Für die einen ist es ein Siegeszug und Symbol einer intakten Natur. Die anderen verfolgen die Populationsentwicklung skeptisch und mit großer Sorge. Fakt ist: Freilebende Wölfe haben sich in Deutschland von Sachsen in Richtung Nordwesten bis zur Nordsee ausgebreitet.
In der DDR bejagt worden
Nachdem zur Jahrtausendwende auf einem Truppenübungsplatz in der sächsischen Oberlausitz ein Wolfspaar Nachwuchs bekommen hat, lauten die aktuellen Wolfszahlen für Deutschland: 128 Wolfsrudel, 35 Paare und zehn Einzeltiere. Das meldete die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes (DBBW) für das Monitoringjahr 2019/20. Die tatsächlichen Wolfszahlen in Deutschland werden aber höher sein. Denn ein Monitoringjahr erstreckt sich jeweils vom 1. Mai bis zum 30. April. Das heißt, in den Angaben des DBBW ist die Zahl der im Jahr 2020 geborenen Welpen noch nicht enthalten.
Im Mittel hat eine Wölfin vier bis acht Junge. Ein Rudel besteht durchschnittlich aus etwa acht Tieren: dem Elternpaar, den diesjährigen Welpen und denen des Vorjahres. Aktuell dürften bundesweit rund 1500 Wölfe unterwegs sein. Die meisten Wolfsrudel leben aktuell in Brandenburg (47), gefolgt von Sachsen (28) und Niedersachsen (23). Ganz aus Deutschland verschwunden war der Wolf übrigens nie – zumindest nicht aus Brandenburg und Sachsen. In der DDR zählte „Canis lupus“, so der wissenschaftliche Name, zu den jagdbaren Wildarten. So war es gängige Praxis, Wölfe zu erlegen, die aus dem Osten einwanderten.
In NRW tauchte erstmals 2009 ein Wolf aus dem hessischen Reinhardswald auf. Von da an bis Ende 2020 wurden in NRW 208 Wolfsmeldungen bestätigt. Das meldet der NABU NRW. Häufig habe jedoch ein Wolf für gleich mehrere Nachweise gesorgt. Nachdem Einzeltiere in verschiedenen Regionen von NRW standorttreu wurden, erfolgte die Ausweisung sogenannter Wolfsgebiete durch das Umweltministerium.
- Den Auftakt bildete im Oktober 2018 das Wolfsgebiet Schermbeck im Kreis Wesel, wo es mittlerweile ein Rudel gibt. Ende Dezember 2018 wurde das Wolfsgebiet Senne ausgewiesen.
- Am 5. April 2019 wurde eine Pufferzone zum rheinland-pfälzischen „Wolfsterritorium Stegskopf“ geschaffen. Seit dem 2. Juli 2019 existiert das dritte Wolfsgebiet „Eifel-Hohes Venn“.
- Im August 2020 folgte das „Oberbergische Land“ als viertes Wolfsgebiet. Wie in Schermbeck gibt es hier bereits ein Rudel.
Der Haken dabei: als größter Vertreter der hundeartigen Raubtiere ist ein Wolf nicht auf Wildnis angewiesen, sondern kann jeden Lebensraum besiedeln. Als „Nahrungsgeneralist“ erbeutet er die Tiere, die leicht verfügbar sind, und unterscheidet nicht zwischen wild lebenden und domestizierten. Allein 2019 wurden in Deutschland knapp 900 Wolfsübergriffe auf Nutztiere bestätigt. Laut DBBW kam es dabei zu knapp 2900 Schadensfällen (getötete, verletzte bzw. vermisste Tiere).
Guter Erhaltungszustand?
Der Erhaltungszustand des Wolfes ist alle sechs Jahre im Rahmen der für die europäischen Naturschutzrichtlinien an die EU zu erstellenden Berichte zu ermitteln. Die Bewertung des Erhaltungszustands der Wölfe hat getrennt nach biogeografischen Regionen zu erfolgen, wobei Deutschland Anteil an der atlantischen (Nordwestdeutschland), kontinentalen (Süd-und Ostdeutschland) und der alpinen Region (Alpenraum) hat. Hierbei zählen nicht nur die Bestandszahlen. Zu berücksichtigen sind das natürliche Verbreitungsgebiet, der Lebensraum und die Zukunftsaussichten. „Trotz der Vermehrung der Wölfe in Deutschland wurde bislang aufgrund der noch zu geringen Anzahl und Verbreitung der Wölfe deren Erhaltungszustand mit ,ungünstig-schlecht‘ bewertet“, teilte das Bundesumweltministerium (BMU) 2019 bezogen auf den Berichtszeitraum 2013 bis 2018 mit. „Erst wenn es Wölfe auch in bisher nicht vom Wolf besiedelten aber besiedelungsfähigen Gebieten gibt und die Anzahl so groß ist, dass der Wolf auch langfristig in Deutschland ohne Inzuchterscheinungen überleben kann, kann sein Erhaltungszustand mit „günstig“ bewertet werden“, so das BMU. Das sehen Nutzerverbände wie der Deutsche Bauernverband, der Deutsche Jagdverband und die Deutsche Reiterliche Vereinigung, die sich im Aktionsbündnis Forum Natur (AFN) zusammengeschlossen haben, anders. Der dauernde Druck von Wölfen aus Polen und Russland belege, dass sich der Wolf in Europa längst im günstigen Erhaltungszustand befindet.
Besonderer Schutzstatus
Seit der Wiedervereinigung 1990 genießt der Wolf bundesweit nach dem Naturschutzgesetz höchstmöglichen Schutz. Bis Ende der 1990er-Jahre galt er in einigen Bundesländern noch als jagdbare Art, allerdings mit ganzjähriger Schonzeit. Mehr als zehn Jahre unterlagen Wölfe dann bundesweit nur dem Naturschutzrecht. Erst mit der Änderung des Jagdgesetzes in Sachsen 2012 wurde der Wolf dort als bislang einzigem Bundesland wieder ins Jagdrecht aufgenommen – da es sich um eine streng geschützte Art handelt – allerdings ohne Jagdzeiten. Den rechtlichen Rahmen auf EU-Ebene bildet die 1992 unterzeichnete Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL). Dort ist der Wolf in den Anhängen II und IV gelistet. Demnach handelt es sich um eine „streng zu schützende Tierart von gemeinschaftlichem Interesse“ (Anhang IV). Von zentraler Bedeutung in der FFH-RL ist Art. 12, Abs. 1. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten, für Anhang-IV-Arten ein strenges Schutzsystem in deren natürlichen Verbreitungsgebieten zu etablieren. Verboten ist das Töten und Fangen sowie jede absichtliche Störung dieser Arten. Eine Ausnahme ermöglicht Art. 16 – sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Population in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung in einem „günstigen Erhaltungszustand“ verweilt. Unter dieser Prämisse können dann beispielsweise folgende Begründungen rechtfertigen, Wölfe zu entnehmen:
- zum Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung natürlicher Lebensräume,
- zur Verhütung ernster Schäden (zum Beispiel bei Weidetierhaltung),
- im Interesse öffentlicher Sicherheit sowie zu Forschungszwecken.