Rinderhalter befinden sich schon lange auf einer Durststrecke: Die Preise für deutsche Jungbullen dümpeln seit Beginn der Corona-Pandemie auf niedrigstem Niveau. Der deutsche Kuhbestand und die Schlachtzahlen liegen weit unter den Vorjahreszahlen, trotzdem atmet der Markt nicht auf. Parallel wächst der Druck auf den Fleischmarkt durch internationale Konkurrenz. Wann ist die Talfahrt endlich zu Ende? Wir fragen Dr. Albert Hortmann-Scholten, Geschäftsführer bei der Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch (VEZG) nach der aktuellen Situation auf dem Markt für Rindfleisch.
Herr Hortmann-Scholten, der Preis für Rindfleisch hat Freitag das erste Mal seit Wochen die 3,50-€-Hürde geknackt. Der Preis liegt laut VEZG-Notierung bei 3,55 € für R3-Bullen. Die Gastronomie hat wieder geöffnet. Können Rinderhalter endlich aufatmen?
Die Erlöse für Jungbullen liegen mittlerweile oberhalb der Vorjahreslinie. Deutsche Gastronomien und auch europäische Urlaubsgebiete beklagen aber nach wie vor schlechte Umsatzerlöse. Das Geld sitzt beim Verbraucher nicht mehr so locker.
Angesichts des Preiszusammenbruchs am Schweinemarkt müssen die Bullenmäster noch einigermaßen zufrieden sein. Allerdings war der Preisrutsch zwischen Ostern und Pfingsten schmerzhaft genug. In den Sommermonaten ist absatzmäßig, insbesondere bei den hochwertigen Kurzbratstücken, kein Nachfrageboom zu erwarten. Zudem machen einige Fleischverarbeitungsbetriebe Betriebsferien. Das alles dämpft die Preisentwicklung.
Sind wir also von der Corona-Krise direkt ins Sommerloch gestolpert?
Nach dem rasanten Absturz im März ist der normalerweise zu Ostern und Pfingsten stattfindende Nachfrageschub durch die Schließung der Gastronomie ausgefallen. Lukrative Fleischgeschäfte sind ausgeblieben. Die Ausfälle werden auch im Sommer nicht kompensiert. Hoffen sollten wir auf eine positive Nachfrageentwicklung zum Herbst. Voraussichtlich machen viele Menschen ihren Urlaub in Deutschland.
Es gibt aktuell 10 % weniger Rinderschlachtungen als im Vorjahr zu dieser Zeit. Müsste das knappe Angebot nicht zu besseren Preisen führen?
Besonders gravierend ist der Rückgang bei den Kühen. Im ersten Halbjahr kamen rund 13 % weniger Tiere bei den Schlachthöfen an. Angesichts des kleinen Großviehaufkommens müsste die Preisentwicklung besser laufen, da der Selbstversorgungsgrad für Rind- und Kalbfleisch in Deutschland unter 100 % liegt. Allerdings ergänzen Zufuhren aus Ländern wie Irland und Polen immer wieder den deutschen Rindfleischmarkt und verhindern einen Anstieg der Notierungen.
Auch für Rindfleisch gab es Beihilfen für Private Lagerhaltung. Wie viel Rindfleisch ist aktuell noch eingelagert?
Die EU-Kommission hat die wegen der Corona-Krise eingeführten Beihilfen für die Private Lagerhaltung (PLH) von Rindfleisch beendet. Dafür wurden je nach Einlagerungsdauer, die von 90 bis 150 Tagen reichte, für Rindfleisch 1008 bis 1058 €/t gezahlt. Insgesamt hielt sich das Interesse für die bezuschusste PLH bei Rindfleisch in Grenzen. In allen Mitgliedstaaten der EU wurden Anträge für insgesamt 2215 t gestellt. In Deutschland wurden Lagerhaltungszuschüsse für gerade mal 40 t beantragt.
Drückt die eingelagerte Ware auf den Markt?
Die eingelagerten Rindfleischmengen sind EU-weit zu vernachlässigen. Mit den Auslagerungen ist zum Spätsommer zu rechnen. Ich erwarte allerdings keine gravierenden Marktstörungen. Möglicherweise werden die eingefrorenen Mengen gleich in den Export verkauft.
In Deutschland haben wir tiefe Preise. Wie sieht es in den anderen EU-Ländern aus?
In allen EU-Mitgliedstaaten lagen die Schlachtrinderpreise für Bullen, Kühe und Färsen zu Beginn der Corona-Krise im März deutlich unter dem Vorjahr. Nach Überwindung des Lockdowns in vielen EU-Ländern hat sich der Rindfleischverbrauch wieder etwas gefangen, kommt aber noch nicht an das Vorjahresniveau heran.
Die Importe bleiben, trotz tiefer Preise für Rindfleisch. Ist das Fleisch vom deutschen Jungbullen überhaupt noch konkurrenzfähig?
Corona-bedingt gab es aufgrund der logistischen Probleme und des geringeren Bedarfs Rückgänge bei den Importen. Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ist die von dort bezogene Menge statistisch weggefallen, sodass die Zahlen nicht miteinander vergleichbar sind. Deutsche Rinderhalter werden im internationalen Wettbewerb unter weiteren Nachteilen leiden. Andere Länder können Rindfleisch günstiger produzieren. Diese Ware drückt dann auf den deutschen Markt und die Importe steigen. Wie die jüngsten Viehzählungsergebnisse zeigten, ist die Rinderhaltung in Deutschland auf breiter Front auf dem Rückzug. Die Zahl der gezählten Milchkühe ist unter die 4-Mio.-Grenze gesunken. Die Rindfleischerzeugung ist und bleibt Koppelprodukt der Milchviehhaltung.
Ist mit einer Erholung des Marktes für die hochwertigen Rinderfelle zu rechnen?
Erlöseinbußen haben die Rinderschlachtbetriebe auch durch die Krise in der Lederindustrie zu verarbeiten. In guten Jahren brachten Rinderhäute einen zusätzlichen Erlös von 80 bis 100 € je Decke. In der Schuhindustrie sind hochwertige Lederschuhe aus der Mode gekommen. Die Absatzflaute in der Autoindustrie sowie der Lockdown in der norditalienischen Lederindustrie haben zu massiven Absatzproblemen bei Rinderhäuten geführt. Die Marktpreise für Rinderhäute, auch für die hochwertigen Fleckviehdecken, konnten sich zuletzt auf niedrigem Niveau stabilisieren. Mit einer nachhaltigen Markterholung auf das „alte Niveau“ ist nicht zu rechnen.
Jetzt hat Tönnies in Rheda zum Glück wieder geöffnet. Gab es einen Zusammenhang zwischen „Schweinestau“ und schlechten Rinderpreisen?
Rheda ist gewissermaßen eine Drehscheibe für alle Rotfleischprodukte. Daher konnten Rinderhälften nicht zerlegt werden und führten zu Preisdruck auf der Erzeugerseite. Die leicht steigenden Preise könnten damit zusammenhängen, dass der Zerlegebetrieb in Rheda wieder läuft. Durch die Corona- bedingten Hygienemaßnahmen ergeben sich aber nach wie vor Einschränkungen im Schlachtund Zerlegebetrieb.
Haben die Verbraucher jetzt weniger Appetit auf Schweinefleisch und bevorzugen Rindfleisch?
Hier müssen wir zwischen der nationalen und internationalen Entwicklung unterscheiden. In Deutschland werden wir in diesem Jahr bestenfalls stagnierende Verbrauchsentwicklungen für Rindfleisch sehen. Bei einer raschen wirtschaftlichen Erholung könnte in den nächsten Jahren der Verbrauch wieder leicht steigen. Etwas positiver könnte die Entwicklung in Asien ablaufen. Gerade in China zog der Verbrauch bereits 2019 deutlich an, Rind und Geflügel bilden hier häufig Alternativen zum extrem knappen Schweinefleisch.
Welche Rolle spielt China? Kann der wachsende Verbrauch von Rindfleisch für die EU oder Deutschland eine Chance sein?
Chinas Rindfleischimporte betragen in diesem Jahr vermutlich rund 3 Mio. t. Außerdem verbrauchen die Chinesen schätzungsweise 3 % mehr Rindfleisch als im Vorjahr. Die chinesischen Rindfleischerzeuger sind im internationalen Vergleich kaum konkurrenzfähig und können den wachsenden Bedarf der vergangenen Jahre nicht befriedigen.
Auch die EU kann Rindfleisch exportieren, wenn die jeweiligen Schlachtbetriebe zertifiziert sind und der jeweilige EU-Mitgliedstaat ein Veterinärabkommen mit China abgeschlossen hat. Deutschland gehört leider nicht dazu. Seit BSE-Zeiten darf Deutschland kein Rindfleisch nach China exportieren – auch 20 Jahre später noch nicht.
Es spricht momentan kaum jemand vom Mercosur-Abkommen. Wie ist der Stand?
Das Abkommen zwischen der EU und den vier südamerikanischen Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay wird vorerst nicht in Kraft treten. Das 2018 geschlossene Freihandelsabkommen droht zu scheitern. Österreich hat sich schon im vergangenen Jahr gegen die Ratifizierung des Handelsabkommens ausgesprochen. Auch Frankreich, Irland, Luxemburg sowie Finnland haben signalisiert, dem Vertrag nicht zuzustimmen. Im Zuge der massiv ausufernden Waldbrände in Brasilien hatte sich die ablehnende Haltung innerhalb der Europäischen Union, insbesondere gegenüber dem Mercosur-Mitglied Brasilien weiter verstärkt.
Sollte dennoch ein Handelsabkommen zustande kommen, würde bei vollständiger Umsetzung der geplanten Rindfleisch- Importkontingente von 99.000 t Schlachtgewicht zollermäßigt ein zusätzliches Rindfleischangebot von etwa 6 % der europäischen Produktion hinzukommen.
Welche Länder werden auch 2020 wieder mehr Rindfleisch produzieren?
Innerhalb der Europäischen Union ist die Gesamtproduktion leicht rückläufig. Für Polen und Italien sind steigende Produktionszahlen erwartet worden. Weltweit gesehen steigt die Produktion 2020 in den USA und Brasilien sowie Indien und Argentinien. Die größten Rindfleischexporteure sind Brasilien, Indien und die USA.
Bleiben Preise von 4 €/kg Rindfleisch in Zukunft nur noch ein Traum für die Landwirte?
Ich denke, in diesem Jahr bleibt der Preisspielraum nach oben begrenzt.
Die niederländische Rabobank ging kürzlich in einer Marktanalyse davon aus, dass die Schlachtrinderpreise im weiteren Jahresverlauf eher unter Druck stehen dürften. Die Corona-Krise werde weltweit zu einer Rezession und Kaufkraftverlusten führen. Die Verbraucher könnten deshalb zulasten von Rindfleisch zu preiswerteren Proteinquellen wie Schweine- und Geflügelfleisch greifen. Weltweit sei mit einer Abnahme der globalen Handelsmengen von Rindfleisch zu rechnen.
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