Herr Dr. Schulze-Horsel, als Fachtierarzt des Schweinegesundheitsdienstes besuchen Sie regelmäßig etliche Betriebe. Wie stellt sich die Lage nach mehr als zwei Krisenjahren für die Ferkelerzeuger dar? Wie schwer fällt es den Betrieben, bei ständig steigenden Kosten das Leistungs- und Tiergesundheitsniveau hoch zu halten?
Es hat in der Vergangenheit immer wieder Phasen gegeben, in denen das Verhältnis Ferkelpreis zu Futter-und Rohstoffpreisen kaum ausreichte, die Festkosten zu decken. Aber ich kann mich an keine Krise erinnern, die so lange andauerte. In der Vergangenheit konnte man in solchen Situationen beobachten, dass fest vereinbarte Schutzimpfungen der Ferkel über Bord geworfen wurden, meist mit dem fraglichen „Erfolg“, dass zu der wirtschaftlichen Misere noch handfeste Probleme mit der Tiergesundheit kamen. Das sieht man derzeit nur vereinzelt.
Dr. Theodor Schulze-Horsel
Welchen Fehler sollten die Landwirte keinesfalls machen, um nicht am „falschen Ende“ zu sparen?
Auf keinen Fall sollten Sie vereinbarte Schutzimpfungen der Ferkel auslassen, denn damit lässt sich zwar im ersten Augenblick viel Geld sparen. Aber durch den Rückschlag in der Gesundheit entstehen meist größere Verluste und – was besonders schwer wiegt – es geht Vertrauen verloren.
Was raten Sie den Ferkelerzeugern stattdessen?
Handeln Sie faire Aufschläge für die Impfungen aus, welche die Impfstoffkosten und einen fairen Lohnansatz für die Arbeit beinhalten. Dadurch wird sichergestellt, dass beide Seiten – Ferkelerzeuger und Mäster – das gleiche Interesse daran haben, dass alle Ferkel korrekt geimpft werden.
Trotzdem bestehen im Bereich der Tiergesundheit möglicherweise Einsparpotenziale. Um diese zu realisieren, sollte sich der Ferkelerzeuger mit seinem Hoftierarzt in Verbindung setzen, um gemeinsam Vorbeuge-Maßnahmen und routinemäßige Antibiotikabehandlungen auf den Prüfstand zu stellen.
Welche Maßnahmen gehören denn auf den Prüfstand?
Um zu sehen, was wirklich wichtig ist, hilft es, sämtliche Tiergesundheitsroutinen einmal in Gedanken durchzugehen. Dazu sollte man sich von Zeit zu Zeit die Frage stellen, warum eine Maßnahme durchgeführt wird. Wenn man noch genau weiß, welcher Erreger bekämpft werden sollte und dieser ohne Behandlung der noch gesunden Tiere zu Gesundheitsproblemen führt, spricht das für eine Beibehaltung. Falls dagegen eine Maßnahme nur aus Gewohnheit durchgeführt wird, sollte man probeweise kontrolliert darauf verzichten. Solche Einspar-Kandidaten können langjährige Routine-Schutzimpfungen der Sauen und Ferkel sein, aber auch antibiotische Behandlungen bei gesunden Saug- und Absatzferkeln.
Was heißt das konkret für die verschiedenen Krankheiten und Erreger? Welche Impfungen würden Sie auf jeden Fall beibehalten? Auf welche Routinebehandlung lässt sich unter Umständen verzichten?
Das ist betriebsindividuell zu entscheiden. Aber ich will an einigen Beispielen zeigen, wie man gedanklich und praktisch dabei vorgeht:
Die Parvo-Rotlauf-Impfung ist die älteste Impfung bei Schweinen. Geimpft werden Zuchtschweine, also Sauen, Eber und Jungsauen. Die Impfung wird alle vier Monate wiederholt. Betriebe mit Bestandsimpfung berichten, dass es bei Erhöhung des Abstands auf fünf Monate und länger zu typischen klinischen Erscheinungen der Parvoviruserkrankung im Bestand kommt. Es gibt dann Würfe mit toten Ferkeln, Mumien, Umrauscher und/oder Dauersterilitäten. Betrachtet man die Impfkosten in Relation zum möglichen Schaden, wird schnell klar, dass diese Impfung unbedingt beibehalten werden sollte.
Rotlauf beim Schwein ist eine auf den Menschen übertragbare Zoonose. Erkennbar erkrankte Tiere werden am Schlachthof verworfen. Also ist auch hier der Impfschutz wichtig!
Mit der erfolgreichen Tilgung in der Zuchtstufe ist die Schnüffelkrankheit (Rhinitis atrophicans) in unseren Sauenbeständen selten geworden. Aber es gibt noch Betriebe, die dagegen impfen. Die Krankheit wird durch bestimmte toxinbildende Stämme von Pasteurella multocida hervorgerufen. Typisches Krankheitsbild ist ein verkürzter oder verbogener Oberkiefer. Die Besiedlung mit toxinbildenden Pasteurellen erfolgt in der Regel schon im Saugferkelalter, die Veränderungen am Oberkiefer sieht man am Ende der Ferkelaufzucht bis in die Mast. Die betroffenen Tiere bleiben im Wachstum erheblich zurück.
Der Schlüssel der Bekämpfung der Krankheit liegt in der sorgfältigen Impfung aller Zuchttiere. Zu Beginn der Bekämpfung setzt man zusätzlich auf ein antibiotisches Preweaning-Programm mit Gaben von Langzeitoxytetracyclin am 1. Lebenstag, am 5. bis 7. Lebenstag und beim Absetzen der Saugferkel. Hinzu kommt gegebenenfalls eine Metaphylaxe zu Beginn der Ferkelaufzucht. Diese Maßnahmen kann man etwa drei bis vier Wochen nach der zweiten Impfung der Sauen langsam zurückfahren. Wenn dann über drei bis vier Jahre konsequent geimpft wurde, und seit mindestens zwei Jahren keine Klinik mehr zu sehen ist, kann man probieren, aus der Impfung auszusteigen. Zur Kontrolle sollte in der Folgezeit bei auftretenden Atemwegserkrankungen mittels Nasentupfern eine Rhinitiserkrankung abgeklärt werden.
Bis zu 3 km durch die Luft
Das PRRS-Virus kann bis zu 3 km mit der Luft übertragen werden. Die PRRS-Impfung der Sauen ist ähnlich zu sehen wie die Parvo-Rotlauf-Impfung. Die Kosten stehen in keinem Verhältnis zum Schaden, der entstehen kann, wenn es zu einem klinischen Geschehen kommt. In unserer schweinedichten Region führt kaum ein Weg an der Impfung vorbei. Wer aber zum Beispiel im Hochsauerland in Alleinlage wohnt, für den lohnt es sich, über die Schaffung einer PPRS-freien Herde nachzudenken, die dann nicht mehr gegen PRRS geimpft werden muss. Werden nach einem klinischen PRRS-Ausbruch auch die Ferkel geimpft, kann man frühestens nach sechs bis zwölf Monaten versuchen, aus dieser Impfung auszusteigen, um aus der geimpften Sauenherde PRRS-freie Ferkel zu produzieren. Dies sollte über Blutproben, die mittels PCR-Untersuchung auf PRRS kontrolliert werden, begleitet werden.
Wird die Ferkelimpfung vom Mäster gewünscht und fair honoriert, sollte man unbedingt daran festhalten, denn zuverlässig geimpfte Ferkel reduzieren auch den Infektionsdruck auf die Sauen.
Mycoplasma hyopneumoniae gelangt in erster Linie mit Tieren in die Bestände, eine Luftübertragung ist jedoch auch möglich. In Insellagen fernab von anderen Schweinehaltungen ist es möglich, mycoplasmenfreie Herden aufzubauen und diese frei zu halten. Solche Herden gibt es unter anderem in den neuen Bundesländern. Mycoplasmenfreie Schweine haben beste Entwicklungschancen – allerdings nur, wenn man sie frei behält. Werden solche Ferkel in die schweinedichten Region Nordwestdeutschlands verkauft und die Tiere erleben dann eine Infektion über die Luft, kann das zu erheblichen Problemen in der Mast führen. Die Mycoplasmen-Impfung gehört daher zum Standard. Mehr als 95 % der Ferkel werden geimpft.
Auf Circo verzichten?
Circovirus (PCV2) verursacht neben dem Kümmern in Ferkelaufzucht und Mast auch reproduktive Probleme wie Spätaborte, verzögerte Geburten, totgeborene Ferkel und Mumien. Die Impfung der Ferkel ist heute üblich, um das verlustreiche Kümmersyndrom in Ferkelaufzucht und Mast zu verhindern. Wenn PCV2 zu Fruchtbarkeitsproblemen führt (Nachweis durch Labortests!), ist auch eine Impfung der Sauen sinnvoll. Wenn eine Sauenherde mehrfach geimpft wurde und kein Virus bei Sauen und Ferkeln mehr nachweisbar ist, dann kann man im geschlossenen System oder in festen Direktbeziehungen versuchen, auf die Impfung zu verzichten. Auch hier ist wichtig: Alle Beteiligten müssen informiert sein.
Dagegen ist APP kein so gutes Beispiel für den Ausstieg aus der Routineimpfung. Vielmehr entwickelt sich die APP-Impfung derzeit zur vierten Standardimpfung für Handelsferkel. Wenn in einer Ferkelerzeuger-Mäster-Beziehung über den Ausstieg nachgedacht wird, sollte dies unbedingt von beiden Hoftierärzten begleitet werden. Grundsätzlich ist die Möglichkeit gegeben, dass nach einigen Jahren mit der Impfung die Bakterien (Actinobacillus pleuropneumoniae) so weit zurückgedrängt sind, dass nach Absetzen der Impfung keine Klinik mehr auftritt. Die Schaffung APP-freier Bestände ist möglich (als Totalsanierung mit Neuaufbau der Herde mit SPF-Tieren), aber aufgrund der Reinfektionsmöglichkeit über die Luft nur flächendeckend sinnvoll.
Influenza: Sauen ja, Mast eher nicht
Influenza ist eine fieberhafte Atemwegsinfektion und wird beim Schwein durch verschiedene Influenza-A-Viren verursacht. Prinzipiell ist das Schwein neben den klassischen Schweine-Influenzastämmen auch für humane und Geflügelstämme empfänglich. Bei Sauen führt eine Infektion aufgrund des Fiebers zur Schädigung der Früchte bis hin zu Aborten. Bei Influenza kommen zahlreiche verschiedene Virusstämme vor. Sinnvoll ist eine Impfung der Sauen mit dem für den Betrieb passenden Impfstoff oder einer passenden Kombination. Die Impfung von Mastferkeln ist aus Kostengründen nur in Einzelfällen und nur für eine begrenzte Zeit sinnvoll. Sie kommt beispielsweise in Betracht, wenn in einem Mastbetrieb, der alle drei Wochen eine neue Partie Ferkel einstallt, die Infektkette nicht abreißt und sich die neuen Ferkel immer wieder bei den älteren Tieren anstecken. In einem solchen Fall würde man für einen begrenzten Zeitraum von vier bis sechs Monaten die Ferkel vor der Einstallung in die Mast impfen, bis die Infektkette abgerissen ist.
Tiergesundheit verbessern
Die Aufzählung zeigt deutlich, dass Impfungen ein probates Mittel zum Schutz gegen etliche Erreger sind. Es gibt aber sicherlich noch andere Ansatzpunkte, um die Tiergesundheit zu verbessern.
Als Beispiel sei der Komplex der Saugferkeldurchfälle durch Coli-Keime und Clostridien genannt. Es handelt sich hierbei um ein multikausales Geschehen, bestimmt durch die pathogenen Eigenschaften der Erreger, die Immunität der Herde, aber auch durch Futter, Fütterung und Futterhygiene. Eine Therapie sollte an allen drei Punkten ansetzen. Verbesserungen bei Futter, Fütterung und Futterhygiene ermöglichen oft einen Verzicht auf die Impfung. Im Rahmen der Beratung in salmonellenauffälligen Betrieben haben wir viele positive Effekte der Futteransäuerung gesehen, die auch auf Coli-Infektionen übertragbar sind. So kann bereits der Zusatz von 0,5 % Benzoesäure zum Sauenfutter fünf Tage vor bis fünf Tage nach der Geburt die Darmflora so günstig beeinflussen, dass kaum noch Ferkeldurchfall auftritt.
Welche Möglichkeiten, den Erfolg der ergriffenen Maßnahmen zu überprüfen, bieten sich an?
Vorab ist wichtig, dass Änderungen mit dem Hoftierarzt und möglichst auch mit dem nachgelagerten Mäster abgesprochen werden. Der Hoftierarzt ist wichtig, weil er Umstellungen durch gezielte Diagnostik begleiten kann. Dadurch lässt sich frühzeitig erkennen, wenn etwas schief läuft, und es kann gegengesteuert werden.
Ein wichtiges Werkzeug, das Informationen über die Gesundheit des Bestandes liefert, sind überdies die Organbefunde vom Schlachthof. Diese sind heute in den meisten Fällen online verfügbar und grafisch aufbereitet, wie beispielsweise bei IQ Agrar („Schlachtdaten-Online“) oder im Westfleisch-Extranet. Mit wenigen Klicks gibt es dann den Vergleich verschiedener Zeiträume sowie den Vergleich mit dem Schlachthofdurchschnitt. Wer dann nach dem Verkauf abteilweise seine Tageszunahmen ausrechnet, weiß schon viel über Leistung und Gesundheit seiner Schweine.
Die Antwort auf die Frage nach den Einsparmöglichkeiten im Bereich der Tiergesundheit ist also ein klares „Ja, aber“ ...
Genau, es kommt darauf an, vorsichtig an den kleinen Schrauben zu drehen. Dabei ist wichtig, dass sich die Beteiligten als Partner verstehen. Wenn der Sauenhalter frühzeitig kommuniziert, wenn bei den Ferkeln etwas geändert wird, ist auch der Mäster bereit, Einsicht in die Organbefunde zu gewähren – und dies auch dann, wenn es gut läuft. Schließlich profitieren letztlich beide Seiten davon, wenn gemeinsam an Lösungen gearbeitet und die Schweinehaltung immer weiter verbessert wird.
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