Wer kümmert sich, wenn andere Unterstützung brauchen? Wer putzt und kocht und sorgt sich, wenn es um Kinder geht oder um Menschen, die Pflege oder Betreuung benötigen? Bei Familie Sperfeld aus Steinfurt übernimmt Familienvater Jörg diese Arbeiten. Seit vielen Jahren ist seine Frau Heike schwerstpflegebedürftig.
Pflegefall ändert alles
Wenn Jörg Sperfeld morgens um sechs Uhr zur Arbeit fährt, hat er seine Frau bereits gewaschen und angezogen. „Der Fahrdienst der Tagespflegeeinrichtung holt sie später ab und bringt sie gegen halb fünf auch wieder zurück“, berichtet der Jörg Sperfeld.
Als seine Frau Anfang 2016 mit 50 Jahren an einem Gehirntumor operiert wird, weiß keiner wie der 14-stündige Eingriff am Gehirn enden wird. Heike Sperfeld überlebt, doch es kommt zu Komplikationen. In der Folge erleidet sie zwei Schlaganfälle, liegt mehrere Monate im Koma, wird künstlich beatmet.
Seitdem war nichts mehr wie es vorher war“, sagt Jörg Sperfeld. Neben der Sorge um seine Frau muss er sich um die gemeinsamen Töchter kümmern, die zu der Zeit gerade einmal 13 und 16 Jahre alt sind. Er arbeitet in Vollzeit als Prozessoptimierer für Industrieroboter im 19 Kilometer entfernten Emsdetten. Nach Feierabend besucht er täglich seine Frau in der Klinik. Als diese erwacht ist sie ein Schwerstpflegefall.
Zwei Drittel des Kleinhirns sind zerstört. Sie ist gelähmt und kann nicht richtig schlucken. Über einen Kunststoffschlauch in der Luftröhre, einer Trachealkanüle, wird ihre Atmung unterstützt. Damit ist sie auf eine Intensivpflege angewiesen, schildert Jörg Sperfeld. Doch die kann er nicht leisten. Heike Sperfeld kommt zunächst in die Reha nach Köln und kann schließlich in eine ambulant betreute Wohngemeinschaft für Menschen mit Intensiv- und Beatmungspflegebedarf ins etwa 50 km entfernte Münster-Hiltrup einziehen. Jörg Sperfeld arbeitet weiterhin in Vollzeit, ist nun aber allein für Kinder, Haushalt, Garten etc. verantwortlich.
Sozialkontakte brechen ab
Angehörige können ihn dabei nicht unterstützen, wie er sagt. Und das soziale Umfeld? Fehlanzeige. „Einen Freundeskreis haben wir nicht mehr“, berichtet Jörg Sperfeld. Anfangs hätten Freunde und Bekannte noch nachgefragt, wie es ihnen gehe. Doch mit der Zeit sei das Interesse daran wohl erloschen. Es melde sich niemand mehr.
„Von den Kollegen wissen nur einige über meine Situation Bescheid. Ich bin der, der seine Frau pflegt. Nachfragen kommen selten. Ich glaube nicht, dass überhaupt jemand wahrnimmt, was ich alles leiste“, sagt Jörg Sperfeld. Auch im Wohnort kann er auf kein soziales Netzwerk zurückgreifen. Als Zugezogene in einer Wohnsiedlung, in der viele Häuser ihre Besitzer gewechselt hätten, gebe es so gut wie keine Kontakte und Unterstützung schon mal gar nicht.
Oft fühlt sich Jörg Sperfeld mit der Situation allein gelassen. Neben der Trauer um den Verlust seines alten Lebens mit gesunder Frau, belasten nun auch Zukunftsängste und finanzielle Sorgen. Die Doppelhaushälfte muss noch abbezahlt werden. Bei den Kindern in der Schule läuft nicht alles rund. Hinzu kommt die Doppelbelastung durch Haushaltsführung und Erziehung.
Verständnis und Wertschätzung für seine Arbeit findet er schließlich auf Facebook. „Ich habe mich dort einer Gruppe für pflegende Angehörige angeschlossen.“ Für anderes bleibt weder Zeit noch Interesse. Er muss funktionieren.
Plötzlich fällt Anspruch auf Intensivpflege weg
So oft es geht, besucht Jörg Sperfeld seine Frau, muss drum herum vieles organisieren. Als er einen ambulanten Intensivpflegedienst finden kann, der rund um die Uhr bei der Pflege entlastet und die Beatmung überwacht, holt er seine Frau wieder zu sich nach Hause. Das läuft viele Monate gut. Doch als seiner Frau die Trachealkanüle entfernt werden kann, ist es mit der 24-Stunden-Intensivpflege vorbei. Eine andere Lösung muss her.
„Die Unterbringung in einem Heim war keine Option für mich“, sagt Jörg Sperfeld. Zum Glück habe etwa zeitgleich die BHD-Tagespflegeeinrichtung des Betriebshilfsdienstes in Steinfurt eröffnet. So konnte er seine Frau an den Werktagen in die Tagespflege geben und weiterhin wie gewohnt seiner Arbeit nachgehen. Bei Pflegegrad V hat seine Frau Anspruch auf monatliches Pflegegeld von 947€ sowie auf 1995€ monatlich für eine Tages- und Nachtpflege. „Ohne Hilfen der Pflegeversicherung, wäre das alles nicht zu stemmen“, sagt Jörg Sperfeld.
Finanziell wird es eng
Doch mittlerweile reicht die finanzielle Unterstützung dafür nicht mehr aus. „Ich verdiene nicht schlecht und war immer Alleinverdiener in unserer Familie“, erzählt Jörg Sperfeld. Doch seitdem die Kosten im vergangenen Jahr für die Tagespflege um mehr als 20% gestiegen sind, könne er keine fünf Tagespflegen mehr finanzieren.
Heike Sperfeld geht nun nur noch viermal die Woche in die Tagespflege. Freitags arbeitet Jörg Sperfeld seitdem im Home-Office. „Ich will mich nicht beschweren, auch kein Mitleid erhaschen“, sagt Jörg Sperfeld. „Ich bin nur einer von vielen pflegenden Angehörigen, denen es ähnlich ergeht. Aber wer nicht selbst betroffen ist, weiß nicht was es bedeutet“.
Initiative Equal Care Day
Pflegen, erziehen, organisieren, den Haushalt führen... Ob im beruflichen, ehrenamtlichen oder privaten Kontext – „Care-Arbeit“ wird zu 80 % von Frauen geleistet. Verbunden ist „Fürsorgearbeit“ mit viel Verantwortung und wenig Wertschätzung. Sie findet häufig im Verborgenen statt, wird in der Öffentlichkeit meist wenig wahrgenommen. Um auf die mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung von Fürsorgearbeit aufmerksam zu machen, findet jedes Jahr am 29. Februar bzw. 1. März der Aktionstag ‚Equal Care Day‘ statt. Dahinter steckt ein Projekt des gemeinnützigen Vereins klische*ecs e.V.
Weitere Info unter
www.wochenblatt.com/equalcareday
Häufig sind in Partnerschaften Frauen für Kinderbetreuung und Hausarbeit zuständig. Das es auch anders gehen kann, zeigt folgendes Beispiel.
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