An den Hof Hinnebecke in Wetter-Volmarstein grenzt der 14 ha große Gewerbepark „Schwelmer Straße“. In der Ferne rauscht der Verkehr der Autobahn 1, und direkt an der Hofeinfahrt verläuft die Bundesstraße 234. Wie in einem Brennglas werden hier die Herausforderungen der Landwirtschaft am Rande der Metropole Ruhr deutlich.
Fluch und Segen
„Die Lage ist Fluch und Segen zugleich“, sagt Iris Reschop, die mit ihrem Mann Hans-Jörg Beckmänning, ihrer Schwiegermutter und drei Kindern auf dem Betrieb lebt. Im Nebenerwerb bewirtschaftet die Familie 55 ha, davon 20 ha Grünland. Außerdem hält sie etwa 20 Rinder. Das Fleisch vermarktet die Familie direkt. Agraringenieur Hans-Jörg Beckmänning arbeitet als kaufmännischer Leiter bei einem regionalen Energie- und Wasserversorger.
Ein Segen ist die gute Verkehrsanbindung und die Nähe zu den Verbrauchern. Der Renner auf dem Hof sind die Weihnachtsbäume. Aus dem ganzen Ruhrgebiet und darüber hinaus strömen ab Mitte November die Kunden auf den Hof, um sich fürs Fest mit Nordmanntannen oder Fichten zu bestücken.
Die drei Kinder begeistern sich alle für die Landwirtschaft. Mittlerweile hat Sohn Nils, der nach der landwirtschaftlichen Lehre gerade in Soest Agrarwirtschaft studiert, die Direktvermarktung erweitert. Er nennt drei mobile Hühnerställe sein Eigen. Bis zu 100 Autos am Tag halten an dem Selbstbedienungs-Hofladen neben der Scheune und kaufen frische Eier und Kartoffeln.
Der Hof ist überplant
Nils möchte den Hof, der schon mehr als 100 Jahre im Familienbesitz ist, wie einst sein Großvater im Vollerwerb weiterführen. Aber: Ein Flächenzukauf für eine mögliche Entwicklung ist direkt vor Ort unmöglich. Flächen der Familie liegen schon jetzt mehr als 10 km entfernt. Sie mit Schlepper und Anbauten zu erreichen, ist im hügeligen und verkehrsreichen Ennepe-Ruhr-Kreis stets eine Herausforderung.
Doch viel gravierender für die Zukunft des Betriebes: „Der Regionalplan der Regionalverbandes Ruhr (RVR) schwebt über uns“, sind sich die Eheleute Beckmänning und Reschop einig. Der Regionalplan legt Ziele und Maßnahmen für die räumliche Entwicklung einer Region fest. Die Hofstelle, 23 ha Eigenland und etwa 7 ha Pachtland sind dort als Gewerbefläche ausgewiesen. „Regionaler Kooperationsstandort“ heißt das im Behördendeutsch.
Im Klartext bedeutet es: Die Stadt Wetter könnte dort ein Gewerbegebiet planen. Zurzeit fehlt dazu aber der politische Wille. Die Stadt bedauert sogar auf Anfrage des Wochenblatts, dass der RVR nicht auf die mehrfach geäußerten Bedenken und die Ablehnung der Stadt Wetter wie der Politik reagiert und diese Flächen nicht aus dem Regionalplan herausgenommen hat.
„Doch was ist in 10 oder 15 Jahren, wenn unser Sohn voll im Betrieb steht?“, fragt sich Hans-Jörg Beckmänning. Laut dem Agraringenieur hat die Stadt Wetter nur hier noch die Möglichkeit, eine größere zusammenhängende Fläche samt guter Verkehrsanbindung für das Gewerbe zu erschließen. So könnte sie möglicherweise den benachbarten Gewerbepark „Schwelmer Straße“ erweitern.
Auf Anfrage beschwichtigt der RVR aber. „Die regionalplanerische Festlegung alleine schafft noch kein Baurecht. Mit der Festlegung wird sichergestellt, dass innerhalb der Grenzen dieser Festlegung keine Vorhaben oder Planungen realisiert werden, die der künftigen Nutzung Gewerbe-/Industriegebiet entgegenstehen oder diese unmöglich machen.“ Und weiter: „Solange die Stadt Wetter nicht in die Bauleitplanung einsteigt, ändern sich vorerst für den Landwirt nichts.“
Revision möglich
Nichtsdestotrotz bleiben Hof und Fläche als potenzielle Gewerbefläche im Regionalplan. Dabei verweist der RVR aber auf eine Revisionsklausel, „die vorsieht, dass alle 24 Kooperationsstandorte spätestens nach fünf Jahren überprüft und gegebenenfalls aktualisiert werden sollen. “
Gegen den Regionalplan hat die Familie im Februar 2019 den ersten Einspruch verfasst, im November 2020 den zweiten und den dritten Ende April 2022. „Nur durch diese vorherigen Einwendungen haben wir später die Möglichkeit, auch zu klagen“, erklärt Hans-Jörg Beckmänning.
Denn aus anderen Ecken des Ruhrgebietes weiß er, dass Landwirte beim Tauziehen um ihre Flächen schon häufiger den Kürzeren gezogen haben. „Für die Gewerbeflächen gehen immer die besten Flächen drauf – schön eben und mit gutem Boden“, sagt Hans-Jörg Beckmänning. Doch seine Familie will sich als landwirtschaftlicher Betrieb am Rande der Metropole weiter behaupten.
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