Niederländische Landwirte am Scheideweg

Es gärt bei unseren Nachbarn. Die niederländische Landwirtschaft, jahrzehntelang auf Erfolgskurs, gerät unter Druck. Die Stickstoffkrise kann sich zur Staatskrise ausweiten.

Blau, weiß, rot – Boer in Not. Die niederländische Trikolore steht nicht nur an vielen Hofauffahrten auf dem Kopf, sondern auch entlang von Autobahnen und Straßen. Mit diesem Notsignal aus der Seefahrt wollen die Landwirte auf ihre Bedrohung aufmerksam machen. Sie befürchten, dass bald zahlreiche Höfe untergehen werden.

Denn die niederländische Regierung sieht sich gezwungen, die Stickstoffemissionen des Landes drastisch zu senken. Konkret ist das Ziel, die Emissionen von Stickoxiden (NOx) und Ammoniak (NH3) bis 2030 gegenüber 2019 um 50 % zu reduzieren. Im Visier dabei vor allem der Ammoniakausstoß der Landwirtschaft.

Diese Ziele haben Ende 2021 Eingang in den Koalitionsvertrag des Vier-Parteien-Bündnisses von Ministerpräsident Mark Rutte gefunden. Dem Vertrag ging einer der längsten Koalitionsverhandlungen der niederländischen Geschichte vorweg.

Schon länger protestieren die Landwirte gegen diese Pläne und bangen um ihre Existenz. Im Sommer kam es dann zu Blockaden der Bauern. Zurzeit herrscht eine angespannte Ruhe. Alle warten auf die Vorschläge des Vermittlers und Ex-Ministers Johann Remkes. Der will sie noch in diesem Monat präsentieren.

Doch wie kam es zu der Stickstoffkrise, bei der Schüsse fielen, ein Landwirtschaftsminister zurücktrat und der Graben zwischen Land und Stadt sich vertieft?

Gerichtsurteil führt zu Protesten

Ein Gerichtsurteil des höchsten Verwaltungsgerichts der Niederlande im Jahr 2019 war Auslöser für die ersten Unruhen. Angestoßen wurde das Urteil von niederländischen Umweltorganisationen. Es untersagte das geltende System zur Vergabe von Stickstoff-Lizenzen, das 2015 eingeführte „Programma Aanpak Stikstof“ (PAS). Die niederländischen Richter verpflichteten die Behörden, die Grenzwerte der EU-Naturschutzrichtlinie einzuhalten. Das PAS erlaubte zuvor das Überschreiten dieser Grenzwerte, wenn dafür Maßnahmen der Kompensation in der Zukunft getroffen werden.

Die einzige Lösung ist nun eine erhebliche Reduzierung der Stickoxid- und Ammoniakemissionen. So kam schlagartig der Wohnungs- und Straßenbau in manchen Regionen zum Erliegen, weil er ebenfalls für Stickstoffeinträge sorgt. Dabei treibt die Wohnungsnot viele Niederländer gerade in den Städten um. Als Sofortmaßnahme drosselte die Regierung auch die Geschwindigkeit auf Autobahnen auf 100 km/h.

Für den größten Anteil der Emissionen wird aber die Nutztierhaltung verantwortlich gemacht. Einst von vielen für ihre Effizienz und ihren Pioniergeist bewundert, wurden die Landwirte zu den Sündenböcken der Krise.

Blumen, Milch, Fleisch, Gemüse


Die Landwirtschaft ist nicht gleich Landwirtschaft in unserem Nachbarland. Es hat mit seinen 17 Mio. Einwohnern die gleiche Bevölkerungszahl wie NRW und mit 41­  000 km² Fläche 12 % der deutschen Landmasse. Mit mehr als 500 Einwohnern pro km² haben die Niederlande eine der höchsten Bevölkerungsdichten Europas. Europameister ist das Königreich bei der Viehdichte. Sie liegt bei 3,82 Großvieheinheiten pro ha. In Deutschland sind es 0,74 pro ha.

Die landwirtschaftliche Fläche in den Niederlanden umfasst 1,8 Mio. ha, auf denen etwa 53  000 Landwirte wirtschaften. Etwa die Hälfte der knappen Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt. Hohe Bodenpreise führen dazu, dass Landwirte möglichst viel aus einem Hektar herausholen müssen.

Dabei ist die niederländische Landwirtschaft sehr innovativ. Schon vor Jahrhunderten begannen die Bauern auf den fruchtbaren Marschböden, die der Küste vorgelagert sind,...