RVR Ruhr Grün betreut 20 % des Waldes in der Metropole Ruhr – mehr als 16 000 ha. Wie viele Waldbesucher nutzen den Wald täglich als Erholungsort?
In der Metropole Ruhr wohnen mehr als 5 Mio. Menschen. Wir können aber nicht genau beziffern, wie viele von ihnen den Wald besuchen. Eines ist aber klar: Seit der Corona-Pandemie sind es deutlich mehr geworden. Eine Untersuchung vor der Pandemie geht von durchschnittlich etwa 60 Besuchen pro Kopf und Jahr in den Wäldern der Metropole Ruhr aus. Daraus lässt sich für die Wälder des Regionalverbandes eine jährliche immaterielle Wertschöpfung von rund 115 Mio. € für Erholungsleistungen ableiten. Der Wald als Erholungsort boomt.
Viele Besucher heißt auch viele Herausforderungen: Besucherlenkung, Verkehrssicherung, Vermüllung – stimmt das?
Der Wald stand noch nie so im Fokus wie aktuell. Derzeit bringt der Klimawandel viele Probleme mit sich, besonders hinsichtlich der Verkehrssicherungspflicht, aber auch im Hinblick auf die Arbeitssicherheit. Denn kranke Bäume müssen wir entfernen, sobald sie für Waldbesucher oder den Verkehr gefährlich werden. Bei rund 1000 km Außengrenzen entlang von Autobahnen, ICE-Trassen oder bebauten Bereichen ist das ein großer Aufwand.
Wir beobachten aber auch zunehmend Nutzungskonflikte. Sie ergeben sich aus dem unterschiedlichen Nutzungsverhalten der Waldbesucher, denn es gibt nicht nur Wanderer, sondern auch Jogger, Reiter, Hundehalter, Mountainbiker und vieles mehr.
Außerdem wird unser Wald leider immer mehr zugemüllt. Wir appellieren immer wieder an die Menschen, den Wald so zu verlassen, wie sie ihn vorgefunden haben.
Die Holznutzung steht für Betriebe oft an erster Stelle. Liegt hier auch für Sie der betriebliche Schwerpunkt?
Unser Schwerpunkt liegt aufgrund der einzigartigen Lage des Betriebes im größten Ballungsraum Deutschlands eindeutig im sozialen und ökologischen Bereich. Hier dient der Wald vor allem der Erholung der Menschen im Ruhrgebiet. Das ist richtig. Er hat aber natürlich auch eine Nutzfunktion als Wirtschaftsgut. Holz ist unser wichtigster nachhaltig erzeugter Rohstoff und bildet die Grundlage für viele Arbeitsplätze. Wir priorisieren die Funktionen in Abhängigkeit von den jeweils vorliegenden Rahmenbedingungen.
Das bedeutet: Im Kerngebiet der Metropole Ruhr steht die Erholungsfunktion deutlich im Vordergrund, in den Randbereichen spielt auch die materielle Nutzung eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Besonders für den Klimawandel ist der nachhaltige Rohstoff Holz dringend nötig. Die Holzbauquoten müssen weiter steigen, aber auch unabhängig davon zieht die Nachfrage nach Holz spürbar weiter an. Wir wollen nicht als Alternative Holz aus Ländern importieren, die nicht ansatzweise unsere hohen ökologischen Standards erfüllen. Unsere Stärke ist die Nachhaltigkeit und die Regionalität.
Auch aus rein ökologischen Gründen kann eine Waldbewirtschaftung sinnvoll und nachhaltig sein, beispielsweise zum Erhalt von Eichenwaldgesellschaften. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, spielt natürlich auch das Thema Prozessschutz zur Steigerung der Biodiversität eine wichtige Rolle.
Die Holzernte und -pflege bringt doch sicherlich Konflikte mit sich?
Das Multitalent Wald ist Erholungsort. Es dient der biologischen Vielfalt, ist aber auch einer der wichtigsten Klimaschützer. Zudem liefert der Wald den Rohstoff Holz und schafft Arbeitsplätze. Bei so vielen unterschiedlichen Interessen sind Konflikte vorprogrammiert. Leider.
Wir beobachten auch, dass es vermehrt Bürgerinitiativen gegen Holzeinschlagmaßnahmen gibt, selbst wenn die Maßnahmen zur Vitalisierung und Stabilisierung des Waldes erforderlich sind. Aufklärung ist hier das beste Hilfsmittel. Wir sind daher immer ansprechbar und erklären unser Handeln. Was viele nicht wissen: Wir wirtschaften seit mehr als drei Jahrzehnten kahlschlagsfrei.
Selbst reine Pflegemaßnahmen werden in der Öffentlichkeit oft kritisch begleitet. Was ich sehr bedauere: Es gibt in den Diskussionen mit Bürgern und Naturschützern oft nur Schwarz oder Weiß. Oftmals besteht eine angemessene Lösung komplexer Herausforderungen jedoch aus Grautönen. Wir legen viel Wert auf eine ökologisch ausgerichtete Waldbewirtschaftung und tun alles dafür, dass der Wald unter schwierigen klimatischen Bedingungen vital bleiben kann.
Wie hat sich „Ihr“ Wald seit dem Orkan Friederike verändert?
Die mittelalten und älteren Fichtenbestände bei RVR Ruhr Grün sind fast komplett abgestorben. Damit geht es uns wie vielen anderen Waldbesitzern. Seit Friederike sind bundesweit rund 190 Mio. m3 Schadholz angefallen. Knapp 3000 km2 Kahlflächen sind wiederzubewalden. Bei uns hatte die Fichte einen Flächenanteil von unter 5 %, sodass wir „nur“ 400 ha wiederbewalden müssen. Aber auch andere Baumarten, wie zum Beispiel die Buche, sind stark angeschlagen und werden von unseren Förstern genau beobachtet.
Stichwort Wiederbewaldung. Wo liegt dabei der Schwerpunkt: Naturnahe Vorwaldwirtschaft mit einem hohen Schutz- und Erholungswert oder Wiederbewaldungsmaßnahmen mit der Aufforstung von Nadelholz?
RVR Ruhr Grün passt seine Wälder Zug um Zug, Revier für Revier, an den Klimawandel an und pflegt seine Wälder im Rahmen eines ökologisch orientierten naturnahen Waldbaus. Wir sorgen so unter anderem dafür, dass Holz dauerhaft CO2 speichern kann.
Viele Nadelhölzer sind immergrün und im Winter grüne Tupfer im Landschaftsbild. Unser Ziel ist es, strukturreiche klimastabile Mischwälder aufzubauen. Wir setzen vorrangig auf die Naturverjüngung heimischer Laubbaumarten. Aber auch Küstentanne, Douglasie und Roteiche zählen zu unserem betriebseigenen Waldbaukonzept. Unsere strukturreichen und auch im Klimawandel sehr vitalen Roteichenbestände sind vor allem im Herbst ein echter Hingucker.
Wir sehen uns zudem in der Pflicht, die drohende Versorgungslücke im Nadelholzbereich zu schließen. Deshalb spielen auch Nadelbäume wie die Küstentanne als Mischbaumart eine nicht unbeachtliche Rolle. Grundsätzlich haben wir uns zum Ziel gesetzt, mindestens vier Baumarten pro Bestand zu etablieren.
Sind Sie frei in der Wahl von Baumarten oder stehen politische Vorgaben bzw. der Bürgerwillen dem entgegen?
Als größter Kommunalwaldbetrieb in NRW können wir nur zusammen mit der Öffentlichkeit Wald entwickeln. Denn Kommunalwald ist immer auch Bürger-Wald und wir reagieren auf die Nachfragen und Bedürfnisse der Waldbesucher. Deshalb planen, bauen und unterhalten wir zum Beispiel auch Mountainbike Trails. Wir sind durch und durch Dienstleister, wir denken und handeln deshalb generationengerecht.
Aber will der Bürger die Küstentanne?
Gegenfrage: Können alle Menschen im Wald die Küstentanne auf den ersten Blick erkennen? Ich glaube noch nicht. Nach entsprechender fachlicher Aufklärung über deren Vorzüge vor allem im Klimawandel steigt aber das Wissen. Mit fast 30 % Mischungsanteil ist die Kiefer unsere Hauptbaumart.
Unserer Erfahrung nach sind den Waldbesuchern aber einzelne Baumarten gar nicht so wichtig. Im Mittelpunkt steht viel mehr das Gesamterlebnis Wald mit gepflegten und gut ausgeschilderten Wegen. Und das am liebsten ohne Müll als ungeliebte Hinterlassenschaft.
Hat sich die betriebseigene, waldbauliche Strategie mit „Wohlleben“ geändert?
Der Wald ist – sicher auch durch „Wohlleben“ – ein Thema geworden, das immer mehr im Fokus steht. Keine Frage: Die Waldbesucher sind kritischer geworden – besonders im Kern des Ballungsgebietes Ruhr. Wir gehen darum noch sensibler mit Anfragen und Rückfragen um und betreiben noch mehr Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Anliegen sind Aufklären, Aufklären, Aufklären. An unserem Konzept der ökologisch ausgerichteten, naturnahen Waldwirtschaft hat sich aber nichts geändert. Im Gegenteil, es ist aktueller denn je.
Wenn Sie sich andere Kommunalwaldbetriebe in NRW anschauen – gibt es Betriebe, die Ihre Betriebsziele inzwischen mehr in Richtung „Erholung“ auslegen?
Der Trend ist da und bietet auch Chancen, für das Multitalent Wald zu werben. Denn Wälder tragen insgesamt wesentlich zur Lebensqualität der Menschen bei. Gerade in einem urbanen Ballungsraum wie dem Ruhrgebiet. Er ist frei zugänglich und kostenlos zu erleben und damit ein tolles Freizeitangebot an die Bürger. Der Wald als Erholungsraum nimmt nicht erst seit Corona stark an Bedeutung zu. Insbesondere in stadtnahen Wäldern rückt die Erholungsfunktion immer stärker in den Fokus der Kommunalwaldbetriebe. Der Wald ist hier mehr als auf dem Land eine Art Zufluchtsort vor dem hektischen und mitunter lauten Alltag in der Stadt. Er dient der physischen und psychischen Erholung.
Die Folge: Es gibt inzwischen neue Formen der Erholungssuche im Wald. Daher ist auch das Angebot der kommunalen Forstbetriebe vielfältiger geworden. Wir reagieren entsprechend auf die neuen Herausforderungen. Kletterwälder, Mountainbike-Trails, Naturerlebnispfade und vieles mehr komplettieren das bisherige Angebot zur Freizeitgestaltung im Kommunalwald.
Betriebsdaten
Der RVR Ruhr Grün betreut eine verbandseigene Fläche von 19 000 ha, davon 16 300 ha Wald, in elf Großstädten und vier Landkreisen entlang der Ruhrschiene. Der Betrieb ist in fünf Fachbereiche gegliedert und beschäftigt 140 Mitarbeiter. Rund die Hälfte hat eine forstliche Ausbildung bzw. ein Studium.