Die kleine Stufe am Eingang zur Bäckerei ist eigentlich kein Problem. Zumindest dann nicht, wenn man laufen kann. Doch für Rita Ebel aus Hanau im Main-Kinzig-Kreis sind die nicht mal 15 cm Höhenunterschied ein Hindernis. Denn seit etwa 30 Jahren sitzt sie im Rollstuhl. Die heute 67-Jährige verlor während einer Autofahrt das Bewusstsein und krachte in eine Hauswand. „Die Ärzte stellten einen inkompletten Querschnitt fest“, sagt sie. Das heißt: Sie kann ihre Beine fast nicht mehr bewegen. Ihre Perspektive: Ein Leben im Rollstuhl. Dass in diesem Leben auch Lego eine große Rolle spielen würde, das hätte sie nicht gedacht.
Bauplan aus dem Netz
Vier Monate nach ihrem Unfall verließ Ebel das Krankenhaus. Ihre Wohnung war nicht behindertengerecht und auch in ihrem Umfeld musste sie feststellen, dass überall Stolperschwellen lauerten. Doch Ebel wollte sich nicht ausbremsen lassen. Die sportbegeisterte Frau probierte alle Sportarten aus, die sich ihr anboten: „Ich habe gefochten, bin Kajak gefahren und habe mich beim Wasserski versucht“, blickt Ebel zurück. Beim Trick-Ski, einer Wettkampfdisziplin des klassischen Wasserski, wurde sie sogar Vize-Europameisterin. Doch auch sonst hielt die aktive Frau nicht still. „Mein Leben ist durch den Unfall anders geworden, aber nicht weniger schön“, sagt sie heute überzeugt.
Durch Zufall stieß Ebel nach 20 Jahren auf einen Bericht in einer Fachzeitschrift. Dort war auf einem Foto ein elektrischer Rollstuhl auf einer Rampe aus Lego zu sehen. Ein super Einfall, befand die gelernte Versicherungsfachangestellte, die bis zu ihrem Unfall als Geschäftsführerin in einer Baufirma tätig war. Warum also nicht fortan Rampen aus Lego bauen – für den guten Zweck.
Neu war die Idee, aus den bunten Steinen Rampen zu bauen, damals schon nicht mehr. Bereits 2014 hatte Raul Krauthausen, ein Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit, einen Bauplan für Rampen aus Lego ins Internet gestellt.
Rampen für alle
Ebel baute und sammelte ihre eigenen Erfahrungen. Sie probierte viel aus. „Zunächst bauten wir zwei einzelne schmale Spuren, mittlerweile zwei breite, die zusammengelegt eine große Fläche ergeben“, sagt sie. Mittlerweile bauen sie und ihr neunköpfiges Team die Rampen immer so. Dennoch wiegt jedes Element rund 9 kg. „Das Gewicht hängt maßgeblich von der Höhe der Stufe ab, die wir überwinden müssen“, erklärt Ebel, „aber höher als 16 cm darf sie nicht sein.“ Versuche, mehr als eine Stufe zu überwinden, scheiterten: „Das war dann zu steil und hätte dazu geführt, dass kein Rollifahrer sie eigenständig hätte benutzen können.“ Und eben darum geht es Ebel. Sie möchte, dass Menschen mit Beeinträchtigungen teilhaben können. „Und wenn wir es genau nehmen, helfen unsere Rampen auch vielen anderen Menschen – denen mit Kinderwagen oder Rollatoren“, ergänzt sie.
„Brachliegende Steine“
Die Rampen der Lego-Oma, wie Ebel sich nennt, sind offiziell keine. Denn Rampen müssen in Deutschland einer Norm unterliegen. Das heißt: Ihre Steigung darf nicht größer als 6 % sein. „Daher bauen wir offiziell nur Auffahrhilfen“, schmunzelt die 67-Jährige. Den Einfall dazu hatte ihr heutiger Mann Wolfgang. Die Abgrenzung ist wichtig, weil sonst Gewährleistungs- und Haftungsansprüche folgen könnten. Und dass, obwohl Ebel keine Rampe je verkauft hat. Sie sind alle ein Geschenk. Die meisten der 116 Rampen, die sie mit ihrem Team in den vergangenen fünf Jahren gebaut hat, stehen im öffentlichen Raum und kommen so der Allgemeinheit zugute.
Nur selten bauen sie für Einzelpersonen. „Das können wir einfach nicht leisten“, erzählt Ebel, die mittlerweile deutschlandweit unterwegs ist, um mit Schulen oder Vereinen Rampen zu bauen. „Es macht wahnsinnig viel Freude, kostet aber auch viel Zeit – und Steine“, sagt Ebel. An eben diesem Punkt hakt es ab und an. Denn Ebel baut nur aus „brachliegenden Steinen“, wie sie es nennt. „Wir wollen nur die Steine nutzen, die ohnehin ungenutzt auf dem Dachboden liegen“, erklärt sie, „auf gar keinen Fall wollen wir Kindern ihr Spielzeug klauen.“ Ebel hat Glück. Immer wieder melden sich Menschen bei ihr, die Steine spenden wollen. Gerade wenn Ebel Rampen mit Motiven in entsprechenden Farben bauen will, ist das auch nötig. Ihre Bauanleitungen stehen im Internet – in neun Sprachen – und wurden über 800 Mal in die Welt verschickt.
Kritik an der guten Sache?
Doch nicht überall trifft Ebels Tun auf Lob. Raul Krauthausen, der Urheber der Legorampen, distanziert sich mittlerweile von seiner damaligen Idee. Auf seiner Internetseite nennt er den Bau von Legorampen inzwischen „Fürsorgekampagnen“. Er schreibt: „Sie lenken von den eigentlichen Herausforderungen ab.“ Er fordert dazu auf, Politik und Verwaltung an ihre Verantwortung für mehr Barrierefreiheit zu erinnern.
Rita Ebel ist da anderer Meinung: „Das eine tun heißt doch nicht, das andere lassen.“
Mehr Infos auf Instagram: die_lego_oma und Facebook dielegooma
Lesen Sie mehr: