Mit dem großflächigen Absterben der Fichte werden raschwüchsige Nadelbäume immer wichtiger, um dem Rohstoffbedarf schnellstmöglich gerecht zu werden. Dabei rückt die aus Nordamerika stammende Küstentanne immer enger in den Fokus von Waldbauern und Förstern. Wenngleich ihre Nutzung als Bauholz derzeit noch nicht möglich ist, soll der Küstentannenanteil in den Wäldern der Niedersächsischen Landesforsten wachsen. Darum ernten Forstwirte zurzeit tausende Tannenzapfen, um Saatgut für die Anzucht zu gewinnen.
Tonnenweise Zapfen
1,5 t Küstentannen-Zapfen hat die Forstsaatgut-Beratungsstelle der Niedersächsischen Landesforsten jetzt im Harpstedter Wald, östlich von Cloppenburg, geerntet. Statt Baumkletterer setzen die Förster diesmal technisches Gerät ein: selbst fahrende Arbeitsbühnen. Auf Gummiraupen steuert Forstunternehmer Jan Culemann aus Ebstorf (Kreis Uelzen) den Hubsteiger unter die fünfzigjährigen Bäume.
„Mit dem Hubsteiger kommen wir auch an die für Baumkletterer zu brüchigen Ast- und Kronenspitzen“, begründet der gelernte Forstwirtschaftsmeister den Einsatz der Maschinen. Die Zapfenernte ist so sicherer und bis zu dreimal ergiebiger, verglichen mit dem traditionellen Zapfenpflücken.
Die Zapfenernte muss jetzt erfolgen – kurz vor der Reife. Denn reife Tannenzapfen zerfallen und lassen sich nicht mehr ernten. Etwa ab dem Alter von 20 Jahren beginnt die Küstentanne zu fruktifizieren und Zapfen zu bilden.
Nach Einschätzung des Zapfenbehanges mit dem Fernglas fährt Culemann zu einem Baum und nimmt zunächst eine Probe von mehreren Zapfen. Diese wirft er seinem Kollegen Frank Völkel am Boden zu. Völkel schneidet die Zapfen auf und bewertet den Anteil hohler und somit nicht keimfähiger Samen. Bei zu viel Hohlkorn wird der Baum nicht beerntet, das gilt auch für geschädigte Zapfen. Denn manche Zapfen sind vom Fichtenzapfenzünsler befallen und darum unbrauchbar.
Innerhalb von drei Tagen wurden von 50 Bäumen durchschnittlich 30 kg Zapfen geerntet. Culemann und sein Team pflücken jeden Zapfen per Hand. Weil diese sehr harzhaltig sind, ist das eine klebrige Angelegenheit. Damit dem Unternehmer bei der Arbeit nicht die Finger zusammenkleben, säubert er seine Hände ständig mit Babyöl.
Kaum bekannte Baumart
In der Forstsaatgut-Beratungsstelle der Niedersächsischen Landesforsten in Oerrel bei Munster reifen die Zapfen bis Anfang Oktober. Anschließend werden die Samen gewonnen, gereinigt und getrocknet. „Die Samen sollen für 350 000 Setzlinge ausreichen, die in verschiedenen Baumschulen angezogen werden“, sagt Andreas Preuß, Leiter der Saatgutstelle. Obwohl die nordamerikanische Baumart seit 150 Jahren angepflanzt wird und sich zunehmend als sturm- und trockenheitsresistente Alternative zur Fichte darstellt, steigt die Saatgutnachfrage nicht. Die Baumart scheint niedersachsenweit wohl noch zu wenig bekannt zu sein. Außerdem ist die Küstentanne in den ersten Jahren nach der Pflanzung empfindlich gegen Wildverbiss, erklärt der Förster.
Im Nordwesten Niedersachsens sind zwei Tannenarten verbreitet: die große Küstentanne aus dem Westen Nordamerikas und die europäische Weißtanne. Während die schnellwüchsige Küstentanne vor dem Hintergrund des immensen Holzverbrauchs immer bedeutender wird, nimmt der Stellenwert der Weißtanne nur langsam zu. Ein Grund dafür ist auch hier der hohe Druck durch Wildverbiss.
Auf Tanne setzen
Dennoch sind beide Tannenarten vielversprechende Mischbaumarten. Für die Beimischung im Mischwald eignen sich Douglasie, Lebensbaum sowie Laubhölzer wie die heimische Buche oder die Roteiche.
Weiß- und Küstentanne bilden eine Pfahlwurzel, die sich stabil im Boden verankert. Das ist ein wichtiges Kriterium im klimastabilen Wald, der vermehrt Stürme aushalten muss. Dazu sind beide Tannen vergleichsweise resistent gegen Trockenperioden. Längere Dürreperioden kann besonders die Küstentanne gut überstehen. Hingegen verträgt sie Spätfröste – vor allem in der Jugend – und Schneedruck schlecht.
Die Wuchsleistung der Küstentanne ist enorm und übertrifft auch die Douglasie. Dadurch sind mit der Tannenart auch nach vergleichsweise kurzer Zeit erste Gewinne erzielbar. Im Gegensatz zur Weißtanne ist das Holz der Küstentanne aktuell (noch) nicht für die Nutzung als Bauholz zugelassen.
Vor gut 200 Jahren erreichte erstmals Küstentannensaatgut Deutschland. Erste Anbauversuche erfolgten etwa Ende des 19. Jahrhunderts. Die größten Anbauflächen gibt es in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen – hier besonders im Nordwesten. Nach einem Sturmereignis Anfang der 1970er-Jahre gepflanzt, gibt es zwischen dem alten Oldenburger Land und Ostfriesland mit 530 ha Küstentannen-Waldbeständen einen Anbauschwerpunkt.
In der Planung der Niedersächsischen Landesforsten ist vorgesehen, den Anteil der Küstentanne künftig auf 1,2 % bzw. 3800 ha zu steigern.