Die Tasse Kaffee am Morgen gehört dazu. Bis die 200 ml Heißgetränk dampfend auf dem Tisch stehen, braucht es für Anbau und Verarbeitung knapp 140 l Wasser – pro Tasse. Deutschland ist, nicht nur aufgrund des Kaffeekonsums, einer der zehn größten Wasserimporteure der Welt. Das verursacht Probleme.
Wasser birgt Zündstoff
„Die Kriege der Zukunft werden um Wasser geführt“, prophezeite 1985 der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali für den Nahen Osten. Aus seiner Heimat Ägypten kannte er die Problematik knapper Wasserressourcen. Denn Ägypten liegt am Unterlauf des Nils. Neun Anrainerstaaten haben bereits vorher ein Interesse daran, das Wasser des vermutlich längsten Flusses der Welt zu nutzen. Das Nildelta ist seit jeher von Zeiten mit Niedrig- und Hochwasser geprägt. Die dort ansässigen Landwirte haben ihre Produktionsverfahren angepasst. Regelmäßig überschwemmt das Flusswasser ihre Felder. Ist das Wasser abgeflossen, bleibt fruchtbarer Nilschlamm auf den Feldern zurück und die Bauern beginnen mit der Aussaat. Nach nur drei Monaten kann und muss geerntet werden – ehe die starke Sonneneinstrahlung den Boden austrocknet. Entnehmen nun die Staaten am Oberlauf mehr Wasser als vereinbart, sinkt der Flusspegel. Den ägyptischen Landwirte wird regelrecht das Wasser abgegraben. Verursacher und Leidtragende sind klar definiert. Doch wem graben wir mit unserem Konsum das Wasser ab?
Wie wird’s berechnet und ist das schlüssig?
Um den Wasserfußabdruck eines Landes in der Welt zu berechnen, nutzt man häufig den sogenannten „Top-Down-Ansatz“. Dazu braucht es neben Export- und Importstatistiken auch Zahlen zur landwirtschaftlichen und industriellen Produktion im Inland. Der so ermittelte Warenverbrauch der Bevölkerung, multipliziert mit der für die Produktion erforderlichen Wassermenge ergibt den Wasserfußabdruck eines Landes. Dieser wird dann auf den einzelnen Tag und Bürger runtergerechnet – daher der Name „Top-Down-Ansatz“.
Die bloße Größe des Wasserfußabdrucks sagt wenig über die Folgen des Handels mit virtuellem Wasser aus. Es braucht stets Aussagen zur Farbe. Um die entsprechenden Anteile grünen (Regen) und blauen Wassers (Oberflächen- und Grundwasser) berechnen zu können, bemühen Wissenschaftler häufig Agrarstatistiken. Diese weisen neben dem Anteil von Flächen mit Bewässerung auch entsprechende Erntemengen aus. Meteorologische Daten, kombiniert mit Erhebungen aus dem Pflanzenbau, ergänzen die Berechnung des Wasserverbrauchs einzelner Produkte. Schwieriger gestaltet sich hingegen die Ermittlung der hypothetischen Größe des grauen, also des verschmutzten Wassers. Es sagt aus, wie viel Frischwasser zum Verdünnen von Abwasser nötig ist, damit bestehende Qualitätsstandards im oberirdischen Gewässer, dem „natürlichen Vorfluter“, eingehalten werden. Solche verbindlichen Standards existieren weltweit jedoch nur für Nitrat. Andere Stoffe, die bei der landwirtschaftlichen Produktion entstehen und ins Wasser gelangen können, werden beim grauen Wasser nicht erfasst. Ähnlich schwierig gestaltet sich auch die Berechnung des Schmutzwassers der industriellen Produktion. Sie hängt stark von lokalen Bedingungen und politischen Vorgaben ab. Ein weltweiter Vergleich ist nur bedingt möglich.
Kaffee – nicht so schlimm
Um die Nerven zu beruhigen: Nicht jede Tasse Kaffee verursacht anderswo Wasserknappheit. Stammen die Bohnen aus afrikanischen oder lateinamerikanischen Bergregionen, ist es meist Arabica-Kaffee. Für ein gutes Wachstum reicht dieser Sorte der in den Bergen fallende Regen, in der Fachliteratur als „grünes Wasser“ bezeichnet. Anders verhält es sich beim Robusta-Kaffee, der viel in Vietnam, Indonesien, aber auch in Brasilien angebaut wird. Da er im Tiefland wächst, wo weniger Regen fällt, ist er auf künstliche Bewässerung, das sogenannte „blaue Wasser“ angewiesen. Diese Sorte ist demnach weniger umweltverträglich. Wasser wird noch an anderer Stelle verbraucht. Das „graue Wasser“ ist eine theoretische Größe. Sie erfasst, wie viel Wasser es braucht, um zum Beispiel Pflanzenschutz- und Düngemittel auf ein umweltverträgliches Maß zu verdünnen. Fazit: Je geringer der absolute Wasserfußabdruck und je höher der Anteil grünen Wassers, desto besser. Jeder einzelne Bundesbürger verbraucht im Schnitt 4497 l Wasser – pro Tag. Doch nur etwa die Hälfte des Wassers stammt aus Deutschland. Der Rest des virtuellen Wassers kommt aus den verschiedenen Ländern der Welt, allen voran Brasilien, der Elfenbeinküste sowie Frankreich.
Wasserdiebe bedrohen die Natur
Virtuelle Wasserexporte sind nicht zwangsläufig schlecht. In Regionen, in denen es regelmäßig und ausreichend regnet, also viel grünes Wasser zu Verfügung steht, sind Exporte eher vertretbar als in Gegenden, wo der Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln mit „blauem“ Wasser, sprich Grundwasser erfolgt. Diesen Überlegungen trägt der Wasserknappheitsfußabdruck Rechnung, weil er die klimatischen Bedingungen im Produktionsland mit einbezieht.
Wissenschaftler warnen, dass sich Ökosysteme in Gebieten mit intensiver Grundwasserförderung bis 2050 kritisch verringern werden. Was das konkret bedeuten kann, zeigt sich bereits heute in Spanien: Der Coto de Doñana in Andalusien ist einer der wichtigsten Naturräume Europas. Er ist Weltkulturerbe und Drehkreuz für Millionen von Zugvögeln. Unmittelbar neben dem 125 000 ha großen Feuchtgebiet liegen Plantagen, auf denen Obst und Gemüse für den europäischen Markt wachsen. Die zahlreichen, teils illegal gebohrten Brunnen für die Bewässerung senken den Grundwasserspiegel und legen das Gebiet nach und nach trocken. Vor elf Jahren beschwerte sich die spanische Sektion des WWF bei der EU-Kommission über den „Wasserraub“. Ende 2020 gab der europäische Gerichtshof dann der Klage der Kommission statt. Die „unverhältnismäßige Entnahme von Grundwasser“ verstößt demnach gegen EU-Recht, insbesondere Wasserrahmen- und Habitat-Richtlinie.
Wo viel Grundwasser gepumpt wird, droht neben dem Austrocknen auch das Versalzen, weil Meerwasser in die unterirdischen Reservoirs nachfließt. Indien ist eines der betroffenen Länder. In manchen Landesteilen sinkt der Grundwasserspiegel laut World Resources Institute um bis zu 8 cm – pro Jahr. Die Natur „wehrt“ sich gegen den Wasserentzug auf ihre ganz eigene Art – sie stirbt. Doch was tun Menschen, wenn man ihnen das Wasser abgräbt – fliehen sie, kämpfen sie?
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing?Die Studienlage zum Virtuellen Wasser und dem Wasser(knappheits-)fußabdruck ist vielfältig. Neben der Umweltorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) oder der Initiativen Water Footprint Network (WFN) reklamieren auch Institutionen des Bundes das Recht für sich, Aussagen über den Wasserfußabdruck zu machen. Je nach Autor und Herausgeber zeigen sich teils große Unterschiede hinsichtlich des berechneten Wasserverbrauchs. Während der WWF für Deutschland einen Wasserverbrauch von 117,6 km³/Jahr angibt, sieht das WFN die Bundesbürger rund 13 % sparsamer. Der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Wert (80,8 km³/Jahr) ist hingegen deutlich niedriger. Doch wer genau hinschaut, stellt fest, dass die Bundesbehörde bei ihrer Berechnung ausdrücklich das graue, sprich das bei der Produktion verschmutzte Wasser, ausklammert. Weiter ist der Vergleich der drei erwähnten Publikationen müßig, da das Statistische Bundesamt den Wasserfußabdruck der industriellen Produktion von vornherein ausschließt. Denn es ist einfacher, den Wasserfußabdruck für die Produktion von Agrargütern zu berechnen als den von Industriegütern, weil die Verfahren in der Landwirtschaft deutlich einheitlicher sind als in der Industrie.
Auch grundsätzlich steht das Konzept des Wasserfußabdrucks immer wieder in der Kritik, da es auf aggregierten Zahlen fußt. Die Annahmen für Waren- und somit auch Wasserimporte sind häufig zu niedrig angesetzt. Das lässt sich am Beispiel des Kaffees verdeutlichen: Importiert Deutschland Kaffeebohnen direkt aus den Anbauländern, werden sie in der Handelsstatistik erfasst. Kommen die Bohnen jedoch über niederländische Häfen in die EU und erst im Anschluss in die Bundesrepublik, fallen sie aus der Statistik heraus und tragen nicht zum Wasserfußabdruck Deutschlands im eigentlichen Herkunftsland bei.
Dieser Beitrag basiert auf den
Zahlen aus dem Forschungsprojekt „Wasserflüsse in Deutschland“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, da es die aktuellsten Daten für den deutschen Wasserfußabdruck sind.