Ostbevern macht Tempo. In knapp sechs Monaten muss in der 11 000-Einwohner-Gemeinde im Kreis Warendorf der Kommunale Wärmeplan stehen. Sonst wird es nichts mit der 90%igen Förderung vom Bund, die Ostbevern und die Nachbarstadt Telgte dafür in einem Kooperationsprojekt gemeinsam an Land gezogen haben.
Moritz Hillebrand, Leiter des Fachbereichs Planen, Bauen und Umwelt in der Gemeindeverwaltung, hat schon die Termine parat, wann Rat und zuständiger Fachausschuss im Herbst ihr Okay geben sollen. Ab jetzt steht die Beteiligung von Bürgern, Gewerbetreibenden und Landwirten an. Das Ziel: Schon Mitte Oktober dieses Jahres sollen Hauseigentümer wissen, ob für sie der Anschluss an ein Wärmenetz infrage kommt oder ob sie sich um eine individuelle Lösung kümmern müssen.
Drei Gründe für den Turbo
Eigentlich hätten Ostbevern und Telgte bis Mitte 2028 Zeit. Dann muss bei allen Städten und Gemeinden mit bis zu 100 000 Einwohnern ein Kommunaler Wärmeplan vorliegen. Telgte und Ostbevern setzen aus drei Gründen trotzdem auf den Turbo. Erstens haben sie sich selbst ehrgeizige Ziele gesteckt. Telgte will bis 2040 bilanziell klimaneutral sein, Ostbevern strebt das sogar schon für 2035 an. Zweitens können die Bürgerinnen und Bürger mit mehr Ruhe ihre persönliche Wärmewende planen. Und drittens wollen die Orte von der Förderung für die Vorreiter profitieren. Schließlich entstehen durch das Projekt Kosten in Höhe von rund 100 000 €.
Kommunale Wärmeplanung: Das gilt zukünftig für Verbraucher und Kommunen
Zu Jahresanfang trat mit dem Gebäudeenergiengesetz (GEG) auch das Wärmeplanungsgesetz in Kraft. Laut GEG dürfen bestehende Heizungen bis 2044 bleiben und auch repariert werden, neu eingebaute müssen aber schon deutlich früher mit mindestens 65 % Erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme betrieben werden. Das ist möglich, indem ein Hausbesitzer etwa eine eigene Wärmepumpe einbaut oder auch, indem er Wärme aus einem Wärmenetz bezieht. Für Neubauten in Neubaugebieten gilt die Pflicht bereits ab 1. Januar 2024, für Bestandsgebäude oder für Neubauten außerhalb von Neubaugebieten erst, wenn klar ist, wo beispielsweise der Anschluss ans Wärmenetz überhaupt möglich ist.
Um das zu klären, verpflichtet das Wärmeplanungsgesetz die Kommunen bis 30. Juni 2028, eine Kommunale Wärmeplanung zu erstellen. Kommunen mit mehr als 100 000 Einwohnern müssen bereits bis 30. Juni 2026 fertig sein. Sie müssen also festlegen, welche Gebiete mit welcher Wärme versorgt werden sollen und wie Erneuerbare dabei zum Einsatz kommen. Kleinere Kommunen können sich auch zusammentun und einen gemeinsamen Wärmeplan erstellen.
Daher gilt die 65-%-Pflicht für neue Heizungen in Bestandsgebäuden erst ab Mitte 2026 beziehungsweise 2028. Weist eine Kommune auf Basis eines Wärmeplanes schon vorher Gebiete zum Neu- oder Ausbau eines Wärmenetzes oder als Wasserstoffnetzausbaugebiet aus, greift die 65 %-Pflicht dort schon dann.
Da die Wärmeversorgung über Wärmenetze vielfach kostengünstiger ist als dezentrale Lösungen, sollen die Kommunen Wärmenetze möglichst auf- und ausbauen.
Wärmenetze sind Rohrsysteme, die Wärme meist über heißes Wasser direkt zum Verbraucher liefern. Sie versorgen mehrere Gebäude oder Straßen, manchmal ganze Stadtteile mit Wärme. Bei kleineren Netzen spricht man eher von Nahwärmenetzen, wobei es keine genaue Abgrenzung zur Fernwärme gibt. Rechtlich fällt Nah- sogar unter Fernwärme.
Auch neue Wärmenetze müssen sich ab März 2025 zu 65 % aus Erneuerbaren Energien, aus unvermeidbarer Abwärme oder aus einer Kombination von beidem speisen. Für bestehende Netze muss dieser Anteil 30 % bis 2030 und 80 % bis 2040 betragen.
Im Gegensatz zu Wärmenetzen stehen „dezentrale“ Lösungen. Dabei produzieren Heizungen, Wärmepumpen oder Heizkessel Wärme erst vor Ort, also dort, wo sie gebraucht wird.
Jede Menge Hausaufgaben
Dafür ist in Ostbevern und Telgte einiges an Arbeit zu erledigen, zunächst am Schreibtisch: „Bestands- und Potenzialanalyse“ heißen die ersten Hausaufgaben, die Moritz Hillebrand aufzählt. Dazu tragen die Kommunen Telgte und Ostbevern gemeinsam mit dem Planungsbüro „Innovation City Management“ (ICM) aus Bottrop Daten zusammen. Sie schaffen einen „digitalen Zwilling“ des Ortes, in dem vermerkt ist, wo es wie alte Häuser gibt, wie womöglich der Sanierungsstand ist, womit geheizt wird und wo schon Wärmenetze bestehen. Hausscharf wird das nicht sein, aber das gesamte Gemeindegebiet wird kleinräumig gegliedert.
Für die Kommunale Wärmeplanung bedeutsame Wärmedaten erhofft sich das Projektteam speziell von Landwirten und Gewerbetreibenden. Beide werden gerade angeschrieben, in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung und dem Landwirtschaftlichen Ortsverein. Die zentralen Fragen: Welchen Wärmebedarf haben die Betriebe? Wie wollen sie ihn zukünftig decken? Wo entsteht unvermeidbare, aber bisher ungenutzte Abwärme? Und haben sie womöglich Flächen, die sich für die Energieerzeugung eignen? Das können Supermarktparkplätze, aber eben auch landwirtschaftliche Flächen sein.
Ohne Landwirte läuft’s nicht
„Landwirte gehören bei der Wärmeplanung zu den wesentlichen Akteuren“, betont Corinna Knepper. Die Ingenieurin für Energietechnik arbeitet bei ICM (Slogan „Wir machen Klimastädte“) und betreut das Projekt in Ostbevern.
Knepper listet eine ganze Reihe von Rollen auf, die sie sich für Landwirtinnen und Landwirte in dem Prozess vorstellen kann. Das Spektrum reicht vom reinen Verpächter von Flächen für Geothermie oder Solarthermie bis zum Betreiber von Nahwärmenetzen mit Biogas oder Hackschnitzelheizungen. Ein paar davon gibt es in Ostbevern sogar schon. Auch als Partner einer Wärmegenossenschaft kann sie sich Landwirte vorstellen. „Sie werden auf jeden Fall etwas davon haben“, ist sie überzeugt.
Bürgerinnen und Bürger aktivieren und motivieren
Noch ist das alles Zukunftsmusik, aber Corinna Knepper und Moritz Hillebrand hoffen, dass der aktuelle Prozess die Bürgerinnen und Bürger aktiviert und motiviert, sich einzubringen. „Je mehr ernsthafte Beteiligung, desto besser sind später die Ergebnisse“, ist Hillebrand überzeugt. Schließlich soll es nicht bei einem Konzept bleiben. Corinna Knepper wird in den nächsten Wochen aus den Daten Empfehlungen ableiten und einen Weg aufzeigen, wie Ostbevern und Telgte ihre Klimaziele auch bei der Wärmeplanung erreichen können. Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit verschiedener Wege gehören dazu.
Übrigens: Was die Wärmewende konkret bedeutet, das ist auch in direkter Nähe zum Rathaus zu beobachten. Unter großen Schirmen schweißt ein Arbeiter in einer Baugrube Wärmeleitungen zusammen. „Bei großen kommunalen Tiefbaumaßnahmen lassen wir bereits jetzt überall dort Nahwärmeleitungen mit verlegen, wo es mit Blick auf die Kommunale Wärmeplanung Sinn macht“, sagt Moritz Hillebrand.
Beispiel Bottrop: Auch eine Stadt hat die Landwirte auf dem Plan
Wir machen ein Sprung nach Bottrop, ungefähr 100 km von Ostbevern entfernt. Bottrop hat im städtischen Bereich ein 740 km langes Fernwärmenetz, das das damit größte Fernwärmeunternehmen NRWs Iqony betreibt. Es versorgt Bottrop, Essen und Gelsenkirchen mit Wärme aus industrieller Abwärme. Zudem versorgt im Stadtteil Kirchhellen ein durch Biogas vom landwirtschaftlichen Betrieb Miermann bespeistes Nahwärmenetz seit über zehn Jahren öffentliche Einrichtungen wie Schule, Hallenbad und Krankenhaus. Dieses soll im Rahmen des Landeswettbewerbs „Prima. Klima. Ruhrmetropole“ um weitere Nutzer sowie Geothermie- und Photovoltaikanlagen auf angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen erweitert werden.
Bei rund 118 000 Einwohnern muss Bottrop Mitte 2026 die kommunale Wärmeplanung fertig haben. Das werde die Stadt nicht selbst übernehmen, teilte sie auf Nachfrage des Wochenblatts mit. Stattdessen werde sie mit Gladbeck und Gelsenkirchen ein Unternehmen beauftragen. Die Ausschreibung laufe. Aufgabe des Unternehmens werde es auch sein, vorhandene und potenzielle Wärmeproduzenten zu ermitteln. Wie er dabei auf Landwirte zugeht sowie die nötige Bürgerbeteiligung gewährleistet, müsse die Stadt mit dem Auftragnehmer diskutieren. Vorstellbar sei etwa zu Veranstaltungen einzuladen.
Schon bisher sei die Stadt Bottrop in gutem Austausch mit den örtlichen Landwirten und werde die Wärmeplanung im ländlichen Bereich offen mit Ihnen und den restlichen Bürgern diskutieren. Weiterer Einspeisung von Abwärme aus Biogasanlagen stehe sie offen gegenüber und auch über Agri-PV werde diskutiert. Eine Entscheidung sei aber noch nicht getroffen.
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