Das Weihnachtsgeschäft steht soweit. Der VEZG-Preis für Jungbullen R3 liegt bei 5,10 €/kg Schlachtgewicht (28. November). Der erhoffte Aufschwung bleibt bisher aus. Herr Hortmann-Scholten, ist der Preiszenit erreicht?
Wir beobachten eine vergleichsweise normale Preisentwicklung. Das Jahrestief am R3-Jungbullenmarkt lag im Sommer bei 4,54 €/kg Schlachtgewicht (SG). Nach den Herbstferien haben sich die Preise gefestigt. Insgesamt ist das Konsumklima inflationsbedingt schwach. Das aktuelle Preisniveau liegt dennoch 50 Cent/kg über dem Vorjahr und 1 €/kg über 2020.
Angebotsdämpfend wirkt, dass einige Bullenmäster ihre Tiere bis Januar stehen lassen, da sie sonst die 600 000-€-Umsatzgrenze überschreiten. Das Resultat: Jungbullen könnten vor Weihnachten knapp werden und die Preise anziehen. Bisher waren die Schlachtgewichte vergleichsweise gering.
In Deutschland liegt der Selbstversorgungsgrad für Rindfleisch bei weniger als 100 %. Sind Bullen knapp?
Rindfleisch ist das Koppelprodukt der Milcherzeugung. Bei der letzten Maizählung wurden deutschlandweit nur 3,8 Mio. Kühe gezählt – ein Rückgang von 400 000 Tieren in 20 Jahren. Der Betriebszweig der Mutterkuhhaltung spielt kaum mehr eine Rolle. Bullenkälber aus Milchviehbetrieben mit guten Masteigenschaften sind begehrt. Das wird sich im nächsten Jahr verschärfen. Damit ist vorgezeichnet, dass in Deutschland das Rindfleischangebot 2023 weiter schrumpft. Marktexperten erwarten allerdings, dass der Selbstversorgungsgrad für Rindfleisch zwischen 92 und 95 % verharren wird. Gerade Edelteile werden knapp bleiben.
Die Preise für Kühe fallen. Ist das Angebot hier zu groß?
Das Angebot ist zurzeit vergleichsweise gering. Es ist daher eher ein Nachfrageproblem. Vor allem „blaue Kühe“ sind momentan nicht gefragt.
Die Marktentwicklung ist für die nächsten Monate schwer einzuschätzen, da die vorläufigen Schlachtzahlen für 2022 einen Rückgang ausweisen. Damit sind diese schneller gesunken als laut Viehzählung erwartet wurde. Möglicherweise steht in nächster Zeit ein Überschuss an noch zu vermarktenden Tieren in den Ställen, der auf den Markt muss.
Was erwarten Sie: Bleibt der Rindfleischkonsum trotz Rezessionsangst stabil? Oder gibt es dieses Jahr weniger Rouladen zu Weihnachten?
Vergleicht man den Schweinefleisch- mit dem Rindfleischmarkt, sehen wir deutlich konstantere Verbrauchswerte. Alternative Fleischarten, die zu Weihnachten nachgefragt werden, wie Gänse oder Enten, sind im Vergleich zum Rind deutlich teurer. Von daher gehe ich davon aus, dass die allseits beliebten Rinderrouladen in diesem Jahr trotz eines gestiegenen Konsumentenpreises weiter in normalen Mengen nachgefragt werden.
Einfuhren aus Drittländern sind in letzter Zeit wieder gestiegen. Warum?
Gerade im ersten Quartal dieses Jahres waren die Importzahlen extrem gering. Das lag an verschiedenen Entwicklungen: Kühlcontainer waren knapp. Einige südamerikanische Länder haben in die Lieferketten eingegriffen. Hier scheint sich momentan eine Normalisierung abzuzeichnen. Die aus Drittländern eingeführten Mengen sind allerdings vergleichsweise gering. Rindfleisch ist auf den Weltmärkten teurer geworden. Regionalprogramme gewinnen an Bedeutung.
Was bedeutet das für die heimische Ware?
Deutsche Ware spielt bei vielen Verbrauchern, vorausgesetzt die Qualität stimmt, eine wichtige Rolle. Kurze Lieferketten in Kombination mit einer garantierten Prozessqualität bleiben für viele Konsumenten ein wichtiges Einkaufskriterium.
Die Initiative Tierwohl (ITW) Rindfleisch scheint zu stocken. Landwirte müssen Scheuermöglichkeiten nun erst ab 2024 einbauen.
Angesichts der vergleichsweise hohen Rindfleischpreise und der im Gegensatz zum Schweinefleischmarkt günstigen Vermarktungssituation kam die Initiative Tierwohl im Rindfleischsegment zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt an den Markt. Die Zielsetzung der ITW wird meines Erachtens zu einem späteren Zeitpunkt erneut erfolgreich anlaufen. Das Thema der Scheuermöglichkeiten bei der Haltungsform 2 (HF 2) ist dabei nur ein singuläres Detailproblem. Der Schlüssel für das Funktionieren der ITW ist eine verlässliche Abnahmegarantie des deutschen Lebensmittelhandels.
Bauern berichten, dass aktuell von Schlachthöfen für die Teilnahme an Haltungsform 3 geworben wird. Der Bonus soll zwischen 20 und 25 Cent/kg SG liegen. Reicht das?
Nein, das reicht nicht. Zwar bestehen in den Förderkulissen Unterschiede zwischen den Bundesländern NRW und Niedersachsen. In NRW flankiert die Landesregierung die Umstellung durch die Strohprämie. Dies bedeutet für umstellungswillige Betriebe ein Kostenvorteil, den niedersächsische Berufskollegen nicht haben.
Der ökonomisch erforderliche Preisbonus hängt daher erheblich von den betrieblichen Voraussetzungen ab. Auch das produktionstechnische Leistungsniveau ist entscheidend. HF 3 verursacht nach unseren betriebswirtschaftlichen Schätzungen in Abhängigkeit der Betriebssituation Zusatzkosten zwischen 50 bis 70 Cent je Kilogramm SG.
In der EU ist erkennbar, dass die Rinderbestände weiter zurückgehen. In Deutschland sind die Produktionskosten extrem hoch. Ist trotz der guten Marktlage ein weiterer Bestandsabbau zu erwarten?
EU-weit nehmen die Rinderbestände langfristig ab. Deutschland hat im europäischen Wettbewerb Nachteile vor allen in den Flächen- und Arbeitserledigungskosten. Zudem sind die Baukosten, im Vergleich zu den süd- und osteuropäischen Ländern, zu hoch. Die Gefahr besteht, dass bei höheren Haltungsformen diese Nachteile zu einer Verlagerung der Rindfleischerzeugung ins Ausland führen.
Wagen Sie einen Blick in die Zukunft. Wie sehen Sie künftig die Chancen und Risiken für den Rindermarkt in Deutschland?
Die einzelbetrieblichen Chancen, mit Bullenmast Geld zu verdienen, liegen in den produktionstechnischen Ergebnissen. Ein leistungsfähiger Futteranbau in Kombination mit einer guten Tiergesundheit und Management stellen die Weichen für eine erfolgreiche Rindermast.
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