Schwanzbeißen

Wie der Darm das Schwein regiert

Bakterien in unserem Verdauungstrakt kommunizieren mit dem Gehirn. Bei Tieren ist das ebenso. Was zunächst Fragen aufwirft, könnte die Lösung für Verhaltensstörungen im Stall sein.

In der Natur ist das Schwein zehn bis 15 Stunden mit Nahrungssuche und Fressen beschäftigt – am liebsten in der Gruppe und auf viele kleine Portionen verteilt. Im Stall nimmt es dagegen wenige, üppige Mahlzeiten zu sich – mit hoher Energiedichte und Mangel an Struktur. Im schlechtesten Fall sind auch noch die Fressplätze knapp und das arttypische Verhalten damit eingeschränkt. Für die Tiere bedeutet das puren Stress. Der äußert sich in Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen. Aber warum betrifft es nicht alle Schweine?

Stress: Schwelle überschritten

Ganz einfach: Jedes Schwein hat eine individuelle Belastbarkeitsschwelle. Ist die überschritten, setzt das eine erstaunliche Kaskade von Abläufen in Gang. Erste Forschungsergebnisse aus diesem Bereich stellte Anna Schönherz von der Universität Aarhus aus Dänemark diese Woche auf dem Geseker Schweineabend vor.

Darm unter der Lupe

Um die Zusammenhänge zu verstehen, lohnt sich ein Blick in den Darm. Die hier ansässigen Mikrobiota, also alle mikrobiellen Organismen, können nämlich Neurotransmitter produzieren und Signale an das Gehirn senden. Das hat mächtigen Einfluss auf Stimmung und Sozialverhalten der Schweine.

Hormone und Bakterien im Austausch

Andersherum beeinflusst das Gehirn die Mikrobiota, indem es unter Druck etwa Cortisol ausschüttet. Das Stresshormon erhöht die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut, sodass schädliche Stoffe schneller in den Blutkreislauf gelangen. Außerdem wirkt sich ein zu hoher Adrenalinspiegel negativ aus, indem er pathogene Keime im Darm fördert. Stress verändert also die Mikrobiota und die Mikrobiota verändern die Stressreaktion des Körpers – ein Teufelskreis.

Schwanzbeißen: Was Opfer und Täter gemeinsam haben

Chronischer Stress führt zu Angst, Appetitlosigkeit und erhöhter Reizbarkeit. Das äußert sich in gesteigerter Aktivität und ausgeprägtem Erkundungsverhalten bis hin zu Schwanzbeißen. Das Interessante dabei: Täter- und Opfertiere zeigen eine ähnliche Zusammensetzung der Darmmikrobiota, denn beide sind hochgradig gestresst.

Für einen gesunden Darm braucht es gesundes Futter. Besonders wichtig sind in den Augen der Forscherin folgende Punkte:

Raufutter verlängert die Fresszeit und fördert die Verdauung.

Lösliche Faser reduziert den pH-Wert, beruhigt die Tiere und fördert gesunde Darmbakterien. Sie ist zum Beispiel in Haferschälkleie, Luzerne oder Trockenschnitzeln enthalten.

Die Proteinqualität muss stimmen. Wertvoll für den Darm ist die Aminosäure Tryptophan. Sie schützt die Schleimhaut und verbessert die Kommunikation zwischen Darm und Hirn.

Genügend Fressplätze verringern das Suchverhalten und die Konkurrenz zwischen Schweinen.

Weitere Schlüsselfaktoren gegen Verhaltensauffälligkeiten sind Stallklima, Gesundheit, Hygiene und Buchtenstruktur.

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