Export fällt flach
Den 10. September 2020 werden Schweinehalter und Fleischverkäufer so schnell nicht vergessen. Auf den ersten bestätigten ASP-Fall in Brandenburg reagierten China und zahlreiche asiatische Länder über Nacht mit umfangreichen Importstopps. „Von einem Tag auf den anderen mussten wir 6 Mio. € an Kühlhausbeständen abschreiben, die eigentlich für China und Asien bestimmt waren“, erinnert sich Finanzvorstand Carsten Schruck. Zwei Tage schaltete Westfleisch bei der Schlachtung auf halbe Kraft, um nicht wegen überfüllter Kühllager unter Druck zu geraten.
Marktverschiebungen enormen Ausmaßes waren die Folge. Spanien und Dänemark übernahmen den deutschen Exportanteil nach Asien. Westfleisch war froh, dass sie nicht zu stark aufs Chinageschäft gesetzt hatte. Durch den Export inner- und außerhalb Europas konnten die Mengen zwar untergebracht werden. Doch haben die Margen unter diesem „Eroberungsfeldzug“ gewaltig gelitten.
Investition in die Zukunft
Hamm ist gerade zum Monoschlachthof für Schweine geworden. Damit hat Westfleisch die Zahl der Rinderschlachthöfe auf zwei reduziert und dort entsprechend investiert. In Bakum wurde schon 2019 die Betäubungsanlage erneuert, der Wartestall in den letzten beiden Jahren modernisiert. Insgesamt hat sich der Stellplatz im Neubau mit gut 140 Großvieh-Plätzen mehr als verdoppelt.
Um mehr Wertschöpfung zu generieren, wurde die Verarbeitung durch ein neues Hochregallager bei WestfalenLand weiter ausgebaut. Dadurch verdoppelt sich die Lagerkapazität auf über 2700 Palettenplätze.
In Coesfeld entstehen moderne Sozialräume und ein energieeffizientes Kühlhaus. Dort sollen 80 verschiedene Spezifikationen nach Herkunft, Haltung, Aufzucht und Fleischqualität getrennt werden – in Zeiten von ITW 3.0 ein Muss.
2020 hat Westfleisch fast 60 Mio. € in Sachanlagevermögen investiert, 2021 sind mehr als 50 Mio. € geplant. Zudem wird Westfleisch die Firmenzentrale, die über vier Gebäude verteilt ist, in ein modernes gemietetes Bürogebäude im Industriegebiet Loddenheide verlagern.
Mehr Wertschöpfung in der Kette
Eins ist sicher: Kostenmäßig kann Deutschland künftig in der europäischen Liga nicht mithalten. Umso mehr konzentriert Westfleisch sich auf den deutschen Markt. „Wir müssen unser Fleisch veredeln und so mehr Wertschöpfung in der Kette erzielen“, bringt Finanzvorstand Carsten Schruck es auf den Punkt.
Das hat im vergangenen Jahr außerordentlich gut funktioniert. Großer Pluspunkt war die durchgängige Lieferfähigkeit. Dadurch konnten langjährige Lieferbeziehungen gefestigt und neue Kunden gewonnen werden. Durch den Trend zum „Zu Hause Kochen“ fragte der Lebensmitteleinzelhandel bis zu 7 % mehr Schweinefleisch und 15 % mehr Rindfleisch nach.
Insgesamt stieg die Tonnage der Verarbeitungsbetriebe um 13 % auf fast 190 000 t, der Umsatz sogar um 19,5 % auf fast 1 Mrd. €. „WestfalenLand ist ein wich-tiges Faustpfand für die Zu-kunft“, begeistert sich Vorstands-vorsitzender Dirk Niederstucke. Deutschlands zweitgrößter Hersteller von SB-Frischfleisch und Convenience-Produkten legte beim SB-Fleisch um 10 % zu, bei Wurst sogar um 20 %. „Jetzt zahlt sich aus, dass wir seit Jahren in neue Linien und neue Produkte investiert haben“, erklärt Vorstandsmitglied Carsten Schruck zufrieden.
In den ersten Monaten 2021 allerdings geht das Konzept nicht auf. Arbeit, Verpackung, Energie, Treibstoff – die Mehrkosten auf allen Ebenen sind am Markt aktuell nicht umzusetzen.
22 Mio. € Corona-Kosten
Der Schock saß tief, als im Juni 2020 der Schlachthof in Coesfeld wegen steigender Corona-Zahlen geschlossen wurde. In der Folge entwickelte die Pandemie sich zum Problem für die gesamte Branche. Harte körperliche Arbeit, hohe Atemfrequenz am Band, kühles, feuchtes Klima mit permanenter Luftumwälzung in der Zerlegung – perfekte Verbreitungsmöglichkeiten für Corona-Viren.
Westfleisch musste, wie die gesamte Branche, das Hygienekonzept intensiv nachbessern, zum Beispiel durch FFP2-Masken im Schlacht- und Zerlegebereich und Lamellenvorhänge zwischen den Arbeitsplätzen. „Insgesamt haben wir 6 km Vorhänge in unseren Schlachthöfen aufgehängt“, bilanziert Dirk Niederstucke.
Am teuersten: Die täglichen Corona-Tests aller Mitarbeiter – 1 Mio. PCR-Tests von Juni bis Dezember 2020. „Das macht kein anderes Unternehmen der Wirtschaft“, betont Niederstucke. „Aber es war das Beste, was wir präventiv gegen Corona-Ausbrüche tun konnten.“
Kostenmäßig eine riesige Schleifspur: Insgesamt 22 Mio. € weist Westfleisch an Corona-Kosten für das Jahr 2020 aus. Das setzt sich 2021 mit rund 2 Mio. € pro Monat fort.
Ab Juni setzt Westfleisch auf ein eigenes Impfzentrum in Bönen, um die Mitarbeiter zu schützen und den Testaufwand zu senken.
3000 neue Mitarbeiter
Das Ende der Werkverträge bescherte der Westfleisch gleich 3000 neue Mitarbeiter – zusätzlich zu den schon vorhandenen 5000. „Die Herausforderung war größer, als wir gedacht haben“, gibt Carsten Schruck unumwunden zu. Vor allem die hohe Fluktuation macht dem Unternehmen zu schaffen.
Es gibt Wochen, da müssen über 50 Mitarbeiter ersetzt und eingearbeitet werden. Vorgeschaltet ist eine einwöchige Hotelquarantäne auf Westfleisch-Kosten. Mit eigenen Büros sucht Westfleisch in osteuropäischen Ländern Ersatz.
Durch den deutlichen Lohnsprung steigen die Personalkosten signifikant. In der 2020er-Bilanz sind 27 Mio. € Mehrkosten ausgewiesen. Aktuell hat die Gewerkschaft höhere Mindestlöhne ausgehandelt, die in mehreren Anpassungsschritten zu einem Plus von 30 % führen. „Damit verschlechtert sich unsere Wettbewerbsfähigkeit international weiter“, sorgt sich Carsten Schruck.
Im Bereich Schlachtung, Verpackung, Kistentransport biete Automatisierung einen Ausweg. In der Zerlegung können Roboter noch nicht überzeugen. Hier bleibt es im wesentlichen bei Handarbeit.
Rindfleisch im Aufwind?
Rind- und Kalbfleisch hatten besonders unter dem Wegfall von Gastronomie und Großküchen zu leiden. Mit dem Auslaufen der Corona-Beschränkungen kommt Hoffnung in den Markt. Doch torpediert das schwache Grillgeschäft im Moment den Absatz. „Die Bullenmäster können nicht zufrieden sein“, weiß Einkaufsleiter Qualbrink.
Druck kommt eher aus dem europäischen Ausland als aus Südamerika. Während von dort nur einzelne Edelteile im Hochpreissegment importiert werden, exportieren Irland und Frankreich Masse. Zudem bieten die Franzosen das erste Programm mit Haltungsform 3.
Für ITW sieht Qualbrink im Bereich Kuh- und Verarbeitungsfleisch gute Chancen – wenn es gelingt, mit den Molkereien an einem Strang zu ziehen und Doppelauditierung zu vermeiden.
Bei den Bullen ist das deutlich schwieriger. Allein an der Forderung nach weichem Untergrund scheitern alle Mäster mit Ausnahme der Strohställe. Und nachrüsten ist angesichts der Mastdauer auf die Schnelle nicht machbar.
Dass Strohbullen am Markt gesucht sind, will Qualbrink nicht bestätigen. Doch hat Westfleisch eine Umfrage unter Mästern gestartet, um in Vermarktungsgesprächen sofort angebotsfähig zu sein.
40 Hausmeister
Immobilien spielen für Westfleisch nicht mehr nur in Form von Schlachthöfen eine Rolle, sondern auch in Form von Wohnungen. Rund 650 Arbeitnehmerwohnungen betreut die Westfleisch-eigene WE Service GmbH. Teilweise sind sie von Werkvertragsunternehmen übernommen, teilweise neu angemietet. Damit die Wohnbedingungen modernen Standards entsprechen, hat Westfleisch mittlerweile eine 40-köpfige Hausmeistertruppe samt Handwerkerteam, die alle 14 Tage in den Wohnungen nach dem Rechten schaut.
In Lübbecke startet Westfleisch ein „Leuchtturmprojekt“: Hier baut ein privater Investor vier moderne Doppelhäuser speziell für Mitarbeiter – vier Einheiten à vier Wohnungen mit je vier Bewohnern.
Verträge mit Mehrwert
Westfleisch setzt seit Jahren auf Kooperationsverträge mit ihren Landwirten. Die Zahl der Vertragspartner hat sich im vergangenen Jahr um 5 % auf 3226 erhöht. Diese verteilen sich auf die folgenden Sparten:
2300 Schweinemäster liefern rund 6 Mio Schlachtschweine.
256 Sauenhalter erzeugen 1,3 Mio. Ferkel.
630 Rinderhalter liefern 72 000 Bullen, Kühe und Färsen.
40 Kälbermäster erzeugen 36 000 Kälber.
Die Vertragsmäster sollen auch 2020 einen Sonderbonus auf die gelieferten Stückzahlen von insgesamt 2,4 Mio. € bekommen. Zudem will Westfleisch auf die Geschäftsguthaben eine Dividende in Höhe von 4,2 % ausschütten.
Wie weiter mit Tierwohl?
In Zeiten eingeschränkter Exportmöglichkeiten fokussiert Westfleisch sich auf den heimischen Markt. In der Initiative Tierwohl sieht Einkaufsleiter Heribert Qualbrink eine große Chance für landwirtschaftliche Betriebe, das Mehr an Tierwohl auch angemessen vergütet zu bekommen. ITW ist für ihn ein Alleinstellungsmerkmal im europäischen Wettbewerb. Sowohl bei Frischfleisch als auch bei Verarbeitungsware erwartet das Unternehmen einen hohen Bedarf.
Das Konzept passt gut zur Firmenphilosophie als „Unternehmen der Bauern“ mit regionaler Herkunft. 80 % der Schweine kommen aus dem westfälischen Umland. Etwa die Hälfte der Vertragsbetriebe hat einen ITW-Vertrag. Vom Import niederländischer Schlachtschweine hat Westfleisch sich komplett verabschiedet.
Mit langjährigen Kunden wie Ras ting fährt Westfleisch Spezialprogramme wie „Bauernliebe“. Doch schätzt Qualbrink Haltungsform 3 mit Außenklima eher als Nische ein. Der Markt sei mit Stückzahlen von 1000 Schweinen pro Woche derzeit ausgereizt.
Grillsaison ohne Zeitarbeit?
Nicht nur die Werkverträge sind der Schlacht- und Verarbeitungsbranche gestrichen worden, sondern auch die Zeitarbeit. Wie sollen da die Fleischberge der Grillsaison bewältigt werden? „Das bekommen wir hin“, beruhigt Carsten Schruck.
WestfalenLand hat schon vor Corona ausschließlich mit Festangestellten gearbeitet. Hier gibt es einen festen Stamm von osteuropäischen Mitarbeitern, die schon jahrelang lediglich ein paar Monate zur Grillsaison in Münster arbeiten und den Rest des Jahres zu Hause verbringen.
Akte geschlossen
Entlastung für Ex-Vorstand Dr. Helfried Giesen: Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hatte im März Anklage erhoben wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil der Westfleisch. Hintergrund waren Verluste aus Russlandexporten im Jahr 2014. Giesen sollte dabei den Exportleiter nicht hinreichend kontrolliert haben.
Das Landgericht Münster sieht nach Angaben der Westfleisch keine Grundlage für ein Verfahren. Damit wird die Anklage fallengelassen und die Akte geschlossen.
Keine Fortschritte hingegen gibt es bei verschiedenen Verfahren, durch die sich Westfleisch einen Rechtsanspruch auf millionenschwere Forderungsausfälle im Chinageschäft sichern will. 8,5 Mio. € hatte Westfleisch dafür in die Bilanz 2019 als Einzelwertberichtigung eingestellt.
Wird der Rohstoff knapp?
Mit Coesfeld, Hamm, Gelsenkirchen und Oer-Erkenschwick verfügt Westfleisch über vier moderne Mono-Schlachthöfe für Schweine. Das einzige Problem: Der Rohstoff wird knapp. Desaströse Preise, Markt- und Rechtsunsicherheit beschleunigen den Strukturwandel. Die Westfleisch-Verantwortlichen rechnen auf mittlere Sicht mit einem weiteren Rückgang der Produktion von mehr als 20 %.
„Wir trauen uns zu, unsere Größe zu halten, indem wir Marktanteile hinzugewinnen“, gibt sich Vorstandsmitglied Carsten Schruck optimistisch. Das funktioniert aber nur mit verbesserter Effizienz und Konzentration auf weniger Standorte – auf Dauer auch im Schweinebereich der Westfleisch. Sorgen macht Einkaufsleiter Heribert Qualbrink der Rückgang der Sauenhaltung. Wenn 2024 der Bauantrag fürs Deckzentrum fällig wird, erwartet er weiteren Druck.
Doch ist er überzeugt, dass deutsche Mäster weiterhin auf holländische und dänische Importferkel setzen können. „Zwar war temporär die kaufkräftigere Konkurrenz aus Spanien und Polen hoch“, gibt er zu. Doch rechnet er damit, dass die dort vorherrschenden Integrationen den Wachstumsschritt in der Sauenhaltung nachholen. Da zudem das Umweltrecht für Mastställe in Dänemark verschärft wird, bleibe für Mäster der europäische Ferkelmarkt offen.
Veggie oder Bio
Vom Hang der Bundesbürger, im Lockdown selbst zu kochen und sich etwas „zu gönnen“, hat Westfleisch profitiert. Bei 7 % des Gesamtumsatzes liegt der Bio-Anteil der Verarbeitungstochter WestfalenLand – mit einem Zuwachs von 27 % im letzten Jahr. Den Aufschwung brachte vorwiegend das Rindfleisch. „Bei einem Hochpreisprodukt wie Dry-aged-Steaks ist der Bio-Aufschlag für den Käufer nicht so dramatisch“, erklärt Einkaufsleiter Heribert Qualbrink. Das sieht beim Schwein anders aus.
Mit Farmway Veggie Foods hat Westfleisch seit Juni 2020 in Petershagen eine eigene Linie für Fleischalternativen. Das Sortiment umfasst veganes Hackfleisch, Würstchen und Bällchen auf Basis von Erbsenprotein. „Der Absatz geht noch nicht durch die Decke“, kommentiert Carsten Schruck den Umsatz von 5 bis 10 t/Woche nüchtern.
Regionalisierung muss kommen
Bei über 1200 positiven ASP-Fällen in Ostdeutschland setzt sich das Virus unter den Wildschweinen fest, befürchtet Heribert Qualbrink: „Die Sprengkraft ist enorm.“ Denn Zäune allein können die Entwicklung nicht aufhalten.
Fortlaufend droht zudem Nachschub aus Polen, das seine ASP-Bekämpfung eher auf die Veredlungsregionen denn in Grenznähe konzentriert.
Von der Bundesregierung erwartet der Westfleisch-Einkaufsleiter mehr Engagement bei den Regionalisierungsverhandlungen. Und ein klares Bekenntnis, dass Freilandhaltung nicht in die gefährdeten Gebiete gehört. „Wir brauchen den Asienexport für die sogenannten Chen-Artikel wie Pfötchen oder Schwänzchen“, formuliert er einen klaren Auftrag Richtung Berlin.
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