Die gesellschaftspolitisch forcierte Haltung von Tieren mit intaktem Lang- bzw. Ringelschwanz stellt die heimischen Schweinehalter vor große Herausforderungen. Das Kürzen der Schwänze ist zwar weiterhin möglich, „wenn der vorgesehene Eingriff im Einzelfall für die vorgesehene Nutzung des Tieres zu dessen Schutz oder zum Schutz anderer Tiere unerlässlich ist“. Allerdings drängen nicht nur die EU-Kommission, sondern auch verschiedene Landesministerien auf einen mittelfristigen Kupierverzicht.
Praxishandbuch bietet Hilfestellung
Um die Landwirte beim Einstieg in die Langschwanzhaltung zu unterstützen, hat jetzt der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) ein „Praxishandbuch Kupierverzicht“ aufgelegt. In dem 140 DIN-A4-Seiten starken Werk sind Erfahrungen und Fachwissen aus der Beratung, aus der Haltung von unkupierten Schweinen am LLH-Eichhof sowie aus Praxisbetrieben zusammengefasst, die in den vergangenen Jahren am Modell- und Demonstrationsvorhaben (MuD) Tierschutz teilgenommen haben.
Das Handbuch dient dem Wissenstransfer und soll den Tierschutz in der Nutztierhaltung Stück für Stück verbessern helfen, ohne die Landwirte mit der Aufgabe zu überfordern. Das wurde in der vergangenen Woche in Bad Hersfeld bei der Vorstellung der Publikation durch Dr. Hans-Joachim Herrmann, Natascha Klinkel sowie Nadja Böck und Sabine Heckmann (alle LLH) deutlich.
Patentlösungen gibt es nicht
Im Praxishandbuch finden sich zahlreiche Tipps und Hinweise dazu, wie der Einstieg in den Kupierverzicht gelingen kann, ohne übermäßige Probleme mit Schwanzbeißen zu provozieren. Gleichwohl gibt es keine Patentlösungen, erklärte Nadja Böck.
So bringt in dem einen Stall beispielsweise die Änderung der Buchtenstruktur mit Anlegen einer Kotecke samt Kontaktgitter zur Nachbarbucht deutliche Verbesserungen. In einem anderen Fall bietet es sich womöglich an, einen zusätzlichen Wühlbereich (geschlossener Boden) zu schaffen, auf welchen regelmäßig Stroh, Heu oder Luzerne dosiert wird.
Klar ist für die LLH-Expertin, dass eine erfolgreiche Haltung von Schweinen mit langem Schwanz nicht erst in der Mast beginnt, sondern viel weiter vorne. Die Hauptlast des Kupierverzichtes tragen die Ferkelerzeuger, weil der Flatdeckbereich nach bisherigen Erfahrungen die sensibelste Phase darstellt.
Entzündungs- und Nekrosesyndrom
Und selbst hier sieht man nach Ansicht von Dr. Frederik Löwenstein eher die Symptome, als die Ursache des Problems. Wie der Tierarzt von der Landesanstalt für Schweinezucht im baden-württembergischen Boxberg erläuterte, dürfte ein beträchtlicher Teil der Schwanz- und Ohrrandverletzungen nicht auf aggressives Beißverhalten, sondern auf das sogenannte Entzündungs- und Nekrosesyndrom (SINS) zurückzuführen sein.
Hierbei kommt es durch komplexe Stoffwechselstörungen zu schmerzhaften Entzündungen und mangelhafter Durchblutung von Schwanz, Ohren und Klauen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Fütterung und Wasserversorgung – und das nicht erst beim Ferkel, sondern schon während der Trächtigkeit der Sau. Wichtig sind hier laut Löwenstein unter anderem reichlich gutes und gut erreichbares Tränkwasser sowie ausgeglichene, mykotoxinarme Futtermischungen mit ausreichend Rohfaser.
Was den Einstieg in die Langschwanzhaltung angeht, sind sich die Fachleute zudem einig, das dies nicht mit gesundheitlich vorbelasteten Ferkeln gelingen wird. Dafür braucht man vitale, gesunde Tiere. Wenn es Probleme mit SINS gibt, müssen diese behoben werden. Auch dazu liefert das neue Handbuch einige Hinweise.
Das Praxishandbuch ist als gedruckte Variante erhältlich bei Natascha Klinkel vom Beratungsteam Tierhaltung (natascha.klinkel@llh.hessen.de) oder in Kürze als Download auf der LLH-Homepage ("www.llh.hessen.de/kupierverzicht") [Link auf http://www.llh.hessen.de/kupierverzicht]
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