Immer größere Betriebe, immer leistungsstärkere Tiere und weniger Arbeitskräfte – die Geschichte der Nutztierhaltung war vor allem eine Geschichte des Produktionswachstums. Seit einigen Jahren gewinnt ein neuer Aspekt zunehmend an Bedeutung: Tierwohl. Unter dem Titel "Was sind (uns) Lebensmittel wert?", veranstaltete die Akademie des Franz Hitze Hauses am letzten Februarwochenende ein Online-Seminar. Ein Aspekt dabei: Die Frage nach Ethik in der Nutztierhaltung.
Kampf um den niedrigsten Preis
Professor Thomas Blaha von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, Bakum, machte dabei deutlich, dass in der Nutztierhaltung lange Zeit der Fokus auf der Tierleistung lag. Der 1994 durch die World Trade Organisation (WTO) eröffnete globale Handel mit Lebensmitteln befeuerte diese Art der Optimierung. "Seither werden die Preise vom jeweils niedrigsten Preis auf dem Weltmarkt diktiert. Verwerflich fanden die niedrigen Preise für Fleisch, Eier oder Milch weder Verbraucher noch der Lebensmitteleinzelhandel. Die Sonderangebote, mit denen der Wettkampf gegeneinander getrieben wird, sind auch ethisch zu hinterfragen", so der Tierarzt zum erbitterten Preiskampf. Die Folge: Eine Niedrigpreisspirale. Im Kontrast dazu steht die immer lauter werdende Forderung nach mehr Tierwohl aus der Gesellschaft. Doch investiert der Landwirt in mehr Tierwohl und hat dadurch höhere Kosten als andere Betriebe, ist dies wirtschaftlich vielfach nicht tragbar.
Die zwei Gesichter des Tierwohls
Zum Tierwohl gehört sowohl das körperliche als auch das geistige Wohlergehen der Tiere. Letzteres wurde lange Zeit übersehen. "Für das Produktionswachstum haben die Tiere die Rechnung gezahlt", kritisiert der Tierarzt. Tiere sollten körperlich gesund sein und gutes Futter bekommen, um schnell zu wachsen. "Soziale und mentale Bedürfnisse, wie Bewegung, Sozialverhalten, Ausleben ihres arttypischen Verhaltens und die Möglichkeiten, positive Emotionen erfahren zu können, wurden ihnen vorenthalten", beschreibt er den Mangel der Fürsorge um das geistige Wohlergehen. Den häufigen Vorwurf, die Landwirte seien immer brutaler geworden und würden ihre Tiere immer mehr misshandeln, wies Blaha deutlich zurück. Im Gegenteil: "Die haben sich sogar viel Mühe gegeben", fügt er hinzu. Verbesserungen wurden immer wieder umgesetzt, doch die Haltung der Gesellschaft hat sich wesentlich schneller verändert.
Recht oder Unrecht
Die Tierschutzbestimmungen in Deutschland beschreibt Blaha als eine der besten und stringentesten. In der Rechtsprechung wurde den Tieren 1990 ein dritter, moralischer, Status zwischen Mensch und Sache zugeschrieben. Dieser wird nicht als "anthropozentrischer", sondern als "ethischer Tierschutz" gedeutet. Beim anthropozentrischen Tierschutz stünden die menschlichen - anthropogenen - Bedürfnisse im Zentrum. "Dennoch rückt das ethische Abwägen zwischen Tierrechten und der Nutzung von Tieren unweigerlich den Menschen in den Mittelpunkt. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz", so Blaha.
Der Deutsche Ethikrat sieht Brüche im Tierschutzrecht. Das Tierschutzgesetz legt den Schutz der Tiere und deren Wohlergehen als zentrale Maßgabe fest. Dieses stellt hohe Anforderungen an unser Verhalten gegenüber den Tieren. "Jedoch bleiben Verordnungen und Erlasse oft weit hinter dem Tierschutzgesetz zurück", so Blaha. Demnach ist der Tierschutz zwar gut im Gesetz verankert, die Gewährung der Bedürfnisse jedoch nicht. "Dies führt zu unentschuldbaren Vernachlässigungen der Tiere und Unverständnis sowie Verzweiflung bei den Landwirten", erklärt der Tierarzt.
Wer trägt die Verantwortung?
Die Empörung bewusster Bürger über Haltungen, die gesetzlich nicht verboten sind, findet Blaha gravierend, denn das quäle die Landwirte besonders. "Man liebt den Überfluss, aber nicht die, die ihn schaffen", betont er. Vielmehr sei die Achtung des Tierwohls eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Politik müsse diese durch klare Zwischenziele und konkrete zeitliche Vorgaben begleiten, so der Tierarzt unter Verweis auf den Deutschen Ethikrat.
"Die meisten Menschen lehnen intuitiv tierquälerische Verhaltensweisen, Methoden der Haltung, des Transports und der Schlachtung, die offensichtlich erhebliches Leid verursachen, ab. Zu tiefgreifenden Veränderungen des Konsumverhaltens angesichts einer insoweit vielfach problematischen Fleischnutzung, hat dies indes nicht geführt", appelliert Blaha an die Verantwortung, die wir alle und nicht nur die Landwirte tragen.