Wald und Wild: "Keine Zeit für Konflikte"

Stürme, Dürre und Borkenkäfer-Befall haben dem Wald enorm zugesetzt. Wie kann Waldbesitzern und Jägern eine klimastabile Wiederbewaldung gelingen? Zusammenfassung unserer Online-Diskussion mit Video.

Allein in NRW sind es mehr als 70.000 ha Wald, die den Stürmen, den vergangenen Dürrejahren und den Schädlingen – allen voran den Borkenkäfern – nicht standgehalten haben. Diese Flächen gilt es zu räumen und wiederaufzuforsten. Doch welche Baumarten sind zukunftsträchtig? Oder hilft sich der Wald vielleicht sogar selbst? Und wie lässt sich verhindern, dass junge (angepflanzte) Bäumchen vom wiederkäuenden Schalenwild, insbesondere Rehen, gleich wieder aufgefressen werden? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer Online-Veranstaltung, zu der das Wochenblatt und das Online-Magazin „Jagdpraxis.de“ am Mittwoch eingeladen hatten. Mit rund 400 digital zugeschalteten Teilnehmern stieß das Diskussionsformat auf großes Interesse.

Prominentes Podium

„Konsens oder Konflikt - gelingt Waldbesitzern und Jägern eine klimastabile Wiederbewaldung?“ So lautete der Titel der Veranstaltung und zugleich die Hauptfrage, über die das prominent besetzte Podium diskutierte. Zu diesem gehörte die erst vor wenigen Tagen gewählte neue Präsidentin des Landesjagdverbandes NRW, Nicole Heitzig, der Referatsleiter für Waldbau im NRW-Umweltministerium, Dr. Ralf Petercord, der stellvertretende Vorsitzende des Waldbauernverbandes, Hans-Friedrich Hardt, sowie der stellvertretende Kreisjagdberater, Hegeringleiter und Jagdpraktiker Claus Knipping aus dem Kreis Höxter. Moderiert wurde die Veranstaltung von Patrick Liste, Chefredakteur des Wochenblattes, der auch die Fragen der Zuhörer im Blick hatte, sowie Matthias Kruse, Chefredakteur von „Jagdpraxis.de“ sowie der Zeitschrift „Rheinisch-Westfälischer Jäger“. Und letzterer richtete zunächst den Blick zurück.

Lehren aus Kyrill gezogen?

Denn auch der Orkan „Kyrill“ hatte 2007 mit 50.000 ha für enorme Sturmwurf-Flächen in NRW gesorgt. Das ist mittlerweile 14 Jahre her. Ist die Wiederbewaldung dieser Flächen gelungen, wollte Kruse wissen. „Es gibt gelungene Bestände, aber auch Fehlentwicklungen“, stellte Petercord fest. Fakt sei aber, dass anders als bei Kyrill aktuell nicht nur der Wald in NRW betroffen ist, sondern in weiten Teilen Mitteleuropas. „Wir müssen den gesamten Wald umbauen. Denn die alten Bäume, egal ob Eiche, Buche, Tanne oder Kiefer, werden absterben – vielleicht sogar schneller, als wir das erwarten. Wir müssen Waldökosysteme schaffen, die im Klimawandel bestehen. Denn wir brauchen auch in 100 Jahren Holz. Versuchen Sie Ihren Wald zu verjüngen und zu ergänzen“, so seine Empfehlung an die Waldbauern.

"Keine Zeit"

Die Politik sei sich der dramatischen Situation durchaus bewusst. So habe allein der Bund 1,5 Mrd. € für die Wiederbewaldung zur Verfügung gestellt. Bezugnehmend auf die Ausgangsfrage der Veranstaltung unterstrich der Ministeriumsvertreter: „Die Wiederbewaldung kann nur im Konsens von Waldbauern und Jägern gelingen. Wir haben gar keine Zeit für Konflikte.“

Die Zeit im Blick hatte auch Knipping. Er appellierte, gerade in den ersten Jahren an Neuanpflanzung ausreichend zu jagen; ansonsten könnte es nach ein paar Jahren angesichts der „grünen Hölle“ schwierig werden. In Abstimmung mit den Waldbauern sollten Äsungsschneisen angelegt werden, die für das Rehwild interessant sein müssten. Die Schneisen benötigen wir im Herbst für die Drückjagden“, sagte Knipping.

Heitzig ergänzte: „Wichtig ist die Absprache zwischen Waldbesitzern und Jägern vor Ort. Wo soll was passieren? Wo können Ansitzeinrichtungen aufgestellt werden?“ Doch mithilfe der Büchse ließe sich auch nicht alles regeln, unterstrich Heitzig. Hier stimmte ihr Petercord zu: Gerade bei Spezialkulturen werde es schwierig ohne Schutz. Er empfahl, bei einheimischen Bäumen zu bleiben und auch die Naturverjüngung zu nutzen. Erstmal sei jede Pflanze wichtig, die den Boden schützt. Waldbauern müssten sich dann ein Produktionsziel setzen.

Von südeouropäischen Baumarten riet Hardt ab: „Bäume aus Italien sind auf Kälteeinbrüche, wie wir sie jetzt im Februar hatten, nicht eingerichtet.“ Der Waldbauernvertreter ergänzte: „Jungbäume, die sich vor Ort hochgekämpft haben, sind zäher, auch im Hinblick auf die Trockenheit der vergangenen Jahre.“

Müssen als Jäger umdenken

Einigkeit wäre schön. Doch gerade um die Novelle des Bundesjagdgesetzes wird aktuell heftig gestritten, erinnerte Kruse. In NRW haben sich allerdings die Verbände der Jäger und Waldbesitzer bereits im vergangenen Jahr auf ein gemeinsames Positionspapier verständigt. Kurz gefasst besagt dieses: Wald und Wild gehören zusammen. Gerade an den Schadflächen sollte die Rehwildbejagung aber intensiviert werden. „Das Reh ist nicht schuld, aber es ist Profiteur“, betonte Hardt. „Und deswegen müssen wir als Jäger auch reagieren, umdenken und beispielsweise auch vermehrt weibliche Stücke schießen.“ Dazu merkte Kruse an: „Wenn uns aber per Erlass ermöglicht wird, Schmalrehe und Böcke bereits im April zu bejagen, benötigen wir zur Erfolgskontrolle auch die Zahlen. Wir müssen wissen, ob unsere Stellschrauben funktioieren“, mahnte er in Richtung Ministerium an.

Auf keinen Fall dürfe Rehwild jedoch durch falsche Bejagung zum nachtaktiven Wild werden“, betonte Heitzig. Gerade aktuell zieht es jedoch nicht nur Jäger, sondern auch viele Menschen und das nahezu rund um die Uhr in die Natur und die Wälder. Könnte die Sperrung von Wäldern eine Lösung sein? „Gerade Corona zeigt, wie wichtig der Wald für unsere Gesellschaft ist“, so Petercord. Statt Forstpolizei zu spielen, gelte es durch die Schaffung attraktiver Wege die Besucher geschickt zu lenken.

Gegenseitiges Verständnis ist also nicht nur zwischen Waldbauern und Jägern gefragt. Bei der Wiederbewaldung ist aber letzteres besonders wichtig – und entsprechende Unterstützung seitens der Landes-und Bundesregierung, und das praxistauglich, zog Liste das Fazit.

Redner

Foto nach negativem Corona-Schnelltest (von links): Patrick Liste, Hans-Friedrich Hardt, Matthias Kruse, Nicole Heitzig, Dr. Ralf Petercord und Claus Knipping. (Bildquelle: Petercord)