Landwirt Dietrich Treis lebt seit 1999 mit seiner Familie in der Ukraine. Seit 2017 arbeitet er als Geschäftsführer auf einem Ackerbaubetrieb nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Der Betrieb hat 4500 ha Ackerland, auf dem sie Mais, Weizen, Sonnenblumen, Roggen und Raps anbauen.
Seine Erlebnisse:
„Bombeneinschläge in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar. Ich wachte auf, packte meine letzten wichtigen Sachen zusammen und saß eine halbe Stunde später im Auto auf dem Weg zur rumänischen Grenze. Dort fuhr ich mit zwei Bekannten weiter über Rumänien, Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Polen bis nach Berlin. Im Vergleich zu vielen anderen Ukrainern, die bis zu drei Tage an den Grenzen warten mussten, war das fast eine Luxusreise. Am späten Samstagabend (27. Februar) kam ich in Berlin an. Meine Familie war bereits zwei Wochen zuvor dorthin gereist. Wir sind wieder vereint.
Seitdem verfolge ich das Geschehen in der Ukraine über das Telefon und die sozialen Medien. Mit meinen Bekannten und Mitarbeitern halte ich Kontakt. So bin ich weiter nah dran. Und so kann ich auch aus der Ferne koordinieren und unterstützen. Zum Beispiel kam ein Anruf, dass kein Brot mehr da sei. Wir haben Kontakt zu einem Getreidekunden aufgenommen. So konnten wir 5 t Weizen zur Mühle fahren, sodass die Menschen in den umliegenden Dörfern aus dem Mehl Brot backen konnten. So etwas tut gut.
Alle aktuellen Feldarbeiten sind unterbrochen. Wichtige Betriebsmittel wie Diesel und Lkw haben wir an die Armee gegeben. Sie benötigen es für die Verteidigung des Landes. Bei uns geht die Frühjahrsbestellung in etwa drei Wochen los. Aber selbst wenn der Krieg in den nächsten Tagen zu Ende sein sollte, habe ich Zweifel, dass ich die notwendigen Mittel zurückbekomme.
Winterweizen und Raps stehen auf unseren Feldern so gut wie noch nie. Um eine gute Ernte zu erzielen, braucht der Bestand aber spätestens in drei bis vier Wochen Dünger.
Vor allem fehlen mir aktuell die Mitarbeiter. Wer sitzt denn auf den Panzern? Die jungen Männer. Und wer fährt die Traktoren? Die jungen Männer. Davon sind die Betriebe in der Ukraine als auch in Russland betroffen. Vor wenigen Tagen war das noch unvorstellbar.
Noch ist der Großteil der landwirtschaftlichen Fläche in der Ukraine nicht von den Kämpfen eingenommen. Wenn in vier Wochen aber immer noch Krieg herrscht, weiß ich nicht, ob ich die Felder weiter bewirtschaften kann. Für eine halbwegs geregelte Bestellung mit nicht allzu hohen Einbußen muss ich so schnell wie möglich auf die Flächen.
In den vergangenen Jahren produzierte die Ukraine jährlich etwa 70 Mio. t Getreide. Etwa die Hälfte ging auf den Weltmarkt. Das Exportvolumen dürfte erheblich schrumpfen, vermutlich um 50 bis 100%. Noch ernster könnte es aber auf dem russischen Getreidemarkt aussehen: Wenn man große Ernteverluste und Sanktionen einbezieht, haben sie im Endeffekt nichts mehr zu exportieren. Die Mengen würden am Weltmarkt fehlen und die Preise erheblich steigen. Im Prinzip ist es eine Katastrophe für die ganze Welt. Vor allem die afrikanischen und asiatischen Länder wird es noch sehr viel härter treffen als Deutschland.
Unser Betrieb liegt genau in der Einfahrtsschneise der Russen, die von Osten Richtung Kiew fahren. Aktuell ist die Front noch etwa 30km entfernt. Wenn die Truppen weiter in das Inland eindringen, können sie schnell vor unserer Tür stehen. Entspannt sich die Lage vor Ort in den nächsten Tagen hingegen, könnten wir mit einem „blauen Auge“ davonkommen. Dann könnten wir zumindest ansatzweise wirtschaften und den Markt versorgen, sofern das Wetter mitspielt.“
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