Die Fronten sind verhärtet, Juristen gefordert. Das Wisent-Projekt steht vor dem Aus. Anders lässt sich die aktuelle Situation rund um das Projekt „Wisente im Rothaargebirge“ wohl nicht beschreiben. An der vergangenen Woche überschlugen sich die Ereignisse: Der Kreis Siegen-Wittgenstein – bislang ein wichtiger Unterstützer des Projektes, dessen ehemaliger Landrat Paul Breuer sogar Vorstandsmitglied im Wisent-Verein war – zog vorvergangene Woche Mittwoch die Reißleine. In einer Pressemeldung verkündete der Kreis, dass das Projekt beendet werden soll. Der Trägerverein könne die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine Weiterführung nicht schaffen. Zudem sei es nicht möglich, einen Konsens für eine Weiterführung in der Region herzustellen.
Zu dem Ergebnis seien die beteiligten Naturschutz-, Forst- und Ordnungsbehörden gekommen, die über öffentlich-rechtliche Verträge dem Wisent-Verein bislang die für das Projekt erforderlichen Genehmigungen erteilt hätten. Da die Voraussetzungen für ein auf Dauer angelegtes Ansiedeln der Wisente nicht gegeben seien, solle das Projekt jetzt abgewickelt werden.
Verein gibt Eigentum auf
Dem Kreis war zu dem Zeitpunkt schon bekannt, was der Wisent-Verein öffentlich erst am Folgetag verkündete: dass er das Eigentum an der freilaufenden Herde aufgegeben und den öffentlich-rechtlichen Vertrag für die Freisetzungsphase der Wisente gekündigt hat. Mit den Vertragspartnern, insbesondere dem Kreis Siegen-Wittgenstein und der Bezirksregierung Arnsberg, sei kein Einvernehmen über die Zukunft des Projektes erzielt worden. Daher war die Vertragskündigung zwingend erforderlich, teilte der Wisent-Verein mit – auch um mögliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von klagenden Waldbauern abzuwehren. Vertragskündigung und Eigentumsaufgabe seien die letzte Möglichkeit gewesen, „das Artenschutzprojekt zu retten und den Wisenten im Rothaargebirge eine Zukunft in Freiheit zu geben“, begründete der Verein sein Handeln.
Kreis Siegen-Wittgenstein
Die Dienststellen des Kreises Siegen-Wittgenstein und des Landes würden dieses vertragswidrige Verhalten des Trägervereins nicht auf sich beruhen lassen. „Es wird zu klären sein, ob der Verein mit seiner Herrenlos-Erklärung tatsächlich die angestrebten Rechtsfolgen ausgelöst hat.“ Vor allem aber müsse bei der Entscheidung über den weiteren Verbleib der Tiere den Zweifeln an der bisherigen fachlichen Konzeption des Projektes Rechnung getragen werden.
Mängel im Projektverlauf
Bereits vor rund einem Jahr hatte die Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover in ihrem Gutachten zum bisherigen Projektverlauf auf deutliche Mängel hingewiesen. Bei einer Überführung in die Herrenlosigkeitsphase bezifferten die Gutachter die jährlichen Kosten auf mindestens 500 000 €. Nach eigenen Angaben hat der Kreis Siegen-Wittgenstein bereits bislang das Projekt mit mehr als 350 000 € gefördert; das Land NRW mit rund 3 Mio. €.
„Eine Beendigung des Projektes ist die einzig verbleibende Konsequenz“, so das Fazit der beteiligten Dienststellen von Land und Kreis. Und: Die Kündigung des öffentlich-rechtlichen Vertrages durch den Verein und die Aufgabe des Eigentums an den rund 25 frei lebenden Wisenten sei unzulässig.
Kündigung rechtens?
Doch gerade da scheiden sich aktuell die Geister. Der öffentlich-rechtliche Vertrag für die Freisetzungsphase der Wisente war 2013 zwischen dem Kreis-Siegen-Wittgenstein, der Bezirksregierung Arnsberg, dem Landesbetrieb Wald und Holz NRW, der Wittgenstein-Berleburg’schen Rentkammer und dem Wisent-Verein geschlossen worden. Dieser Vertrag sollte bestehen, „bis ihn die Vertragsparteien einvernehmlich durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Phase der Herrenlosigkeit ablösen oder die Vertragsparteien das Projekt einvernehmlich unter Regelung aller erforderlichen Beendigungsmaßnahmen für gescheitert erklärt haben“, heißt es in § 10 zur Laufzeit des Vertrages. Jede Vertragspartei hat das Recht zu kündigen. Zur ordnungsgemäßen Vertragsabwicklung nach Kündigung wurde aber eine Übergangszeit von sechs Monaten vereinbart.
Vorwurf: Verschwendung von Steuergeldern
Es stehen also – mal wieder – rund um das Wisent-Projekt viele rechtliche Fragen im Raum, die im Zweifelsfall erst vor Gericht geklärt werden. Unterdessen werden auch persönliche Vorwürfe laut, insbesondere gegen Bad Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann, zugleich erster Vorsitzender des Wisent-Vereins. Uwe Lindner, Wildbiologe und bis zur Ankunft der Wisente 2013 in Bad Berleburg Leiter des Projektes, wirft Fuhrmann die Verschwendung von Steuergeldern und privater Sponsorengelder vor. „Ein Bürgermeister, der sich über die demokratische Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bzw. des Oberlandesgerichts hinwegsetzt, ist untragbar“, äußerte sich Lindner in der „Wittgensteiner Zeitung“ am Mittwoch dieser Woche.
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