Die schlanke junge Frau mit braunen Haaren und leuchtenden blauen Augen steht mitten drin im Wurstehimmel. Über ihr, links und rechts von ihr – überall hängen Würste. Die sogenannten Stracken. Manche sind dünner, manche dicker, manche gebogen. „Wir sind hier in unserer Schatzkammer“, strahlt Katharina Koch. Die Fleischermeisterin greift eine dicke, lange Wurst: „Diese Ahle Worscht reift hier oben etwa ein Jahr.“
Der mit Holz und Lehm verkleidete Dachboden bietet das perfekte Klima für den Reifeprozess. Die Dachluken werden entsprechend der Temperatur geöffnet oder geschlossen. „Außerdem hängen wir die Würste täglich um und befeuchten sie.“
Unten im Haus befindet sich die Traditionsmetzgerei Koch aus Calden, Landkreis Kassel, mit Laden, Schlachthaus und Büro. Katharina Koch hat die Metzgerei in fünfter Generation 2018 von ihrem Vater übernommen und seitdem einiges verändert. Geblieben sind die traditionellen Rezepturen der Ahle Worscht – dem Kulturgut der Nordhessen. Egal, ob im Metzgerladen, Onlineshop oder der Vermarktung insgesamt: Alles dreht sich um dieses regionale Produkt. „Sie ist sogar das offizielle Lizenzprodukt der Documenta in Kassel“, erzählt die Unternehmerin stolz.
Von New York zurück nach Calden
Dass die heute 36-jährige Katharina Koch die Metzgerei ihres Vaters übernimmt, war nicht klar. „Eigentlich sollten meine zwei Brüder in das Handwerk einsteigen, ganz traditionell“, erklärt sie. Beide entschieden sich jedoch für einen anderen Weg.
Da Katharina Koch nicht in der Betriebsnachfolge eingeplant war, studierte sie Publizistik und Politikwissenschaft in Berlin und Paris. Sie arbeitete im Deutschen Bundestag und bei den Vereinten Nationen in New York. „Überall nahm ich unsere Ahle Worscht mit. Sie stellte quasi die Konstante in meinem Leben dar“, erzählt die Hessin. Dann kam der Anruf ihres Vaters. „Er fragte mich, ob ich die Metzgerei übernehmen wolle.“ Nach reiflicher Überlegung beschloss sie zurückzukehren. „Ich bin nach Hause gekommen, um die Familientradition weiterzuführen. Nichts hätte im Nachhinein mehr Sinn für mich ergeben“, sagt sie.
„Im Handwerk sehe ich abends, was ich erreicht habe. Der Alltag bietet unglaublich viel Abwechslung. Die politischen Entscheidungsprozesse, wie ich sie in New York erlebt habe, sind hingegen langwierig und zäh.“ Heimgekehrt machte sie ihre Meisterausbildung. „Mit dem Meisterbrief darf ich junge Leute ausbilden. Das macht mir viel Spaß“, erklärt Koch. Aktuell hat sie zwei Auszubildende, andere Jahre auch vier.
Metzgerladen ist das Herzstück
Die seit 1877 bestehende Metzgerei Koch beschäftigt 22 Mitarbeiter. Das Herzstück des Betriebs ist der Laden in Calden mit rund 150 klassischen Metzgereiprodukten. „Etwa 30 bis 40 % vom Umsatz machen wir hier an der Theke“, berichtet Koch.
Weitere 30 bis 40 % werden im Lebensmitteleinzelhandel verdient. Die Produkte sind in Edeka-, Rewe- und Biomärkten zu kaufen. „Rund 20 % Umsatz machen wir dann noch über mein ,Baby‘, unserem Onlineshop“, sagt die junge Unternehmerin.
Die Aufmachung und Homepage sind auffällig und modern. „Mit dem Online-Wurstehimmel schaffe ich es, neue Kunden zu erreichen in ganz Deutschland und sogar der EU. Das ist gut, denn unser Laden ist ziemlich ab vom Schuss“, berichtet Koch. Das Geheimnis ihres Erfolgs: Viel Pressearbeit, ein starker Online-Auftritt und natürlich das Produkt: die Ahle Worscht. „Sie hat einfach Kultstatus und bedeutet für die Menschen Heimat. Mit neuen Variationen mit Fenchel, Honig oder Nuss, bringe ich gleichzeitig modernen Pep in das Produkt. Die Kombi macht’s.“
4 t Ahle Worscht pro Woche
Außerdem gehören Standbeine wie Lohnschlachtungen für Bauern mit Hofläden oder Catering-Angebote dazu. Im Winter produziert Kochs Team jede Woche rund 4 t Ahle Worscht. Dafür schlachten die Angestellten zweimal pro Woche rund 40 bis 50 Schweine. „Alle Tiere kommen von Landwirten aus der direkten Umgebung.“ Voraussetzung ist, dass die Schweine auf Stroh gehalten werden und für die Ahle Worscht besonders viel wiegen. „Wir sind zwar Bio-zertifiziert, aber an sich halte ich nichts von Siegeln und Zertifikaten. Da steigt doch kein Verbraucher durch“, erklärt die Fleischerin. „Regionalität zählt.“
Bei Katharina Koch kaufen viele treue Stammkunden ein, aber auch junge Familien, die Fleischprodukte kritisch hinterfragen. „Unser Riesenvorteil: Wir können Verbrauchern detaillierte Antworten geben.“ Die aktuellen Debatten um Umwelt-, Klima- und Tierschutz versteht sie als Chance für Handwerksbetriebe. „Wir setzen schon immer auf Regionalität, kennen unsere Bauern und produzieren nachhaltig und bewusst.“ So lässt sich Ahle Worscht ohne Kühlung lagern, ohne Zusatzstoffe produzieren und lose lagern sowie verkaufen. Koch hat von ihrem Betrieb schon vor Jahren den CO2-Fußabdruck messen lassen und arbeitet klimaneutral.
„Der Charme unseres Berufs ist, die Tradition zu wahren und mit modernem Zeitgeist zu verbinden.“ So hat sie keine Angst vor Veganismus. „Vielleicht können wir auch vegane Alternativen mit gutem handwerklichen Geschick herstellen und nicht diesen Industriekrams mit ellenlangen Zutatenlisten“, schmunzelt sie. Koch sieht sich als Botschafterin des Fleischerhandwerks. Das merkt man ihr an, wenn sie hinter der Theke oder im Wurstehimmel steht.
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