Das Beispiel Milch zeigt es: Die Preise für Pulver und Butter steigen, die Erzeugerpreise kaum. Woran liegt das, Herr Dr. Hortmann-Scholten?
Nachvollziehbar ist, dass die gesamte Erzeugungs- und Verarbeitungsstufe unter den stark steigenden Energiepreisen leidet. Insbesondere die CO2-Bepreisung wird im kommenden Jahr die energieintensiven Verarbeitungsprozesse weiter erheblich belasten. In den nächsten Monaten müssten die steigenden Rohstoffpreise dennoch höhere Milchauszahlungspreise ermöglichen. Spätestens im ersten Quartal 2022 werden die Grundpreise (4 % Fett und 3,4 % Eiweiß) die 40 Cent-Marke knacken.
Gleichzeitig explodieren die Produktionskosten, warum?
Der große Block der Kosten liegt beim Einkauf von Futtermitteln: Proteinreiche Zukauffuttermittel sind teilweise 15 bis 20 % teurer geworden. Aufgrund der Rohstoffhause an den Getreidemärkten sucht die Mischfutterindustrie händeringend nach preisgünstigeren Substituten. Durch die hohe Wettbewerbsintensität liegt der Preis für zugekauftes Kuhkraftfutter noch unter der Preisentwicklung für Getreide. An den Weltgetreidemärkten ist momentan keine Entspannung in Sicht. Anders bei Grundfutter: Vor allem Grassilage ist in diesem Jahr günstiger.
In China werden mangels Energiebrennstoff Kohlekraftwerke abgeschaltet. Daher sind auch Rohstoffe für die Vitaminproduktion oder Vorstufen der Produktion synthetischer Aminosäuren betroffen. Diese sind für die Versorgung hiesiger Nutztierbestände essenziell.
Die stärksten Bewegungen sehen wir momentan im Energiesektor bei Diesel, Gas und Strom. Leider müssen wir davon ausgehen, dass sich die Kostensteigerungen bis weit ins nächste Jahr fortsetzen, zumal politische Beschlüsse zu weiteren Steigerungseffekten führen werden.
Molkereien stöhnen ebenfalls über die hohen Energie- und Transportkosten. Bleibt auch hier Milchgeld hängen?
Molkereien leiden unter einer heftigen Kostenexplosion. Die Preise für Rohmaterialien, Verpackung, Kunststoff und die Logistikkosten belasten die Rentabilität des Sektors. Kürzlich hat der französische Konzern Danone beispielsweise angekündigt die Produktpreise für den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) anzuheben. Durch das ausgeprägte Vertragswesens zwischen LEH und Molkereistufe vollzieht sich dieser Prozess aber immer erst zeitversetzt, häufig Monate später. Daneben sind die langen Zahlungsziele für Molkereien ein Ärgernis. Denn das Geld kommt erst viel später bei den Bauern an.
Die Ernte in Deutschland ist bisher eigentlich gut. Die Preise für Kraftfutter, Getreide und Eiweißfuttermittel gehen trotzdem durch die Decke. Was passiert?
Die deutsche Ernte hat nur noch marginalen Einfluss auf die internationale Rohstoffpreisentwicklung. Der Agrarrohstoffindex kennt seit Wochen nur eine Richtung: Steil aufwärts. Die Gründe für den Kursanstieg bei Getreide liegen nicht in Deutschland oder Zentraleuropa, sondern vielmehr in Übersee.
Die Trockenheit in den USA hat zum zweiten Mal in Folge Erträge unterhalb der Erwartungen gebracht. In Südamerika, insbesondere in Argentinien, sorgt La Niña für deutlich geringere Erträge. In Teilen Brasiliens spricht man von der schlimmsten Trockenheit seit mehr als 90 Jahren. Die geringe Maisernte reduziert die Exportmöglichkeiten.
Vor allem durch den Anstieg der Rohölpreise entzieht die zunehmende Ethanol-Produktion Agrarrohstoffe.
Preistreiber ist darüber hinaus der große Importhunger Asiens. Hier hat vor allen Dingen China in den letzten Tagen wieder große Mengen an Getreide und Soja eingekauft.
Gibt es Lieferengpässe?
Lieferengpässe sind in Deutschland noch nicht aufgetreten. Das sieht in Entwicklungs- und Schwellenländern anders aus. Der Hunger nimmt dort aufgrund von Kostenexplosion und Lieferengpässen zu. Weltweit führen diese Phänomene auch in vielen Ländern zu einer Zunahme der Fehlernährung. Wie die FAO kürzlich berichtete, hat die Zahl der hungernden Menschen deutlich zugenommen.
Dünger ist auch brandteuer oder gar nicht zu haben...
Der Markt für Mineraldünger befindet sich im Ausnahmezustand. Weltweit sind die Düngemittelpreise explodiert. Deutschland ist stark abhängig von Importen. Die Lieferketten sind aufgrund der Corona-Pandemie und andere Einflüsse teilweise kollabiert. Große Lieferanten haben die Produktion einstellen müssen.
Stark steigende Preise für Mineraldünger müssen normalerweise zu einem höheren Angebot führen. Da allerdings zahlreiche Länder ihre Ausfuhren beschränken, wird Dünger bis weit ins erste Halbjahr 2022 knapp und teuer bleiben.
Positiv an dieser Entwicklung ist, dass der Wert des Wirtschaftsdüngers steigt. Organische Dünger aus der Nutztierhaltung werden als alternative Stickstoff- und Phosphorquelle deutlich wertvoller.
Wenn Bau- und Produktionskosten explosionsartig steigen, haben Betriebe dann überhaupt eine Chance auf schwarze Zahlen?
Besonders schwer ist es für Landwirte, die neuen Güllelagerraum schaffen müssen. Momentan kann man infolge der Kostenexplosion bei Baustoffen kaum raten verschiebbare Baumaßnahmen in Angriff zu nehmen. Die Situation wird sich erfahrungsgemäß nach einiger Zeit wieder entspannen. Mittelfristig werden allerdings die hohen Produktionskosten der Milchviehhaltung eine geringere Anlieferungsmenge bei den Molkereien zur Folge haben. Der ruinöse Wettbewerb wird den Strukturwandel weiter befeuern und dazu führen, dass sich die Produktion weiter ins Ausland verlagert.
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