Saisonkräfte können Sie unter bestimmten Voraussetzungen kurzfristig und damit sozialabgabenfrei beschäftigen. Welche Tücken hier lauern und wo die Betriebsprüfer momentan besonders genau hingucken, darüber informierte Geschäftsführerin Marion von Chamier auf der diesjährigen Informationsveranstaltung des Arbeitgeberverbandes der Westfälisch-Lippischen Land- und Forstwirtschaft (WLAV) am 7. Februar 2024 in Dülmen.
Eine kurzfristige Beschäftigung
- ist auf 3 Kalendermonate beziehungsweise 70 Arbeitstage beschränkt. Beschäftigen Sie die Aushilfe mehrmals im Jahr, also zum Beispiel im Frühjahr und Herbst desselben Jahres, gelten insgesamt 90 Kalendertage als Grenze.
- darf nur „gelegentlich“, also ohne feste Wiederholungsabsicht ausgeübt werden. So darf die Aushilfe zwar wiederholt, etwa jährlich oder mehrmals pro Jahr wiederkommen. Die erneute Tätigkeit dürfen Sie aber nicht von vornherein vertraglich vereinbaren, sondern Sie sollten den neuen Vertrag erst direkt vor Arbeitsbeginn unterschreiben lassen. Auf der sicheren Seite sind Sie, wenn Beginn und Ende der Saisonbeschäftigung von Jahr zu Jahr variieren.
- darf nicht „berufsmäßig“ ausgeübt werden: Das gilt grundsätzlich als erfüllt etwa bei Hausfrauen und -männern, Selbstständigen, Schülern, Studenten, Schulabgängern, Beamten und Arbeitnehmern mit versicherungspflichtiger Hauptbeschäftigung, die nicht aus Osteuropa kommen.
Viele der kurzfristig beschäftigten Saisonkräfte aus Osteuropa sind Hausfrauen und -männer. Das Problem: Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) und besonders die DRV Westfalen zweifelt bei Betriebsprüfungen in letzter Zeit häufig die Angabe an, Hausmann oder -frau zu sein. Dies tut sie insbesondere bei jungen, ledigen Personen und Paaren, wenn beide im Betrieb als Hausfrau oder -mann sozialabgabenfrei beschäftigt sind. Zudem fordern die Prüfer weitere Einkommensnachweise an. Hingegen verlangte der von der Deutschen Rentenversicherung 1998 entwickelte Fragebogen zur Ermittlung der Sozialversicherungspflicht beziehungsweise -freiheit bis März 2020 keinerlei Angaben zum Lebensunterhalt von Hausfrauen/-männern.
In der Folge stuften Betriebsprüfer insbesondere im vergangenen Jahr Hausfrauen/-männer vielfach als berufsmäßig und damit versicherungspflichtig ein und forderten Sozialabgaben nach.
Positive Urteile
Inzwischen gibt es aber mehrere sozialgerichtliche Urteile etwa vom Sozialgericht (SG) Freiburg (Az.: S 14 BA 2109/18 und S 12 BA 252/18) und einen Beschluss vom SG Lüneburg (Az.: 1 BA 15/22 ER), sowie zwei Urteile vom Landessozialgericht Baden-Württemberg (Az.: L 11 BA 3083/20 und L 8 BA 2385/22), die die Position der Landwirte stärken. Der Tenor: Unterstellt die DRV, dass die Saisonkraft entgegen den Angaben keine Hausfrau/-mann ist, muss sie das beweisen. Kann sie das nicht, muss sie die Angaben akzeptieren, anstatt darauf zu verweisen, dass Nachweise fehlen und folglich Beiträge nachzuzahlen sind. Im neuesten Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom Oktober 2023 urteilten die Richter gar, dass die Arbeitgeber nicht nur nicht verpflichtet, sondern nicht einmal berechtigt sind, Angaben von Saisonkräften in Fragebögen zu hinterfragen oder zu ermitteln, wovon der Lebensunterhalt bestritten wird. Zudem müsse die Frage, ob jemand berufsmäßig tätig ist, unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen im Heimatland bewertet werden, da es sonst angesichts der dortigen deutlich niedrigeren Einkommen zur Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer käme. Eine Offenlegung des Einkommens der Ehe- oder Lebenspartner dürfe auch zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers nicht verlangt werden.
Gefahr von Nachzahlungen
Diesen erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungen steht ein einzelnes erstinstanzliches Urteil des SG Landshut vom März 2023 entgegen (Az. S 1 BA 3/21, Berufung zum Landessozialgericht Bayern anhängig): Nach Meinung der dortigen Richter seien Saisonkräfte aus osteuropäischen Niedriglohnländern im Regelfall als hier berufsmäßig tätig anzusehen. Bei der Prüfung der Berufsmäßigkeit komme es entscheidend auf den Anteil an, den die Vergütung aus der geringfügigen Tätigkeit am Jahreseinkommen der betreffenden Person hat. Zum Gesamteinkommen sollen alle Einkünfte aus selbstständiger und unselbstständiger Beschäftigung, ebenso Kapitalerträge und sonstige Zuflüsse wie Unterhaltszahlungen zählen.
Durch dieses Einzelurteil bestärkt, stuft die DRV besonders seit letztem Frühjahr bei Betriebsprüfungen junge ledige Hausmänner und -frauen sowie Pärchen, die beide für den Betrieb arbeiten, als versicherungspflichtig ein und erhebt teils hohe Nachforderungen.
Mehrere 100 000 €
Bei einem Betrieb, der vom WLAV betreut wird, geht es um Nachforderungen von mehreren 100 000 €.
Nun sollen zwei Musterklageverfahren in Westfalen-Lippe Klarheit schaffen, die allerdings allein bis zum Abschluss der ersten Instanz bis zu zwei Jahre dauern.
Brisant: Sogar, wenn Sie gegen einen Nachforderungsbescheid mit Widerspruch und Klage vor das Sozialgericht ziehen, hat das in der Regel keine aufschiebende Wirkung. „Auch, wenn wir eine gute Argumentationsbasis haben: Fordert der Prüfer von Ihnen 50 000 € nach, müssen Sie die erst einmal zahlen“, ärgerte sich von Chamier auf der Veranstaltung in Dülmen.
Wie weiter machen?
Wer trotzdem weiterhin Hausmänner oder -frauen als kurzfristig Beschäftigte anstellt, dem gab die Geschäftsführerin des WLAV folgende Tipps, um möglichst auf der sicheren Seite zu sein:
- Die Aushilfe sollte den Fragebogen zur Feststellung der Sozialversicherungspflicht komplett selbst und mit einem Stift ausfüllen. Keinesfalls sollten Sie als Arbeitgeber das ganz oder teils übernehmen, auch nicht, um Lücken zu füllen.
- Kann die Saisonkraft nicht selbst schreiben, sollte das ein Familienmitglied im Heimatland übernehmen.
- Bei Frage 6 müssen die Erntehelfer nicht nur die Eigenschaft Hausmann/-frau ankreuzen, sondern auch angegeben, seit wann sie Hausmann oder -frau sind. Kontrollieren Sie, dass das Feld nicht frei bleibt. War die Saisonkraft schon in früheren Jahren bei Ihnen als Hausmann/-frau kurzfristig beschäftigt, sollte diese Zeitangabe nicht nach dem ersten Beschäftigungsjahr bei Ihnen liegen.
- Im April 2020 änderte die DRV den Fragebogen. Seitdem will sie in Frage 7 von Hausfrauen und -männern wissen, wovon diese ihren Lebensunterhalt in der Heimat bestreiten. Dies kann beispielsweise die Angabe sein, dass der Partner in einem Arbeitsverhältnis steht oder dass die Eltern Rente beziehen und die Saisonkraft den Haushalt für sie führt. Am besten ist es – auch wenn Sie dazu nach Auffassung des WLAV nicht verpflichtet sind – wenn möglich, Einkommensnachweise wie Lohnabrechnungen oder Rentenbescheide anderer in dem Haushalt lebender Personen mitzuliefern. Zur Not können das auch einfache Erklärungen dieser Personen sein.
- Überprüfen Sie alle Fragebögen ab April 2020, ob die neuen Fragebögen verwendet und die Angabe zum Lebensunterhalt unter Frage 7 beantwortet wurde.
- Füllen die Saisonkräfte die Fragebögen in ihrer Sprache aus, was erlaubt ist, sollten Sie die Antworten beispielsweise mit „Google Translater“ übersetzen und die Übersetzung darunter schreiben. So ersparen Sie dem Prüfer lästige Arbeit und können gleichzeitig die Antworten überprüfen.
- Bei Ehepaaren sollten Sie – wenn überhaupt – nur einen von beiden sozialabgabenfrei beschäftigen.
Große Unsicherheit
Trotz dieser Tipps war die Unsicherheit der anwesenden Betriebsleiterinnen und -leiter zu spüren. Vielfach war zu hören, sie wüssten selbst noch nicht, ob sie es wagen sollten, auch dieses Jahr die Saisonkräfte als Hausfrauen und -männer sozialabgabenfrei zu beschäftigen oder lieber in den sauren Apfel beißen und Sozialabgaben auf den weiter steigenden Mindestlohn schultern sollten.
Auch noch wichtig für Arbeitgeber
Arbeitszeiterfassung: Auch, wenn Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer zu erfassen (siehe Ausgabe 36/2023, S. 72), gibt es dazu aktuell keine Bußgeldvorschriften. Bei einer ersten Kontrolle droht Ihnen daher kein Bußgeld. Die Behörde kann dabei nur eine Anordnung treffen, die Arbeitszeit zu erfassen. Erst wenn Sie gegen diese Anordnung verstoßen sollten, können die Beamten ein Bußgeld verhängen.
Ausgleichsabgabe: Ab 20 Arbeitskräften (AK) müssen Betriebe 5 % ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Erfolgt dies nicht, muss der Betrieb eine Ausgleichszulage zahlen, die am 1.1.24 angestiegen ist. Zu den Arbeitskräften zählen alle mit mindestens 18 Arbeitsstunden/Woche und auch Saisonkräfte zeitanteilig, wenn sie länger als 8 Wochen im Betrieb sind. Eine Saisonkraft, die zum Beispiel 4 Monate im Betrieb ist, entspricht 0,33 AK (= 4/12). Die Abgabe wird immer zu Beginn des Jahres für das Vergangene erhoben, wenn sich die Bundesagentur für Arbeit von sich aus bei Ihnen meldet. Sie steigt an, je weniger Schwerbehinderte im Betrieb beschäftigt sind. Ein Beispiel: In einem Betrieb mit 5 Festangestellten und 405 Saisonkräften, die jeweils 4 Monate bleiben, müssten eigentlich 7 Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden (405 x 4/12=135 + 5= 140 x 5 % = 7). Beschäftigt der Betrieb aber keine einzige schwerbehinderte AK, fällt pro Monat eine Ausgleichsabgabe von 720 € pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz an, damit insgesamt 60 480 € (=720 € x 7 x 12 Monate) für das Jahr 2024. Ein Tipp: Kaufen Sie Betriebsmittel etwa bei Werkstätten für behinderte Menschen ein, wird die Hälfte des Betrages, den Sie für die Arbeitsleistung bezahlen, auf die zu zahlende Abgabe angerechnet.
Elektronische Rechnungen: sollen als „strukturierte, maschinenlesbare“ Datensätze Papierrechnungen oder Rechnungen als Pdf-Dateien ersetzen und ermöglichen die automatische und elektronische Verarbeitung etwa über Programme wie ZUGFeRD oder XRechnung. Das Wachstumschancengesetz sieht vor, dass bereits ab 1.1.2025 jeder Unternehmer elektronische Rechnungen empfangen und verarbeiten können muss.
Künstlersozialabgabe: Bis zum 31. März müssen Sie alle Entgelte, die Sie im letzten Jahr an Künstler oder Publizisten etwa für die Erstellung einer Internetseite oder von Flyern bezahlt haben, an die Künstlersozialkasse melden, die darauf dann unverändert 5 % Abgabe erhebt. Die Buchstellen übernehmen diese Meldung für Sie.