Wochenblatt: Frau Heinen-Esser, hat die Landesregierung das Wolfsgeschehen in NRW noch im Griff?
Ursula Heinen-Esser: Ja. Wir haben hier aktuell drei Rudel mit sieben erwachsenen Wölfen. Zwei der Rudel leben auf den Landesgrenzen zu Rheinland-Pfalz beziehungsweise zu Belgien. Das ist im Vergleich zu Niedersachsen wenig. Aber jedes gerissene Nutz- oder Haustier ist schmerzlich und für die Tierhalter eine schwere emotionale Belastung. Wir unterstützen die Halter auf vielfältige Weise, Förderrichtlinien und Beratungsangebote haben wir stetig ausgeweitet und angepasst. Eine Entnahme von Wölfen in Schermbeck ist nach aktueller rechtlicher Bewertung schlicht nicht möglich. Dies hat ein aktuelles Rechtsgutachten erneut bestätigt.
Das lässt sich nicht ändern?
Wölfe sind durch das Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Hier ist die Bundesebene aufgefordert, praktikablere Regelungen einzuführen. Aktuell prüfen wir, die Förder- und Beratungsangebote zu erweitern. Und wollen die Organisationsstruktur auf Landesebene verstärken sowie das Wolfsmanagement optimieren. Nach der Rückkehr des Wolfs in seine ursprünglichen Verbreitungsgebiete bleibt das übergeordnete Ziel, Naturschutz sowie Herdenschutz in Einklang zu bringen und das Leben mit dem Wolf so angst- und konfliktfrei wie möglich zu gestalten. Die Zahl der Übergriffe auf Haus- und Nutztiere ist im Vergleich zu den Vorjahren nicht gestiegen.
Nutztierhalter sollen wolfsabweisende Zäune bauen. Doch die Praxis zeigt, dass Wölfe auch diese überwinden. In Hünxe haben Wölfe auch Ponys gerissen. Wie müssen Ihrer Meinung nach Zäune für Schafe, Rinder und Pferde aussehen, die vor dem Wolf schützen?
Im laufenden Jahr sind alle Übergriffe auf Haus- und Nutztiere auf Weiden erfolgt, die nicht ausreichend gegen den Wolf geschützt waren. Zum aktuellen Vorfall im Oktober steht die abschließende Bewertung noch aus, hier könnte der Wolf aber tatsächlich den vorgeschriebenen Schutz überwunden haben. Mit Sorge erfüllen uns die Übergriffe auf Kleinpferde bzw. Ponys im Wolfsgebiet Schermbeck. Diese Häufung macht Präventionsmaßnahmen auch bei gefährdeten Pferdehaltungen erforderlich. Die Weiden sollten nach den gängigen Vorgaben wolfsabweisend gezäunt werden, Haus- und Nutztiere sollten in den dunklen Tag- und Nachtstunden in einen Stall untergebracht werden. Damit das auch Pony-Halter leisten können, wollen wir ab 1. Dezember 2021 die Förderrichtlinien Wolf auch für Pferde bzw. Kleinpferde, Fohlen- und Jungpferdehaltungen für das Wolfsgebiet Schermbeck öffnen.
Solche Zäune versperren auch den Durchgang für alle anderen Wildtiere, was neue Probleme verursacht. Was empfehlen Sie oder hat der Wolfschutz Vorrang vor den anderen Wildtieren?
Das ist ein wichtiger Punkt. Jüngst gab es eine Anfrage, was dies für die neuen Ökomodellregionen wie dem "Niederrhein" bedeutet. Dies muss man klären und abwägen. Durch Herdenschutzmaßnahmen wie elektrifizierte Herdenschutzzäune mit Unterschlupf- bzw. Untergrabeschutz lassen sich Wolfsübergriffe vermeiden. Was angemessene Herdenschutzmaßnahmen für Pferde betrifft, hat die Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland eigene Empfehlungen herausgegeben, ebenso der Verband der Elektrotechnik. Für offene Fragen hat die Landwirtschaftskammer NRW eine Servicehotline eingerichtet.
Bislang fördert das Land das Zaunmaterial zu 100 %, nicht aber die Bau- und die Betriebskosten für die Zaunanlage. Diese Forderungen gibt es aber. Medienberichten zu Folge könnte allein im Wolfsgebiet Schermbeck die Förderung des Herdenschutzes das Land bis zu 10 Mio. € kosten. Steht das noch im Verhältnis – bei einer vermutlich weiter steigenden Zahl an Wölfen in NRW?
Bundesweit geregelt ist, dass die Verhältnismäßigkeit der Kosten für Herdenschutzmaßnahmen keine Begründung für eine Entnahme sein darf. Ob das so bleibt, hängt von Diskussionen zwischen Bund und EU ab. Wir setzen uns auf Bundesebene dafür ein, die Verhältnismäßigkeit der Kosten mit zu berücksichtigen. Ebenso prüfen wir derzeit, ob und unter welchen Voraussetzungen auch Teile der laufenden Kosten übernommen werden können, auch hier gibt es eine Diskussion auf Bund-Länderebene. Bis auf weiteres priorisiert NRW jedoch die Investitionskosten von Herdenschutzmaßnahmen. Denn nach wie vor hält ein zu großer Teil an Tierhaltern keine wolfsabweisende Zäunung und auch sonst keine Herdenschutzmaßnahmen vor.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein bzw. was muss passieren, damit Wölfe entnommen werden können?
Grundsätzlich dokumentiert und bewertet das LANUV jeden Wolfsübergriff auf Haus- und Nutztiere. Dazu zählt immer auch die Frage, ob der empfohlene Herdenschutz umgesetzt und ob er mehrfach in räumlich und zeitlich engem Abstand überwunden wurde. Ist das der Fall, können Wölfe nach den Vorgaben des Bundesnaturschutzgestzes im begründeten Einzelfall entnommen werden. Für die Entnahme sind in NRW die Kreise und Kreisfreien Städte zuständig. Wie durch das jüngste Rechtsgutachten noch einmal bestätigt, konnte ein problematisches Verhalten gegenüber Weidetieren oder ein auffälliges Verhalten gegenüber Menschen bisher nicht belegt werden.
WLV und RLV fordern eine erleichterte Entnahme von Problemwölfen nach französischem Vorbild. Dort dürfen nach gleichem EU-Schutzstatus bis zu 19 % der jährlich geschätzten Wölfe entnommen werden. Warum wendet Deutschland das nicht an?
Darüber kann nicht ein einzelnes Bundesland entscheiden. Zudem wird oft verkannt, dass auch beim "französischen Modell" eine Einzelgenehmigung für jede Entnahme nach vorherigen Schäden erfolgt. Um die Entnahmen zu begrenzen, hat Frankreich eine Genehmigungsquote festgelegt. Sind die Genehmigungen ausgeschöpft, dürfen keine weiteren Wölfe entnommen werden. Das französische Staatsgebiet umfasst einen Teil der Apennin-Alpenpopulation des Wolfs. Die an die Jagd im Bergland gewöhnten Wölfe jagen in den französischen Alpen auch auf sogenannten Freiweiden, wo nicht ohne Weiteres wolfsabweisende Herdenschutzzäun oder Herdenschutzhunden möglich sind. Hier finanziert Frankreich Hirten mit Geld aus dem Agrartopf. Dennoch hat Frankreich bei einer geringen Zahl an Wölfen drei- bis viermal so viele Risse zu beklagen wie Deutschland. Diese Verhältnisse gibt es in NRW nicht, das französische Modell wäre auf NRW nicht übertragbar.
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