußabdrucks bis hin zum jüngst eingeführten Anreizmodell können Lieferanten Maßnahmen zur Emissionsreduktion auf ihren Betrieben durchführen. Bei Erfüllung dieser – beispielsweise in den Bereichen Fütterung, Güllelagerung oder Nutzung von Ökostrom – erhalten Milcherzeuger Punkte und können so in Form von Nachhaltigkeitszuschlägen ihr monatliches Milchgeld verbessern. Wie Arla mitteilt, nehmen 97 % ihrer Landwirte am Klimacheck teil. So konnte 2023 im Schnitt der CO2-Ausstoß pro kg hergestellter Milch im Vergleich zum Vorjahr um fast 4 % gesenkt werden.

Um herauszufinden, welche technischen Maßnahmen am besten zum Klimaschutz beitragen, richtet die Molkerei sogenannte Innovationshöfe ein. Hier werden „im Feld“ Projekte auf ihre Praxistauglichkeit getestet. Der Gedanke dahinter: Bei erfolgreichem Einsatz entstehen Empfehlungen für weitere Arla-Betriebe. Zudem dienen die auserwählten Höfe als Kommunikationsplattform für Vertreter aus Landwirtschaft, Forschung, Handel und Politik. In dem speziell errichteten Tiny-Farmhouse befindet sich ein Konferenzraum, der zum Austausch der Branchenteilnehmer zur Verfügung steht. Europaweit gibt es bislang vier solcher Höfe.

Eutergesundheit verbessern

Anhamm nimmt seit 2019 am ­Arla-Klimacheck teil. 2023 gelang es ihm, seine CO2-Emissionen je kg Milch innerhalb von einem Jahr um fast 8 % zu senken. Sein aktueller CO2-Fußabdruck wird mit 0,95 CO2äq/kg Milch berechnet – der durchschnittliche Arla-Betrieb liegt bei 1,08 CO2äq je kg erzeugter Milch. Zur Einordnung: Laut Initiative Milch werden in Deutschland rund 1,1 kg CO2äq bei der Produktion von 1 l Milch freigesetzt.

Für Anhamm spielt Tierwohl die wohl wichtigste Rolle. „Unsere Kühe werden alt“, nennt er als Indikator dafür, dass sich die Tiere bei ihm wohlfühlen. Eine lange Lebensdauer bedeute auf dem Betrieb durchschnittliche Abgangsleistungen von mehr als 50  000 kg. Die Kühe werden an drei Robotern gemolken. Der vor zwölf Jahren errichtete Laufstall bietet viel Komfort: Tiefboxen mit Einstreu, automatisches Anschieben vom Futter und großzügige Ausläufe.

Eine der größten Herausforderung bei einer alten Herde seien die Zellzahlen, gibt Anhamm zu bedenken. Deshalb startet der Betriebsleiter als „Innovationshof“ mit einem Daten-Screening in Sachen Eutergesundheit. Hier wirken die Landwirtschaftskammer NRW und die Universität Gent mit. Ziel sei es, eine Herde wie diese zukünftig selektiv trockenzustellen – sprich ohne Antibiotika. Ein weiterer Versuch widmet sich der emissionsreduzierten Güllelagerung. Dazu setzt Anhamm künftig einen neuen Wirkstoff in der Gülle ein, der in bisherigen Versuchen 90 bis 100 % der Methan- und CO2-Emissionen hemmt.

Doch damit nicht genug: Anhamm dreht an weiteren Stellschrauben, um zukünftig noch klimaschonender zu wirtschaften. Im Aufbau ist aktuell die Einrichtung eines Fütterungsroboters. „Mit dem eigenen Strom aus der Photovoltaikanlage die Kühe füttern und gleichzeitig Diesel und Arbeitszeit einsparen“, so lautet sein Plan.

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