Herr Römer, die Initiative Tierwohl (ITW) ist offiziell am 1. April mit dem neuen Programm für Rinder gestartet. Schlachthöfe berichten jedoch, dass sie bisher noch keine ITW-Ware an den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) liefern. Dort wird also am 1. Juni kein ITW-Rindfleisch in den Regalen liegen. Woran liegt das?
Das ist richtig. Rindermäster können sich seit März für ITW Rind registrieren. Seit April finden Audits statt.
Wir haben mit allen Programmbeteiligten einen Zeitplan festgelegt. Dieser sieht vor, dass wir ITW Rind in diesem Jahr aufbauen. Wir haben, anders als bei Schwein, keine Vorlaufphase mit Massenbilanzierung, sondern starten direkt mit der Marktlösung. Deshalb besteht das System jetzt aus zwei Abschnitten:
1. Findungsphase: Wenn sich Partner aus Schlacht-, Zerlegebetrieb und LEH finden, können diese bereits jetzt mit ITW starten.
2. Phase mit Abnahmepflicht: Alle Beteiligten haben sich in der Branchenvereinbarung dazu bekannt, im ersten Quartal 2023 bestimmte Sortimente bei Rindfleisch umzustellen.
Generell wird momentan alles teurer. Somit sind Verbraucher wieder preisbewusster. Wie bewerten Sie unter diesen Gesichtspunkten die Chance für Tierwohlprogramme wie ITW Rind?
Momentan sind wir in einer Phase, in der die Rinderpreise hoch sind, draußen generell alle Preise steigen und die Inflation im zweiten Monat in Folge einen neuen Höchststand erreicht hat. Das ist sicherlich nicht der beste Zeitpunkt, um mit ITW Rind zu starten. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass im zweiten Halbjahr 2022 mehr Bewegung im Markt ist.
Außerdem sind die Teilnahme-Anforderungen (s. Kasten ITW-Kriterien) nicht so hoch gegriffen wie bei anderen Tierwohlprogrammen für höhere Haltungsformen. Der Mehraufwand für Landwirte ist kalkulierbar und im Markt umsetzbar.
Das sind die ITW-Kriterien
Die Kriterien der ITW müssen für Mastrinder mindestens sechs Monate vor der Schlachtung (für Mastkälber die gesamte Mastdauer) eingehalten werden. Grundvoraussetzung ist die Teilnahme am QS-System. Die Basiskriterien für ITW entsprechen den Kriterien aus dem QS-Leitfaden. Zudem ist die Teilnahme am QS-Antibiotika-Monitoring und dem QS-Schlachtbefunddatenprogramm verpflichtend. Zu den wesentlichen Kriterien der ITW Rind zählen:
- vergrößertes Platzangebot: ab 400 kg Lebendgewicht 3 m2/Tier,
- Sauberkeit der Tiere,
- intensivierte tierärztliche Bestandsbetreuung,
- Weiterbildungsmaßnahmen,
- Scheuermöglichkeiten ab April 2023
Wann finden Verbraucher also ITW-Rindfleisch im Regal?
Wir halten uns an die Branchenvereinbarung mit dem LEH – daher rechnen wir ab 2023 mit ITW-Ware vom Rind in den Regalen.
Rindermäster äußern immer wieder folgende Sorge: Sie bauen ihre Ställe ITW-konform um und werden die Bullen dann nicht als ITW-Tiere los. Warum direkt mit der Marktlösung und nicht wie bei den Schweinen erst mit der Fondslösung in das Programm starten?
Wir haben bei ITW-Schwein festgestellt, dass die Marktbeteiligten (LEH und Verarbeiter) die Marktlösung anstreben, weil damit
1. in der Kette Angebot und Nachfrage ausgeglichen wird und
2. das System in der Zukunft nicht daran vorbeigeht.
Der Aufwand in der Kette wird bei der Marktlösung dort honoriert, wo er entsteht. Dann können Landwirt und Schlachtbetrieb kalkulieren. Jetzt müssen sich die Partner finden. Klar ist, dass der Rinderhalter auch eine Chance braucht, seine Tiere zu vermarkten.
Jüngst hat Tönnies angekündigt, nur noch Vertrags-ITW-Schweine abzunehmen. Auf die Bullen umgemünzt: Haben freie Mäster überhaupt eine Chance, am ITW-Programm teilzunehmen?
Bei Schweinen gibt es solche und solche Phasen. Die Nachfrage nach Schweinefleisch ist eingebrochen. Die freien Schweine sind scheinbar schwer zu vermarkten. So eine Situationen kann auch bei Rind entstehen.
Aktuell wird Rindfleisch aber nachgefragt. Bis vor ein paar Wochen war am Markt die Frage: Wo bekomme ich überhaupt Bullen her? Da wurde überhaupt nicht über den Preis diskutiert. In so einer Phase ist es auch für freie Mäster kein Problem, Tierwohl-Tiere abzusetzen. Ändert sich das und die Nachfrage sinkt, dann haben freie Mäster unter Umständen das Nachsehen. Das ist unternehmerisches Risiko. Manchmal haben die freien Mäster einen Vorteil, manchmal die vertraglich gebundenen.
Schlachthöfe berichten, dass eine Vollverwertung für Jungbullen in ITW nur funktioniert, wenn Schlachtkühe dabei sind. Momentan scheint der Anreiz für Molkereien bei QM+ mitzumachen, zu klein zu sein. Was muss passieren?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben die ITW-Kriterien gemeinsam mit den Kollegen aus dem Milchbereich erarbeitet. Die Stränge von QM+ und ITW laufen zusammen (s. Kasten). Wir können sagen, für den Fleischbereich haben wir die Voraussetzungen geschaffen. Audits können durchgeführt werden und wer Ware kennzeichnen möchte, kann das machen.
Ich kann den Schlachtbetrieben zustimmen: Wir brauchen auch die Schlachtkühe, um das Angebot abzurunden. Daher haben wir beide Programme (ITW Rind und QM+) von Anfang an gemeinsam aufgebaut und sind sehr an einer zeitnahen Umsetzung des Programms im Milchbereich interessiert.
Das ist die Initiative Tierwohl Rind
Die Initiative Tierwohl (ITW) ist ein Zusammenschluss der Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und des Lebensmitteleinzelhandels.
Seit dem 15. März haben nun auch Rinderhalter die Möglichkeit, an der ITW teilzunehmen. Produkte, die von Tieren aus ITW-zugelassenen Betrieben stammen, können im teilnehmenden Handel fortan mit dem Siegel des Programms gekennzeichnet werden. In der Einordnung mit der vierstufigen Haltungsformkennzeichnung (haltungsform.de) des Handels entspricht ITW der Stufe 2 (Stallhaltung plus).
ITW hat eine dreijährige Programmlaufzeit mit folgender Vergütung für die Rinderhalter:
- 1. Programmjahr (April 2022 bis April 2023): Preisaufschlag von 10,7 Cent pro kg Schlachtgewicht (SG).
- 2. und 3. Jahr: Preisaufschlag von mindestens 12,83 Cent pro kg SG für Tiere, die vom Schlachtbetrieb als ITW-Tiere angenommen werden.
Für die Kälbermast wurde kein einheitlicher Preisaufschlag vereinbart. Dieser soll sich frei am Markt bilden und muss bilateral vereinbart werden.
Zudem sind die ITW (Rindfleisch) und QM+ (Rohmilch) verzahnt. Das bedeutet, eine Kuh aus einem QM+ Betrieb kann ohne weiteres Audit als ITW-Schlachtkuh vermarktet werden, wenn der Betrieb bei der ITW registriert ist. Für ITW-Kühe gibt es zusätzliche 4 Cent/kg SG.
Molkereien berichten, dass sie bei QM+/ITW mitmachen würden, wenn die gelbe Linie dabei ist. Der Handel mache aber keine Anstalten, sich zu bewegen. Wenn die Molkereien also nicht mitziehen, gibt es dann überhaupt eine Chance für ITW Rind?
Es wird schwieriger, das Programm umzusetzen. Aber wir sind optimistisch und glauben an die Lösungsbereitschaft aller Beteiligten.
Neben Schwierigkeiten im Handel und am Markt sorgt Branchenkenner, was vonseiten der Politik zu hören ist: Die Ampelkoalition soll hinter verschlossener Tür Pläne schmieden für ein verpflichtendes Haltungskennzeichen, welches kein Tierwohlkennzeichen sein soll. Das würde den Haltungsform-Stufen widersprechen. Was würde das für die ITW und die Haltungsform-Kennzeichnung bedeuten?
Bisher gibt es vonseiten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) nichts Schriftliches. Wir haben aus Gesprächsrunden und Veranstaltungen Informationen erhalten, dass es entsprechende Pläne für die Schweinemast geben soll. Demnach sollte die Nummerierung für das Tierhaltungskennzeichen des BMELs von der Eierkennzeichnung übernommen werden; davon ist man wohl wieder abgerückt.
Nun sollen Begriffe für die verschiedenen Haltungsstufen festgelegt werden. An dieser Stelle haben wir auch ganz klar vonseiten der Wirtschaft kommuniziert: Es muss eine eigene Stufe geben für die Tierwohlbetriebe (ITW-Betriebe). Ansonsten sind die bisherigen Tierwohlbemühungen umsonst. Das wäre ein Rückschritt für das Tierwohl. Wir haben allein in der Schweinemast 25 Mio. ITW-Tiere pro Jahr, die von den Tierwohlmaßnahmen profitieren. Das würde wegfallen und dem Tierwohl hätte die Politik einen Bärendienst erwiesen!
Die Haltungsformen eins bis vier sind bei den Verbrauchern bekannt und werden gut angenommen. Es wäre schön, wenn sich das BMEL an dem orientiert, was am Markt bekannt ist und nicht das Rad neu erfindet. Denn wenn das BMEL die Eierkennzeichnung anwenden würde, dann hätte man bei frischem Schweinefleisch die staatliche Kennzeichnung mit 0,1,2,3 und bei der Bratwurst, die daneben liegt, die Haltungsformen des Handels von 1 bis 4. Da ist Verbraucherverwirrung vorprogrammiert.
Konkret: Sind Sie als ITW im direkten Austausch mit dem BMEL?
Wir bieten uns weiterhin als Gesprächspartner an und halten an unserem Anspruch fest, entscheidende Impulse für den Entwicklungsprozess einer staatlichen Kennzeichnung geben zu können.
Was raten Sie Rindermästern? Jetzt die Ställe ITW-konform umbauen?
Mäster sollten als Erstes mit ihrem Vermarkter sprechen: Wie ist der Zeitplan? Ab wann kann der Mäster ITW-Bullen liefern und für wie viele bekommt er den Zuschlag? Wenn das geklärt ist, muss er schauen, was er auf seinem Betrieb ändern muss.
Große Umbaumaßnahmen sind in der Regel nicht notwendig. Aber ohne mit dem Vermarkter einen Zeitplan zu verabreden, Abnahmeabsprachen zu treffen und so Planungssicherheit zu bekommen, sollte kein Rindermäster ITW-Kriterien umsetzen, da er im Zweifel den zusätzlichen Aufwand nicht bezahlt bekommt.
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