Zu den KO-Kriterien in der Praxis gehören Melkbarkeit, Strichlänge, Beckenneigung und Hinterbeinwinkelung. Es werden selbst Bullen mit sehr hohem Gesamt-Zuchtwert (RZG) kaum eingesetzt, wenn sie in diesen Merkmalen negative Werte haben. „Das kostet Zuchtfortschritt“, erklärte Dr. Stefan Rensing von den Vereinigten Informationssystemen Tierhaltung (vit) bei der Vertreterversammlung der Osnabrücker Herdbuch Genossenschaft (OHG) am Mittwoch.
„In der Tierzucht nennen wir das Selektion nach festen Merkmalsgrenzen.“ Der Fachmann schätzt, dass manche Landwirte so empfindlich bei einigen Merkmalen sind, weil sie die Beziehung von Relativzuchtwert zu phänotypischen Merkmalsausprägungen falsch einschätzen.
Bullen mit Schwächen
Bei der Wahl des Bullen ist es insbesondere entscheidend, ob ein Deckbulle zum Einsatz kommt oder die Tiere künstlich besamt werden. Denn Deckbullen müssen zur gesamten Herde passen. „Es gibt also keine individuelle Anpaarung. Der Bulle darf nur Stärken haben“, machte Rensing deutlich.
Anders ist es beim KB-Bullen, der nur bei Einzeltieren zum Zug kommt. Eine individuelle Anpaarung mit Fehlerausgleich ist möglich. „Der Bulle darf Schwächen haben“, sagte der Experte. „Denn einzelne negative Zuchtwerte (ZW) können sich sogar positiv bei der Anpaarung mit bestimmten Kühen auswirken.“ Allerdings beobachtet Rensing, dass:
- sich viele Landwirte und auch Berater bei der Auswahl von KB-Bullen so verhalten, als ob sie Herden-Deckbullen auswählen.
- oftmals Möglichkeiten der individuellen Anpaarung ignoriert werden.
- im Mittel schlechtere Bullen zum Einsatz kommen als möglich. Das verschenke Zuchtfortschritt.
Zuchtwert von 88?
Rensing hat den Vergleich der Relativ-Skala mit der phänotypischen Skala bei dem wirtschaftlichen Zuchtwert RZ€ vorgenommen. Die Ergebnisse:
Melkbarkeit (RZD): Wenn man einen Bulle mit RZD 88 auf eine durchschnittliche Kuh (RZD 100) anpaart, hat der Nachkomme einen RZD von 94. Das entspricht im Schnitt 2,22 kg Milch/min. Das sei alles andere als extrem oder nutzungsbeschränkend. „Meine Botschaft: Nicht so viel Angst haben, wenn bei der Melkbarkeit ein Wert unter 100 steht“, betonte Rensing.
Lineare Merkmale: Sie werden von den Klassifizierern auf der Skala 1 bis 9 erfasst. „Für Landwirte sind die Auswirkungen von 0,4 bis 0,7 Punkte auf der Skala nicht nachvollziehbar, so Rensing. In seinen Augen ist keine Übersetzung in die praxisgerechte phänotypische Skala möglich. Deshalb hat das vit untersucht, welche Auswirkungen Zuchtwerte für KO-Merkmale auf andere wichtige Merkmale wie Nutzungsdauer (RZN) haben. Sein Ergebnis: Der Zusammenhang zwischen linearen Merkmalen und Nutzungsdauer/Funktionalität ist häufig anders als in der Praxis „gefühlt“:
- Mehr Größe, Tiefe und Stärke führen zu geringerer Nutzungsdauer, vermutlich aufgrund des steigenden Gewichts des Tieres.
- Beckenneigung, Hinterbeinwinkel, Klauenwinkel, Strichplatzierung hinten und Strichlänge haben im Extrem nur wenig Bezug zur Nutzungsdauer.
„Objektiv gesehen, gibt es eigentlich keine KO-Merkmale“, brachte es Rensing auf den Punkt. Seiner Meinung nach, sollten alle hohen Bullen nach RZ€/RZG eingesetzt werden, wenn auch nicht auf jede Kuh in der Herde. Er riet: „Grenzen für individuelle Ausgleichspaarungen sollten nicht zu eng gesetzt werden.“
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