Fast jeder vierte Unfall im Kreis Coesfeld ist ein Wildunfall. „Das ist eindeutig zu viel“, sagt Thomas Eder von der Kreispolizeibehörde. Hinzu kommt: Die Zahl der Wildunfälle steigt. Wurden 2018 im Kreisgebiet 1273 Verkehrsunfälle mit Wild registriert, waren es im Jahr darauf 1434. „Überwiegend ist Rehwild beteiligt, teilweise auch Damwild“, informiert Eder. Denn auch davon gebe es im Kreisgebiet viel. Zum Glück kamen dabei in den vergangenen Jahren nie Menschen zu schaden.
Die Polizei selbst kann wenig tun, um die Zahl der Wildunfälle zu senken. „Was wir haben, ist die Statistik. Und wir können Beteiligte an einen Tisch holen“, sagt der Polizeibeamte. Und genau das hat er getan. Ende Oktober dieses Jahres wurden Vertreter verschiedener Ämter, Organisationen und Verbände ins Kreishaus eingeladen: vom Jagdbeirat, vom Regionalforstamt Münsterland, von der Unteren Jagdbehörde, vom WLV-Kreisverband, von der Landwirtschaftskammer NRW, von Straßen NRW, von der Kreisjägerschaft sowie von der Kreisverkehrswacht Coesfeld. Als Gast eingeladen war zudem Jürgen Bauland von der Kreispolizeibehörde Steinfurt. Er berichtete von den in seinem Kreis bereits gesammelten Erfahrungen.
Beteiligte vernetzen
„Wir haben alle diejenigen zusammengeholt, die möglicherweise direkt oder auch indirekt Einfluss auf das Wildunfallgeschehen haben“, erläutert Eder. Dazu gehört zum Beispiel die Jägerschaft mit direktem Einfluss auf die Jagdstrecke, aber auch die Landwirtschaft. „Hier gilt es darüber nachzudenken, wo beispielsweise Blühstreifen angelegt werden sollten und wo besser nicht, beispielsweise an Hauptverkehrsstraßen.“ Auch die Zusammensetzung der Saatgutmischung hat möglicherweise Einfluss auf das Unfallgeschehen. Denn insbesondere Buchweizen zieht Rehwild magisch an – und im Zweifelsfall über die Straße.
Die Straßenbaulastträger sind über Wildzäune und Straßenbegleitgrün mit „im Boot“. Es stellt sich auch die Frage, inwiefern Warnschilder wie „Achtung – Wildwechsel“ überhaupt beachtet werden oder wie sich dies verbessern lässt. „Und indem Wildunfälle elektronisch erfasst und ausgewertet werden, lassen sich möglicherweise Straßenabschnitte ermitteln, an denen sich das Wildunfallgeschehen konzentriert. „Die Idee ist, an solchen Stellen mit allen Beteiligten Ortsbegehungen zu machen, um zu klären, was möglicherweise die Ursache ist, um dann gezielt entgegenwirken zu können.
Anfang 2021 soll, als organisatorischer Rahmen, eine Kooperation gegründet werden, deren Mitglieder sich künftig zweimal jährlich treffen. „Ziel ist es, die entscheidenden Personen zusammenzubringen und zu vernetzen“, so Eder.
Erfahrungen aus Steinfurt
Eine bessere Zusammenarbeit der Behörden und Verbände, gezielte Bejagung und auffällige Warnschilder – mit diesen Mitteln wird seit drei Jahren im Kreis Steinfurt versucht, die Zahl der Wildunfälle zu senken. Jeder fünfte Unfall war dort in der Vergangenheit ein Wildunfall.
„Wir sind auf einem guten Weg“, zieht Jürgen Bauland von der Kreispolizeibehörde Steinfurt und selbst Jäger ein erstes positives Fazit. Waren es 2018 noch knapp 2400 Wildunfälle und 2019 sogar mehr als 2600, wurden bis Anfang Dezember dieses Jahres „nur“ 2000 Wildunfälle registriert. „Bis zum Jahresende werden es in der Summe dann eventuell rund 2200 Wildunfälle im Kreisgebiet sein“, schätzt der Polizeibeamte – aber immer noch deutlich weniger als in den Vorjahren. Könnte weniger Verkehr aufgrund der Corona-Pandemie eine Rolle gespielt haben? „Im März war das schon zu spüren, aber im April war die Verkehrssituation wieder normal“, so Bauland. Nach seiner Auffassung hat die Vorverlegung der Jagdzeit auf Rehwild in den April deutlich größeren Einfluss gehabt. Von der zusätzlichen Jagdmöglichkeit sei reger Gebrauch gemacht worden.
„Einen zusätzlichen Effekt hatten sicher auch Geschwindigkeitsmessungen an Wildunfallschwerpunkten, die wir im November und Anfang Dezember durchgeführt haben“, informiert Bauland. Daran teilgenommen hätten stets auch Jäger, die an die Pkw-Fahrer Infomaterial verteilten. Begleitet wurden diese Aktionen zudem von der Presse. „Über die Medien halten wir das Thema gut am Kochen“, betont der Fachmann.
Hilfreich ist zudem eine „Wildunfallkarte“, die auf der Internetseite des Kreises und der Kreisjägerschaft zu finden ist und die die Unfallorte seit dem Jagdjahr 2018/19 zeigt. „In Zusammenarbeit mit Straßen NRW werden nun an verschiedenen Stellen Wildschutzzäune neu aufgestellt bzw. defekte Zäune instand gesetzt“, berichtet Bauland. In Abstimmung mit den Baulastträgern seien zudem zwei neu gestaltete auffällige Warnschilder zwischen Saerbeck und Hörstel-Riesenbeck bzw. zwischen Lengerich und Lienen sowie zusätzlich mit Obleuten der Jägerschaft an anderen Straßen große Plakate des Landesjagdverbandes aufgestellt worden, die auf die Wildunfallgefahr hinweisen. „Es hat sich einiges getan“, fasst Bauland die Situation im Kreis Steinfurt zusammen. Positiv wertet er, dass bei der Bejagung langsam ein Bewusstseinswandel einsetzt und mehr weibliche Stücke gejagt werden. Seine Empfehlung: Gerade zu Beginn der Jagdzeit an Straßen gezielt auf Schmalrehe und Jährlinge ansitzen. In dem Revier, wo Bauland jagt, konnte so der Anteil Verkehrsfallwild an der Gesamtstrecke von 33 % auf 8 % gesenkt werden.