Kommentar

Tierwohl als Ladenhüter

Mehr Tierwohl und zwar so schnell wie möglich. Das wollten Lebensmittelhandel sowie Verbraucher. Doch seit dem Ukraine-Krieg rückt der Preis wieder mehr in den Fokus – zulasten von Tierwohlprodukten.

Bis vor wenigen Wochen gab es nur eine Richtung: mehr Tierwohl – so schnell wie möglich, am liebsten nur noch Außenklima- oder Biohaltung. Die deutschen Lebensmittelhändler jazzten sich gegenseitig in die Höhe. Produkte, die „nur“ den hohen gesetzlichen Standard erfüllen, schienen des Teufels zu sein. Die Politik schaut dabei seit Jahren tatenlos zu. Sie hat zwar einen Borchert-Plan zum Umbau der Tierhaltung, setzt aber nichts um – auch die neue Ampelregierung nicht. Sie haut aber zusätzlich das Ziel von 30 % Bio bis 2030 heraus.

Zugegen: Während der Corona-Pandemie schien es in diese Richtung zu gehen: Weil Verbraucher seltener in den Urlaub flogen und häufiger zu Hause kochten, lagen mehr Tierwohl- und Bioprodukte im Einkaufswagen. Doch der Ukraine-Krieg änderte das schlagartig. Die Inflation galoppiert. Alles ist und bleibt teuer. Keiner weiß, was künftig kommt. Da ist der Großteil der Deutschen typisch deutsch: Er spart, vor allem bei Lebensmitteln. Plötzlich sind Produkte mit gesetzlichem Standard sowie Rabatte und Discounter wieder Trumpf. Das drückt Tierwohl und Bio:

  • Schon in der Einstiegsstufe für mehr Tierwohl, der Initiative Tierwohl (ITW), stockt der Absatz: Die Schlachter nehmen aktuell keine freien ITW-Schweine mehr, weil der Handel diese leicht höherpreisigen Produkte nur begrenzt an den Kunden bekommt. Der Start mit ITW-Rindfleisch am 1. Juni verzögert sich, weil es keine Nachfrage gibt (Seite 34). Und Fleisch, das aus höheren Haltungsstufen wie etwa Außenklima kommt und deshalb mehr kostet, bleibt größtenteils liegen oder geht ohne Preisaufschlag über die Theke.
  • Bei Bio ist es ähnlich: Im März lagen die Tagesumsätze in Bioläden und -supermärkten fast 20 % unter Vorjahr. Und wenn Bio, dann griffen die Verbraucher häufiger zu Handelsmarken als zu den teureren Markenartikeln.

Klar: Wenn sich die Krise abschwächt, rücken Megathemen wie Klimaschutz und Tierwohl wieder stärker in den Fokus. Dann könnten auch Tierwohlprodukte wieder besser laufen. Deshalb waren die Aktivitäten rund um Tierwohl keinesfalls vergebens. Im Gegenteil: Landwirte und Verarbeiter sollten daran festhalten. Nur Handel und Politik müssen endlich die Marktrealität anerkennen: Nur wenige deutsche Verbraucher zahlen für höherpreisige Tierwohlprodukte.

Wenn Handel und Politik flächendeckend höhere Standards in der Tierhaltung haben wollen, müssen sie dafür bezahlen. Die Forderungen stehen seit Monaten: Ein glasklares Bekenntnis des Handels zu deutscher Herkunft („5 x D“) mit finanzieller Unterstützung. Und 3 bis 5 Mrd. € pro Jahr vom Staat für den Umbau der Tierhaltung. Doch an beidem haperts: Der Handel kauft weiter vor allem dort, wo es am günstigsten ist, im In- und Ausland. Und der Staat will gerade einmal 1 Mrd. € für vier Jahre zur Verfügung stellen – vermutlich, weil Milliarden in das Abfedern der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges fließen. Das frustriert Tierhalter. So bleiben höhere Haltungsstufen eine Nische.

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