Sonnenschein, warme Temperaturen und kaum Wind. „Das Wetter passt“, sagt Jan Feldmann, während er Helm und Klettergurt anlegt. An seinem Bulli packt er Wurfleine, Kletterseil und verschiedene andere Hilfsmittel zusammen. „Viel Geraffel“, scherzt er. Noch schnell die Handsäge samt Holster ans Bein gebunden und fertig. Heute geht es für den 36-Jährigen sprichwörtlich hoch hinaus: Küstentannen sollen beerntet werden, so der Auftrag – in mehr als 25 m Höhe.
Arbeitsplatz in der Krone
Jan Feldmann ist klettererfahren. Seit gut sechs Jahren erntet der gelernte Zimmerer Zapfen und pflegt Bäume. Seit ein paar Jahren ist der Oldenburger zusammen mit seinem Bruder selbstständig, erzählt er, als er auf die erste, mit gelbem Band markierte Küstentanne zugeht. Dabei schaut er sich den Baum bereits genau an und prüft, über welchen Ast er später seine Wurfleine schießt. Am Baum angekommen dann die gewohnten Handgriffe: das „Geraffel“ abstellen, den Arbeitsbereich freiräumen und die Wurfleine zur Hand nehmen. Mit dem „Big Shot“ – einer an einem Stock befestigten Schleuder – katapultiert Feldmann das Wurfgewicht am Ende der wenige millimeterdünnen Leine in die Krone der Küstentanne. Nahe am Stamm – ein perfekter Schuss. Der Zapfenpflücker lässt die Wurfleine zu Boden, befestigt das Kletterseil an ihr und zieht die Leine zurück über den Tannenast. Anschließend knotet er das Kletterseil am Stamm fest. „Wir können“, sagt Feldmann und klettert mithilfe spezieller Schlingen mit Beinkraft das Seil hinauf.
Diese Küstentanne ist eine von 20, die Jan Feldmann und sein Kollege in den nächsten zwei Tagen im Regionalforstamt Arnsberger Wald beernten werden. Der etwa 6 ha große Bestand befindet sich im Forstbezirk Rumbeck und ist Landeswald. „Dieser Bestand ist einer von etwa 270 zugelassenen Saatgutbeständen im Landesbesitz“, sagt Johannes Jesch, Saatgutexperte bei Wald und Holz NRW. Allerdings gibt es darunter nur sehr wenige Küstentannenbestände. Das Saatgut aus dem 60-jährigen Bestand erntet Feldmann übrigens für eine Baumschule, an die das Forstamt das Saatgut verkauft hat.
(K)eine reiche Ernte
„Viele Zapfen bedeuten noch keine gute Ernte“, erklärt Jesch. Deshalb hat er zusammen mit seinem Kollegen Hinnerk Uhlenbrock vor einigen Tagen eine Probebeerntung durchgeführt. Damit sich die Ernte lohnt, brauchen wir 12 bis 15 lebende Kerne“, sagt der Förster. Gemeint ist damit aber nicht der ganze Zapfen: Für die Probe schneiden die Saatgutkenner den Zapfen entlang der Mitte – der Spindel – auf. Die im Schnittbild sichtbaren, gesunden Kerne werden anschließend gezählt.
Damit beginnt auch Jan Feldmann, nachdem er in der Baumspitze angekommen ist.
Doch bereits der erste Zapfen ist eine „Niete“: zu wenig gesunde Samenkerne. Trotzdem macht sich der Oldenburger an die Ernte der Zapfen, pflückt nach und nach den Baumwipfel leer und packt die Tannenzapfen in einen Sack. Zwischendurch immer wieder ein Griff zu einer Flasche, die Feldmann mit einem Band am Klettergurt befestigt hat. Darin befindet sich aber kein Trinkwasser, sondern Olivenöl. Weil die Tannenzapfen sehr harzig sind, schmiert der Zapfenpflücker sich immer wieder seine Hände mit dem Öl ein. Sonst würden seine Finger zusammenkleben.
Insgesamt sind die Ernteaussichten in diesem Jahr nicht so gut.
Leider nur „Sprengmast“
Grund dafür ist das vergleichsweise kühle und feuchte Frühjahr, dazu verschiedene Wetterkapriolen. Darum ist die Baumblüte nur spärlich ausgefallen und viele Früchte und Zapfen sind zerstört worden. Die Küstentannen im Arnsberger Wald tragen hingegen viele Zapfen, wenngleich dies „nur“ eine Sprengmast ist, fasst Jesch zusammen. Damit meint der Saatgutexperte, dass nur einzelne Bäume Früchte tragen. Diese hat er in den vergangenen Tagen markiert. Bei Arbeitskosten von rund 500 € pro Tag dürfen die Zapfenpflücker nicht „umsonst“ die Bäume hinaufklettern. Derweil pflückt Jan Feldmann weiter Zapfen – von Weitem erkennbar anhand wackelnder Äste und knackenden Zweigen.
Mit 250 bis 350 €/kg – je nach Keimfähigkeit – kalkuliert Jesch derzeit den Preis für Küstentannensaatgut. In diesem Fall hat der Kunde kein aufbereitetes, sondern Rohsaatgut gekauft. Das bedeutet: Zapfen statt fertig verpackter Samenkerne. Der Preis für die Zapfen ist mit 1,25 €/kg deutlich geringer.
Nach gut 30 Minuten ist Jan Feldmann fertig. „Vorsicht“, ruft er aus der Baumkrone, wartet kurz und wirft einen Sack voller Zapfen zum Boden. Danach steigt er aus der Krone ab. „Gut 15 kg“, schätzt er. Mittlerer Behang. Nach einem kurzen Telefonat geht die Ernte weiter. Der Kunde braucht das Saatgut. Während Jesch den Zapfensack wiegt und exakt 15 kg feststellt, löst Jan Feldmann den Kletterknoten, zieht sein Kletterseil aus dem Baum und rollt es sorgfältig auf. Danach ein Schluck Wasser, ehe er zum nächsten Baum geht.