Noch hat in den meisten Dörfern jedes Haus seine eigene Heizung. Und noch laufen diese allzu häufig auf Basis von fossilem Heizöl oder Erdgas. Doch das muss sich ändern. Eine bewährte Option, um erneuerbare Wärme in die Häuser zu bringen, sind Nahwärmenetze. „Mit vorgefertigten, gedämmten Leitungen für Vor- und Rücklauf, die im Erdreich verlegt werden, lässt sich die Abwärme aus Blockheizkraftwerken oder die Wärme aus Holzheizkesseln preiswert verteilen“, sagt Michael Kralemann, Bioenergiefachmann beim 3N-Kompetenzzentrum in Werlte, Niedersachsen.
Viele Varianten von Abwärme bis Solarthermie
Nahwärmenetze lassen sich mit der Abwärme von lokalen Betrieben oder industriellen Prozessen betreiben. Alternativ können die Geothermie und vor allem Biogasanlagen oder Holzheiz(kraft)werke genutzt werden – eventuell ergänzt durch Freiflächen-Solarthermieanlagen. „Solarthermieanlagen können zwar nur rund ein Fünftel des Jahreswärmebedarfs decken, aber mit ihnen ist es möglich, im Sommer den Holzkessel abgeschaltet zu lassen und damit Brennstoff und teillastbedingte Emissionen zu vermeiden“, sagt Kralemann.
Als Brennstoff in Holzheizanlagen kann neben Restholz aus dem Wald auch Landschaftspflegeholz zum Einsatz kommen – auch wenn die Verwendung von Brennholz zunehmend kritisch gesehen wird.
Überragende Rolle für Bioenergie
Denn ungeachtet der Kritik und abseits der medialen Aufmerksamkeit spielt Bioenergie in der dezentralen Wärmeversorgung nach wie vor eine überragende Rolle. „Der Beitrag von Wärmepumpen und Solarenergie zur Wärmeerzeugung ist minimal. Und das Ansinnen, möglichst viele Häuser mit Wärmepumpen zu beheizen, ist bei älteren Häusern auch nicht immer sinnvoll“, erklärt Kralemann. Zudem werde, so der Experte, bei der Kritik an der Bioenergie der technische Fortschritt zu wenig berücksichtigt. Der Ausstoß von Staub sei trotz Zunahme der Holzheizkessel nachweislich gesunken. Kralemann: „Dazu verpflichtet auch die 1. BImSchV. Der Staubgrenzwert wurde seit dem Jahr 2010 von 150 mg/m³ Abgas bis heute auf 20 mg/m³ abgesenkt.“
Lösung Nahwärmenetze
Nahwärmenetze bieten sich insbesondere in Dörfern an, in denen viele Häuser über eine alte (fossile) Heizungsanlage verfügen, die bald ausgetauscht werden muss. Im Rahmen der Wärmewende bzw. der kommunalen Wärmeplanung können sie eine Möglichkeit sein. Stehen dann womöglich noch andere Baumaßnahmen, etwa eine Straßenerneuerung oder das Verlegen von Glasfaserkabeln an, kann der (ideale) Zeitpunkt für den Bau eines Wärmenetzes gekommen sein. „Vorteilhaft für solche Projekte ist es, wenn im Ort ein hoher Zusammenhalt besteht und sich dann auch noch Multiplikatoren für das Wärmenetz aussprechen“, sagte Kralemann. Die Planung sollte unabhängig, transparent und für alle Beteiligten offen und informativ erfolgen. Hilfreich für den Erfolg sei zudem das Einwerben von Fördermitteln sowie das Einbringen von Eigenleistungen.
Acht Tipps für die Wirtschaftlichkeit
Für den wirtschaftlichen Betrieb eines Wärmenetzes sind, so Kralemann, folgende Punkte wichtig:
- Das Netz muss so geplant sein, dass die Auslastung möglichst hoch ist. Dazu gehört, dass lange Leitungen zu einzeln stehenden Häusern möglichst vermieden werden. Eine Faustzahl: 500 bis 1000 kWh Wärme pro Meter Leitung und Jahr sollten es schon sein. Positiv wirken sich größere Abnehmer wie Altenheime oder Schulen aus.
- Die Dämmqualität der Leitungen muss gut sein, um Wärmeverluste zu vermeiden.
- Wärmeverluste vermeidet man auch dadurch, dass die Spreizung zwischen Vor- und Rücklauftemperatur möglichst hoch ist, also zum Beispiel 85 °C im Vorlauf zu den Häusern und 55 °C im Rücklauf zurück zum Heizkessel.
- Ganz vermeidbar sind Wärmeverluste nicht: Je nach Ausgestaltung des Netzes müssen Betreiber mit 20 bis 25 % Wärmeverlust rechnen.
- Die Investitionskosten müssen überschaubar bleiben. Als Faustzahl nennt Kralemann eine Kostenobergrenze für das Wärmenetz von rund 2 bis 3 Cent/kWh: Sind die Investitionskosten zu hoch, lässt sich das Netz allein über den Wärmepreis nicht refinanzieren. Dazu gehören auch die Kosten für die Hausanschlüsse, die unter 10 000 € bleiben sollten.
- Die Kosten für Wartung und Instandhaltung, Pumpenstromverbrauch sowie der Abrechnungsaufwand spielen für die Wirtschaftlichkeit ebenfalls eine Rolle und zeigen, wie wichtig die richtige Planung und Auslegung sind.
- Der Heizkessel bzw. das BHKW sollten gut ausgelastet (Betrieb in Volllast) sein. Dafür ist auch ein Pufferspeicher in entsprechender Größe nötig.
- Positiv können sich Skaleneffekte auswirken: So ist zum Beispiel eine große Hackschnitzelheizung wesentlich preiswerter als mehrere kleinere Anlagen zusammen.
„Für eine gute Wirtschaftlichkeit ist es nötig, die richtige Kombination zwischen günstiger Erstellung und hoher Auslastung des Wärmenetzes zu finden“, sagte Kralemann. Große Bedeutung habe auch die gute Information und Einbindung der Anwohner und nicht zuletzt die Vertragsgestaltung, die den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und preiswertem Wärmepreis schaffen muss.
Mögliche Hürden
Hinderliche Faktoren können sein:
- Missgunst gegenüber den Initiatoren, denen ein übermäßiger Gewinn unterstellt wird.
- Hohe Baukosten und eine schlechte Netzauslastung wegen einer weitläufigen Ortsstruktur.
- Felsiger oder nasser Untergrund sowie enge Straßen erschweren das Verlegen der Leitungen.
- Ein hoher Zeitdruck sowie geringes Eigenkapital.
- „Vom ersten Schritt bis zur Fertigstellung kann es rund 20 Monate dauern. Das müssen die Projektbeteiligten immer bedenken“, sagt Kralemann. Die Zeitschiene sieht seiner Erfahrung nach so aus:
- Erfassen der Verbrauchsdaten, Auslegen des Wärmenetzes und Berechnung der Wärmelieferkosten; Dauer: zwei bis sechs Monate.
- Information der Verbraucher, Beantragung der Fördermittel, Abschluss der Wärmelieferverträge; Dauer: drei bis vier Monate.
- Planung, Genehmigung, Baubeauftragung, Errichtung der Wärmeversorgung und Inbetriebnahme; Dauer: sechs bis zehn Monate.
Energie aus dem Boden: Darum setzt Bad Nauheim auf Geothermie
Geothermie – als Tiefenbohrung oder in der Fläche – ist eine weitere Möglichkeit, ein Nahwärmenetz klimaneutral mit Wärme zu versorgen. Ein Beispiel ist das Projekt „Kalte Nahwärme“ der Stadtwerke Bad Nauheim im hessischen Wetteraukreis, das 2018 an den Start gegangen ist. Um ein Neubaugebiet mit 400 Wohneinheiten in Ein- und Mehrfamilienhäusern mit Wärme zu versorgen, haben die Stadtwerke auf einer gut 22 000 m2 großen Ackerfläche in zwei Schichten übereinander (1,5 m und 3 m tief) Erdwärmekollektoren verlegt.
Über diese fließt nun das ganze Jahr Sole mit einer Temperatur von durchschnittlich 10 °C ins Wohngebiet. Wärmepumpen in den Häusern sorgen dort für den für Heizung und Warmwasser nötigen Temperaturanstieg. „Jedes Haus ist mit einer eigenen Wärmepumpe ausgestattet“, sagt Sebastian Böck von den Stadtwerken Bad Nauheim. Auf diese Weise ist es nicht nötig, ein „warmes“ Wärmenetz zu verlegen. Keine Wärme geht verloren.
Kühlungseffekt im Sommer
Im Sommer kann über das Wärmenetz eine Kühlung der Wohnungen erfolgen. Über Wärmetauscher gelangt die niedrigere Temperatur dann in die Fußbodenheizungen. Wer sich beim Kauf eines Grundstücks in dem Gebiet für die Nahwärme entschieden hatte, konnte bei den Stadtwerken ein Komplettpaket kaufen. Dazu gehörten neben Montage, Inbetriebnahme und regelmäßiger Wartung der Wärmepumpe auch der Hausanschluss für Wasser, Strom und Glasfaser.
Das gesamte Netz, aber auch die Wärmepumpen gehören den Stadtwerken. Aktuell bezahlen die Wärmekunden 14,28 Cent/kWh Wärme als Arbeitspreis. Einen Grundpreis erheben die Stadtwerke nicht.
Einmalzahlung und Ausgleich für Ernteausfälle
Die Ackerfläche ist im Eigentum eines Landwirtes, der sie nach dem Verlegen der Kollektoren wieder bewirtschaftet. Hierfür hat er mit den Stadtwerken eine Einmalzahlung vereinbart. Hinzu kam über drei Jahre eine Zahlung für Ernteausfälle.
Um die Erdkollektoren zu verlegen, waren umfangreiche Tiefbauarbeiten notwendig. Der Erde wurde getrennt nach Mutter- und Unterboden bis auf eine Tiefe von 3 m ausgehoben und später wieder aufgefüllt. „Bereits im zweiten Bewirtschaftungsjahr nach den Bauarbeiten hat der Landwirt keine Ertragsunterschiede mehr festgestellt“, sagt Böck.
Hallerndorf in Oberfranken setzt auf Hackschnitzel und Solarthermie
Die naturstrom AG im bayerischen Hallerndorf, Landkreis Forchheim, kombiniert eine Hackschnitzelheizung mit einer 1304 m2 großen Freiflächen-Solarthermieanlage und versorgt so über ein 5 km langes Nahwärmenetz den Ort mit Wärme. Beim Start im Jahr 2016 waren rund 70 Häuser angeschlossen, inzwischen sind es 109, darunter sechs kommunale Gebäude.
Installiert waren zunächst vier Heizkessel mit je 145 kW sowie ein Kessel mit 300 kW. Im Zuge der Erweiterung des Wärmenetzes wurden zwei der kleineren Kessel durch einen Kessel mit 550 kW ersetzt. Als Brennstoff dienen Holzhackschnitzel.
Solarthermie nutzt vor allem im Sommer
Eine wichtige Stütze der Wärmeversorgung ist die Solarthermieanlage. Die mit Röhrenkollektoren ausgestattete Anlage produziert bei Sonnenschein rund 4000 kWh Wärme am Tag. Bezogen auf das ganze Jahr kann sie bis zu 25 % des Energiebedarfs decken. Im Sommer ist sie fast die einzige Wärmequelle. Dann läuft nur einer der Heizkessel als Notreserve.
Für die Wärmespeicherung und zusätzliche Versorgungssicherheit sorgt der Wärmepufferspeicher mit 85 m3. Mit ihm kann die Wärmeversorgung auch im Winter für einige Stunden aufrechterhalten werden, falls Reparaturen notwendig sind oder Heizkessel kurzfristig ausfallen sollten.
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