Anstatt 25 sind es mittlerweile mindestens 34 Wisente, die im Rothaargebirge ihre Spuren hinterlassen. Diese Zahl nannte der Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein, Andreas Müller, anlässlich der Sitzung des Umweltausschusses am Donnerstag vergangener Woche in Siegen. Doch wie es mit der frei lebenden Herde weitergehen soll, ist nach wie vor offen.
Es war ein Versuch
„Allen war klar: Es handelt sich um einen Versuch, Ergebnis offen“, betonte der Landrat. In seinem Rückblick auf das Projekt verwies er auf einen wesentlichen „Geburtsfehler“, einem von Anfang an zu klein bemessenen Streifgebiet, auf die Probleme durch Schälschäden, unklare Finanzierung sowie unprofessionelles Handeln des Trägervereins. „Einen Konsens, auch über Kreisgrenzen hinweg, gibt es nicht“, so Müller. Daher hatte der Kreis vorgeschlagen, die Wisente einzufangen, zu gattern und dann an andere Projekte abzugeben.
Das sahen die politischen Vertreter im Umweltausschuss bei ihrer Sitzung allerdings anders und setzten ein deutliches Zeichen für den Erhalt des Projektes. Am Ende verständigten sie sich einstimmig auf den erst am Nachmittag vor der Sitzung eingebrachten Vorschlag der CDU-Fraktion. Dieser Beschlussvorschlag, über den der Kreistag am 16. Dezember zu entscheiden hat, beinhaltet zusammengefasst folgende vier Punkte:
- Der Kreistag fordert die Verwaltung auf, alle erforderlichen Schritte einzuleiten, um bis auf Weiteres die Fortführung des Wisent-Projektes zu sichern.
- Zur weiteren politischen Begleitung des Projektes und mit dem Ziel einer möglichst konsensorientierten Problemlösung soll umgehend ein „runder Tisch“ aller bisher am Projekt beteiligten Stellen einberufen werden. Dazu gehören insbesondere das Landwirtschafts- und das Umweltministerium von NRW, die Kreisverwaltung, die Bezirksregierung, der Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein, die Wisent-Allianz sowie Vertreter des Kreistages.
- Bis zum 30. September 2023 sollen alle relevanten Fragen zur Fortführung oder eventuell Beendigung des Projekts geklärt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt soll der Trägerverein gebeten werden, alle notwendigen Managementaufgaben bezüglich der Wisentherde sicherzustellen.
- Dies setzt unter anderem voraus, dass der Kreis ohne Anerkennung oder dem Widerruf bisheriger Rechtsstandpunkte bis auf Weiteres den Trägerverein mit dem weiteren Management der Wisentherde beauftragt und noch für dieses Jahr bereitgestellte finanzielle Mittel kurzfristig auszahlt.
Wie Wolf und Gänse
„Uns geht es darum, klar zu sagen, das Projekt zumindest nicht sofort einzustampfen, sondern – eventuell unter anderen Bedingungen – in die Zukunft zu führen“, erläuterte Hermann-Josef Dröge, Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion. Es würden doch auch das Wolfsmanagement und die Gänse am Niederrhein gefördert. Angesichts dessen seien die bisherigen Kosten des Wisentprojektes lächerlich niedrig, wenn man von der Einzigartigkeit des Projektes ausgehe.
Deutlich weniger Zustimmung erhielt eine Resolution, die die SPD-Fraktion eingebracht hatte, über die nun aber ebenfalls der Kreistag abzustimmen hat. In ihr wird die Landesregierung aufgefordert, die inhaltlichen, rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für eine dauerhafte Fortführung des Wisent-Projektes zu schaffen. Weiter heißt es dort: „Das Land soll zentrale und staatliche Verantwortung für das Projekt übernehmen.“ Der CDU-Fraktion ging dies zu weit. Der Kreis sollte das Heft des Handelns in der Hand behalten und sich nicht von Düsseldorf abhängig machen, so Dröge sinngemäß.
Winterfütterung gesichert
Die Ausschussmitglieder begrüßten, dass der Landrat die kurzfristige Winterfütterung der Wisentherde zusagte. „Wir sind aber davon überzeugt, dass der Wisent-Verein weiter der Halter der Tiere ist und die Herde versorgen und betreuen muss“, stellte Müller klar. Sicherheitshalber habe man beim Verwaltungsgericht Arnsberg eine entsprechende Verfügung beantragt. Wie der zuständige Kreisdezernent Arno Wied erklärte, könne sich der Verein durch seine einseitige Vertragskündigung nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, schließlich gebe es eine sechsmonatige Übergangsfrist.
Rechtsurteil ausgeblendet
Wie Wied berichtete, wurden seitens des Wisent-Vereins Fördermittel bis zum 30. September abgerufen. Auch für das vierte Quartal stünden Fördermittel des Landes zum Abruf bereit. „Aus privatrechtlichem Eigenschutz wird der Verein letzteres aber nicht tun, um nicht in die Falle zu laufen, bis zu 250.000 € Zwangsgeld an die Waldbauern zahlen zu müssen“, merkte Prof. Dr. Klaudia Witte als beratendes Mitglied im Ausschuss an. Denn was bei der Sitzung gar nicht zur Sprache kam, ist das rechtskräftige Urteil des Oberlandesgericht Hamm. Es besagt, dass der Wisent-Verein geeignete Maßnahmen ergreifen muss, um zu verhindern, dass die Wisente auf den Grundstücken der Sauerländer Waldbauern Bäume schädigen. Außer der Winterfütterung scheint jedoch zu diesem Urteil im Kreis Siegen-Wittgenstein noch keine Lösung in Sicht zu sein.
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