Anhaltende Verluste bei Sauenhaltern und Mästern, horrende Kosten bei den Schlachtern, Absatzschwierigkeiten auf breiter Front. Beim Branchengespräch des Wochenblatts mit Vertretern von Landwirtschaftskammer, Westfälisch-Lippischem Landwirtschaftsverband (WLV) und Westfleisch SCE dominieren Zukunftsängste und finanzielle Sorgen die Diskussion. „Wir kennen den Markt mit seinen Hochs und Tiefs seit Jahrzehnten. Aber so eine Situation habe ich noch nicht erlebt“, bringt Dirk Niederstucke die Situation auf den Punkt. Damit ist der Vorstandsvorsitzende der Westfleisch nicht allein in der Schlachtbranche.
Doppelter Schock
Gemeinsam mit dem geschäftsführenden Vorstand Carsten Schruck schildert Niederstucke die Lage. Zwei Strukturbrüche haben die Geschäftsgrundlage der Schlachter vollkommen umgekrempelt:
- Die Corona-Pandemie hat die Branche durch Schlachthofschließungen verunsichert. Zudem haben sich Arbeitsbedingungen und, nach dem Verbot von Werkverträgen, auch die Arbeitskosten fundamental verändert.
- Die Afrikanische Schweinepest hat Deutschlands Marktzugang drastisch verschlechtert. Seit September gehört die deutsche Notierung zu den Schlusslichtern in der EU. Für viele Drittländer gilt ein Exportverbot. Das hat die Verkaufserlöse um 20 bis 25 € pro Schwein verschlechtert. Innerhalb der EU läuft der Absatz oft nur mit Preiszugeständnissen.
Auf der Kostenseite kämpfen die Schlachter mit den Folgen des Werkvertragverbots. Westfleisch kalkuliert zusätzliche Lohnkosten pro Jahr im zweistelligen Millionenbereich. Zu den Corona-bedingten Mehrkosten im Hygienebereich kommen Kostensteigerungen bei Folien, Verpackungen, Frachten, Energie usw.
Vor weiteren Ausbrüchen ist die Branche nicht gefeit. Immer noch ziehen einzelne Infektionen Quarantänemaßnahmen nach sich, die Betriebsabläufe unterbrechen können. Nur dank eines eigenen Impfzentrums sind bei Westfleisch mittlerweile 70 % der Belegschaft erstgeimpft. Urlaubsbedingt haben aber erst 60 % dieser Gruppe eine Zweitimpfung.
Die Froster sind voll
Hatten viele Branchenkenner nach Ende des Lockdowns und Beginn der Europameisterschaft mit einer Erholung der Preise gerechnet, trat das genaue Gegenteil ein. Eine „Preis-Grätsche“ von –9 Cent verwandelte Hoffnung in Frust. „Hier zeigt sich der Wandel in der Gesellschaft. Immer mehr Verbraucher sagen ‚Wegen mir soll kein Tier sterben‘“, analysiert Marktexperte Dr. Frank Greshake von der Landwirtschaftskammer NRW.
Obwohl nur noch 800.000 Schweine pro Woche geschlachtet werden, ist das noch zu viel für den Verbrauch. Der leidet unter einem Sommer ohne Volksfeste und Festivals. Auch die merkliche Zurückhaltung des Handels bei Sonderangeboten sorgt dafür, dass weniger Schweinefleisch gekauft wird. „Die Tiefkühllager sind voll“, klagt Carsten Schruck von der Westfleisch.
Den I-Tupfen steuert China bei, das gerade Rekorde bei den Schlachtungen feiert. Das beschert Spaniern und Dänen herbe Rückschläge im lukrativen Asienexport. Pech für die deutschen Erzeuger. Dank gut gefüllter Kasse drücken die Spanier ihr überschüssiges Fleisch zu Billigpreisen in den deutschen Markt. „Das ist ein gefährlicher Trend“, warnt Carsten Schruck.
Mehr Wertschöpfung holen
Deutsches Schweinefleisch darf nicht weiter ins Hintertreffen geraten. WLV-Präsident Hubertus Beringmeier nimmt den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) in die Pflicht: „Wir brauchen das Bekenntnis des LEH, dass er vorrangig deutsche Ware bezieht, um die heimische Produktion zu stärken – sowohl bei Frischfleisch wie bei Verarbeitungsware.“ Wenn der LEH nur noch Fleisch der Haltungsform 2 in die Kühltheken legt, ist das maßgeschneidert für Schweine der Intitative Tierwohl (ITW). Denn ITW-Fleisch stammt ausschließlich aus Deutschland.
Dass zu viel ITW-Fleisch am Markt ist und nicht alle Mäster den ITW-Zuschlag bekommen, streitet Schruck für die Westfleisch vehement ab. Jeder Mäster mit Partnervertrag und ITW-Audit bekomme den vereinbarten Zuschlag.
Für die Zukunft bietet ITW in Schrucks Augen zwei Chancen:
- Der Schweinehalter kann mehr Wertschöpfung generieren,
- Deutsches Schweinefleisch kann im europäischen Wettbewerb bestehen, da es nicht austauschbar ist.
Deshalb baut Westfleisch zielstrebig den Markt für ITW bzw. Haltungsform 2 aus. Auch mit weiteren Stufen ist Westfleisch sehr gut gestartet. Dazu gehört das Bauernliebe-Programm in Haltungsform 3 für die Edeka-Tochter Rasting. Rund 1000 Schweine pro Woche werden zurzeit geliefert. Hier bekommen die Schweine mehr Platz, Außenklima, Einstreu und GVO-freies Futter. Dafür garantiert Rasting eine Preisuntergrenze und einen festen Bonus. Der Markt ist ausbaufähig, neue Mäster sind gesucht. Die Herausforderung ist, die höheren Anforderungen mit Genehmigung und betrieblichen Gegebenheiten abzustimmen.
Konkrete Angebote fehlen
Konkrete Angebote für Haltungsform 3 fordert Hubertus Beringmeier von den übrigen Akteuren des LEH. Gerade von Aldi, der mit dem Zieljahr 2030 für Frischfleisch der Haltungsform 3 und 4 vorgeprescht ist. „Das ist enttäuschend und das Gegenteil von Augenhöhe“, beklagt Beringmeier.
Er setzt seine Hoffnung auf die neu geschaffene Koordinierungsplattform. Hier wollen die Präsidenten von Bauernverband, Raiffeisenverband und Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels Pflöcke einschlagen, was im Bereich der Haltungsformen machbar und honorierbar ist. Dazu gehören für Beringmeier auf jeden Fall Ferkel deutscher Herkunft sowie das Aufgreifen des Trends zur Regionalität. Im Borchert-Plan sieht Beringmeier die Chance auf Planungssicherheit, um Hofnachfolgern Perspektiven zu bieten.
Das Geld wird knapp
Doch für wie viele Betriebe ist die „Transformation“ eine Lösung? Kammerexperte Dr. Frank Greshake prognostiziert, dass nur ein geringer Anteil der Schweinehalter für den Umbau der Tierhaltung langfristig zur Verfügung steht. Im Schnitt ist der Schweinehalter in NRW Mitte 50. Er hat nach Greshakes Einschätzung oft keinen Nachfolger oder einen, der sich das „Schweinetheater“ nicht mehr antun will. Denn Vorgaben von Gesetzgeber und Abnehmer kommen in immer schnellerem Takt. Finanzielle Konsequenzen und bürokratischer Aufwand werden zunehmend größer. Die aktuelle wirtschaftliche Situation ist miserabel. Die Liquidität schwindet.
Die Sauenhalter stehen vor fallenden Erlösen, andererseits vor hohen Investitionskosten. Die Mäster fragen sich: Lohnt es sich überhaupt noch, Ferkel einzustallen angesichts hoher Futterkosten und schwacher Erlösaussichten?
Die Zukunft der Schweinebranche sieht Greshake düster. Für ihn ist der gesamte vor- und nachgelagerte Bereich von der Besamung bis zur Schlachtung existenziell in Frage gestellt, wenn sich an den Rahmenbedingungen nichts ändert.
Hubertus Beringmeier hingegen geht davon aus, dass die Nachfrage sich zum Herbst belebt und die Erzeugerpreise deutlich steigen. Carsten Schruck fordert einen Krisengipfel für die ganze Branche: „Sonst bricht uns hier die Schweinehaltung samt vor- und nachgelagertem Bereich zusammen. Und dann kommt das Fleisch aus Spanien, USA oder Brasilien.“
Wo bleibt das Positive?
Gibt es denn nur Negatives und gar keinen Silberstreif am Horizont des Schweinemarkts? Doch, den gibt es. Aber nur einen ganz schmalen:
- Zum einen enden die Sommerferien in NRW Mitte August. Damit kehren viele Verbraucher zurück, was die Nachfrage nach Schweinefleisch erfahrungsgemäß belebt.
- Zum anderen gehen Marktexperten davon aus, dass der Schlachtboom in China von einer dritten ASP-Welle ausgelöst worden ist. Wenn das stimmt, dürfte der Importbedarf bald kräftig steigen. Damit bekämen die Spanier wieder einen lukrativen Exportmarkt, sodass sie nicht mehr den deutschen Markt mit Billigfleisch fluten.
- Drittens kommt durch Verarbeitungsfleisch Schwung in Haltungsform 2. Nachdem diese bislang bei Frischfleisch dominiert, will der LEH ab September auch bei Verarbeitungsware Gas geben.
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