Automatik fürs Trockenstellen

Sanft statt auf die Schnelle

Abruptes Trockenstellen steht oft in der Diskussion. Die Universität Bonn hat mit dem Unternehmen GEA eine Software entwickelt, die die Milchmenge vor der Trockenstehphase automatisch reduziert.

Abruptes Trockenstellen steht oft in der Diskussion. Die Universität Bonn hat mit dem Unternehmen GEA eine Software entwickelt, die die Milchmenge vor der Trockenstehphase automatisch reduziert. Dafür gab es eine Goldmedaille im Rahmen der EuroTier 2022. Dsa Wochenblatt hat mit den Entwicklern dieses Programms gesprochen.

V. l. n. r. : Dr. Ute Müller (Universität Bonn), Dr. Beate Maaßen-Francke und Martin Schnare (beide GEA Farm Technologies GmbH)

Dr. Müller, Sie forschen seit ­einiger Zeit an der Universität Bonn zum Thema optimales Trockenstellen. Wie haben sich die Empfehlungen in den vergangenen Jahren entwickelt?

Müller: In den vergangenen Jahren wurde zunehmend von selekti­-vem Trockenstellen gesprochen. Sprich: Welche Möglichkeiten gibt es, den Antibiotika-Einsatz in dieser Phase der Milcherzeugung zu reduzieren? Selektives Trockenstellen bedeutet Eutergesundheitskontrollen in der letzten Laktationsphase unter Einbeziehung des Zellzahlverlaufes, der Mastitis-Historie des Einzeltieres und den tierindividuellen Erfahrungen mit dem jeweiligen Trockenstellverfahren. Dabei spielen die Risiken für Neuinfektionen in der ersten Phase der Trockenstehzeit eine wichtige Rolle.

Das Trockenstellen von Kühen erfordert so einige Managemententscheidungen. Was sind dabei die größten Herausforderungen?

Müller: Die gegebenenfalls noch hohe Milchleistung (>20 kg Milch/Tag) stellt eine wesentliche He­rausforderung vor dem eigentlichen Trockenstellen dar. Aufgrund der hohen Milchleistung besteht auch bei eutergesunden Kühen ­dadurch das Risiko für Neuinfektionen in der ersten Phase der Trockenstehzeit. Grund dafür: Der ­erhöhte Euterinnendruck in den ersten Tagen nach der abrupten Beendigung des Melkens und die damit verbundene Öffnung des Zitzenstrichkanals. In der Forschung und in der Praxis werden verschiedene Lösungsansätze zur Redu­zierung der Milchleistung in den Tagen vor dem Trockenstellen untersucht bzw. angewendet. Unter anderem das Überspringen einzelner Melkzeiten und/oder die drastische Verringerung der Energiezufuhr (beispielsweise durch abrupte Fütterungsumstellung auf Heu). Diese Vorgehensweisen bergen jedoch das Risiko, dass der Spüleffekt des Milchstroms während des Melkens ausbleibt. Auch der Stoffwechsel kann durch die genannte Rationsumstellung in der Hochträchtigkeitsphase belastet werden. Beides beeinträchtigen Gesundheit und Wohlbefinden der Tiere – trotz begrüßenswerter Absicht, die Trockenstehphase ohne Einsatz von antibiotischen Trockenstellern zu beginnen.

Die Idee, Kühe nicht abrupt, sondern schrittweise trockenzustellen, ist schon länger in der Diskussion. Was spricht für die „sanfte“ Methode?

Müller: Für dieses Methode sprechen mehrere Gründe. Im Vergleich zum Überspringen jeder zweiten Melkzeit wird die Kuh zweimal am Tag gemolken. Das bedeutet, dass auch weiterhin der Zitzenkanal zweimal täglich gespült wird. Dies gilt als wichtige Mastitisprävention.Im Vergleich zu den Methoden, die eine geringere Futter- bzw. Energieaufnahme zur Folge haben, führt die sanfte Methode direkt zur Milchleistungsabsenkung ohne eine ­vorher induzierte Stoffwechselbelastung in der Hochträchtigkeitsphase.Da in der Vergangenheit auch über medikamentöse Milchleistungsreduktionen nachgedacht wurde, kann unsere Methode als „sanft“ betrachtet werden, da sie ohne Einsatz von Medikamenten erfolgt.

Bei Ihren Überlegungen konnten Sie den Melktechnik-Hersteller GEA mit ins Boot holen. Wie sahen da die Anfänge aus?

Maaßen-Francke: Da wir zu Beginn auf keinerlei Wissen und ­Erfahrungen zum schrittweisen Trockenstellen durch vorzeitige Abnahme der Melkzeuge zurückgreifen konnten, haben wir zunächst als Reduzierungseinstellung sowohl die Variante mit konstanter Milchleistungsreduktion pro Tag (zum Beispiel 1 kg/Tag weniger als am Tag zuvor) als auch mit prozentualer Reduktion im Verhältnis zum Vortag (der absolute Reduzierungsbetrag von Tag zu Tag wird geringer) geplant. Nachdem die Software erfolgreich entwickelt werden konnte, wurden die verschiedenen Einstellungen getestet. Daraus ging hervor: Zur optimalen Vorbereitung auf das Trockenstellen wird täglich 5 % weniger im Vergleich zum Vortag gemolken.

AutoDry heißt die entwickelte Software. Was können sich Praktiker darunter vorstellen?

Schnare: Dieses Funktionsmodul kann in der Software ergänzt werden. Damit ist es möglich, tierindividuell für die jeweilige Kuh einzustellen, wie viele Tage vor dem geplanten Trockenstellen ihre Milchleistung täglich um 5 % zum Vortag durch vorzeitige Abnahme der Melkzeuge reduziert wird. Nur „eutergesunde Tiere“ (weniger als 100  000 Zellen/ml Milch) sollten mit AutoDry gemolken werden.

Das System wurde an Kühen im Versuchsgut Frankenforst der Uni Bonn getestet. Was haben die Ergebnisse gezeigt?

Müller: Durch das stufenweise intensivierte Belassen von Restmilch im Euterkonnte bei den Ver-suchstieren eine Verminderung der Milchleistung – berechnet durch die Milchmenge der letzten beiden Melkzeiten vor dem Trockenstellen – ermittelt werden. Im Durchschnitt wurde die Milchproduktion des Euters um 34 % (±13 %) im Verhältnis der Startmilchmenge reduziert. Im Bezug auf die Eutergesundheit verzeichneten wir im Versuchszeitraum keine an Mastitis erkrankten Kühe. Die durchschnittliche Zellzahl lag bei beiden Gruppen weit unter dem Grenzwert von 100  000 Zellen/ml pro Viertel. Dass durch die technische Reduzierung noch viel Milch im Euter zurückblieb, konnten wir an dem Milchfluss zum Zeitpunkt der vorzeitigen Abnahme der Melkzeuge sehen. Die Durchflussmengen lagen bei den Versuchstieren durchschnittlich bei 3,4 kg/min (±1,5 kg/min). Im Vergleich dazu wurden die Melkzeuge der Kon­trollkühe bei der „normalen“ automatischen Einstellung bei 0,3 kg/min abgenommen.

Vor allem aus Sicht des Tierwohls spricht vieles für diese Herangehensweise. Inwiefern wird sich das Ihrer Meinung nach in der Praxis etablieren?

Maaßen-Francke: Das ist bisher nur bedingt absehbar, da es sich um eine ganz neue Methode handelt. Es liegen bislang wenig Erfahrungswerte vor. Aber wir können sagen, dass für die Milcherzeuger, die selektives Trockenstellen zur Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes anstreben und/oder das intensive Aufeutern nach dem Trockenstellen verhindern wollen, dieses Software-Modul ein hilfreiches Tool ist. Es führt zu einer Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Kühe.

Können Sie schon konkrete Empfehlungen aussprechen?

Müller: In den beiden Hauptstudien haben wir zehn Tage vor dem Trockenstellen die Reduzierung um täglich 5 % der Milchleistung des Vortages begonnen. In einer weiteren Studie haben wir vier und fünf Tage vor dem eigentlichen Trockenstellen die Milchleistung mit dem Modul reduziert. Auch diese Studie mit der kürzeren Reduzierungszeit kam zu vergleichbaren Ergebnissen. Das heißt, wir können empfehlen, dass der Redu-zierungszeitraum in Ab-hängigkeit von derAusgangsleistunggewählt werden kann. Nach der Reduzierungsphase sollte während der letzten Melkzeit mit der bisherigen automatischen Abnahme gemolken werden, um die Restmilch im Euter zu ermelken. Anschließend kann die Kuh trockengestellt werden.

Ab wann wird die patentierte Software erhältlich sein?

Schnare: Die Funktion GEA AutoDry ist im ersten Quartal 2023 für Betriebe mit konventionellen Melksystemen erhältlich.

Lassen sich bestehende Melksysteme mit der Software nachrüsten? Und trifft dies auch für Roboter-Betriebe zu?

Schnare: Ja, es lassen sich konventionelle GEA-Melksysteme wie Gruppenmelkstände und Melkkarusselle nachrüsten, die mit den Steuergeräten Dematron 70, Dematron 75, Metatron P21 sowie S21 ausgestattet sind. Der Einsatz der AutoDry-Funktion für automatische Melksysteme ist im DairyNet® Herdenmanage­ment bereits in der Entwicklung.

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