Den Arm mit dem Pistolengriff hoch in der Luft. Den Blick nach unten aufs Tablet gesenkt, das vor dem Bauch hängt. Rundherum Schweinegewusel. Niemand käme bei dieser Szene auf die Idee, dass hier Schweine gewogen werden.
Und doch setzen etliche Schweinemäster und Berater seit Herbst vergangenen Jahres auf Optiscan, die mobile Kamerawaage der Firma Hölscher + Leuschner. Diese ist seit der Eurotier auf dem Markt, nachdem HL mit stationären Kamerastationen zur Gewichtserfassung im Stall langjährige Erfahrungen gesammelt hat.
Für 12 .900 € netto erhält der Kunde Kamera, Tablet und Trageweste. Die 3-D-Kamera wird an einem „Pistolengriff“ gehalten und erfasst Maße des Schweins. Aus den Messdaten berechnet das dazugehörige Tablet umgehend das aktuelle Gewicht. Kamera und Tablet sind durch ein Kabel verbunden, das die Daten- und Energieversorgung sichert. Das Tablet wird mithilfe einer Weste sicher vorm Bauch fixiert, sodass der Nutzer darauf schauen kann, aber die Hände frei hat für Kamera und Farbspray. Die Weste wird mit Klettverschlüssen an die Körperstatur angepasst.
Multitasking gefragt
Der Wieger muss ständig mehrere farbige Markierungen auf dem Bildschirm des Tablets im Auge halten:
Vorwärts oder rückwärts: Die Kamera muss die Richtung des Schweins kennen – Rüssel vorn auf dem Bild oder hinten? Zeigt der grüne Pfeil auf dem Display in die falsche Richtung, korrigiert man das durch Kippen der Kamera aus dem Handgelenk.
Immer schön waagerecht: Die Kamera muss waagerecht gehalten werden. Ist der entsprechende Kreis auf dem Tablet-Display grün, passt der Winkel der Hand. Ist er rot, muss man korrigieren. Ein schwarzer Punkt dient als Wasserwaage und hilft beim Ausrichten.
Alles drauf: Ohren und Schwanz müssen im Bild sein, da das Schwein nur dann für die Software „vollständig“ ist.
Kein Gruppenfoto: Das Wiegeschwein muss auf dem Bildschirm mit einem grünen Pfeil markiert sein. Erst wenn es zudem vollständig durch eine blaue Linie umrandet ist, ist ein fehlerfreier Scan möglich. Dazu sollte das Schwein möglichst frei stehen. Bei Schweinen im „Drubbel“ oder mit Kopf im Trog passt die Umrandung nicht.
Wiegen mit der Ampel: Der Bediener startet die Berechnung, indem er den „Abzug“ des Pistolengriffs drückt. Ein Kreis am oberen rechten Bildschirmrand, der sich in Reihenfolge der Ampel-Farben füllt, signalisiert den Fortschritt der Messung. Bei „rot“ passen die Messbedingungen nicht, weil beispielsweise die Kamera schräg gehalten wird, das Schwein aus dem Sichtfeld läuft oder sich zu dicht an andere Tiere drängt. Bei „grün“ sind die Bedingungen optimal.
Wiegen als Prozess
Das Gewicht wird während der Aufnahme am linken Bildschirmrand angezeigt. Es ändert sich im Verlauf der Messung. Sobald der Kreis vollständig grün ist, endet die Wiegung.
Mit zunehmender Routine wird es einfacher, abzupassen, ob das Schwein optimal steht. Die Gewichtsschätzung dauert nach Erfahrungen der Berater zwischen drei und zehn Sekunden pro Schwein – abhängig davon, wie still das Tier steht und wie voll die Bucht ist.
Verzögernd wirkt, wenn neugierige Buchtenkollegen dazudrängen oder der Schweinerüssel sich Trog oder Stiefeln zu sehr annähert. Dann kommt die Kamera „ins Schwimmen“, da sie die Grenzlinien nicht sicher erkennt. Auch helles Sonnenlicht stört den Messvorgang, da dann das Bild verpixelt erscheint.
Alles im Blick?
Für Anfänger ist es gar nicht so einfach, die Schweine und zugleich alle Anzeigen auf dem Bildschirm im Blick zu halten. „Die Bucht ist kein Messestand, wo das Kunststoffschwein allein auf weiter Fläche still steht“, fasst Elisabeth Sprenker ihre Anfangserfahrungen mit der Kamera zusammen. Deshalb rät sie Landwirten, die Erwartungen erst mal nicht zu hoch zu schrauben. „Üben, üben, üben – das ist das Erfolgsrezept“, ergänzt ihr Kollege Ferdinand Fry. Beide sind Berater beim Erzeugerring Westfalen und arbeiten seit rund drei Monaten mit der Kamera. Sie sortieren damit schlachtreife Schweine. Aber sie führen das Gerät auch interessierten Landwirte vor.
Nicht für Technikmuffel
Eins ist klar, so die beiden Berater: „Der Landwirt muss schon technikbegeistert sein. Und etwas Geduld mitbringen.“ Am Anfang ist es für die meisten schwierig, alle Komponenten gleichzeitig im Blick zu behalten und richtig auszuloten. „Das hätte ich mir nicht so schwer vorgestellt“, rutscht es Erstanwendern oft heraus.
Wobei das auch von Größe und Armlänge abhängt. Je höher die Kamera, umso einfacher bekommt man das Schwein vollständig ins Visier – auch wenn es sich bewegt. Da ist ein 2-m-Mann eindeutig im Vorteil. Bei der Arbeit über Kopfhöhe werden Arm- und Schultermuskeln intensiv beansprucht.
Tipps für Anfänger
Je öfter man mit der Kamera arbeitet, umso mehr automatisieren sich die Abläufe – ähnlich wie bei einem Computerspiel. Ferdinand Fry, der schon viele Schweine gescannt hat, checkt beim Wiegen routiniert die Displayanzeige, ohne über einzelne Parameter nachzudenken. Seine Tipps für Anfänger:
- Morgens wiegen, wenn die Schweine noch träge sind. Nachmittags sind sie aktiver und betrachten Menschen als willkommene Abwechslung.
- Mit größeren Buchten starten. In 10er-Buchten mit Quertrog ist man schnell frustriert. Wenn die Schweine fressen, stehen sie zu eng und halten den Kopf zu niedrig. Nach der Fütterung stehen sie selten lange genug so frei, dass es fürs Scannen reicht.
- Stiefel mit Stahlkappe anziehen, da die Schweine den Wieger oft eng umringen.
- Die Bucht möglichst ruhig betreten. Als erstes aufdringliche Tiere scannen, die sofort an die Hosenbeine gehen.
- Vorsichtig bewegen. Da der Blick meist aufs Tablet gerichtet ist und man keine Hand frei hat fürs Treibepaddel, muss man aufpassen, dass man nicht stolpert.
- Optisch schlachtreife Tiere mit einem Punkt markieren, um sie nicht aus dem Auge zu verlieren.
- Kein Schwein fixieren und verfolgen, sondern flexibel vorgehen.
- Ans Schwein anpassen: Kommt es neugierig auf einen zu, von vorn scannen. Läuft es weg, von hinten aufnehmen.
- Einfachen Markierungscode wählen, da die Schweine beim Sprayen von Zahlen weglaufen. Beispiel:Längsstrich = schlachtreif, Querstrich = nächste Partie,Punkt = deutlich zu leicht.
Nach etwa anderthalbstündigem Einsatz wird das Gerät langsamer, so die Erfahrung der beiden Berater. Denn die Bildverarbeitung ist energieintensiv. Daher haben beide immer eine Powerbank dabei. Damit verlängert sich die Wiegezeit auf rund fünf Stunden. „Da man sehr konzentriert arbeiten muss, ist das fast wie Akkord. Danach ist man platt“, weiß Ferdinand Fry.
Um einen Zug Schweine zu sortieren, veranschlagt er rund zwei Stunden – abhängig vom Belegungsgrad des Stalls. Das ist nicht deutlich schneller als bei einer mechanischen oder elektronischen Stallwaage. „Aber wesentlich weniger anstrengend für Mensch und Tier“, sind sich beide Berater einig. Zudem kann man mit der Kamera problemlos alleine wiegen.
Bei den Vorläufern dauert das Scannen länger, da die Schweine oft zu dicht stehen. Umgekehrt wird es unterhalb von 40 % Belegung „sportlich“, so Elisabeth Sprenker. Denn die Schweine nutzen den Freiraum gern für kleine Verfolgungsjagden.
Passen die Kilos?
Im Endeffekt interessiert den Anwender aber vor allem, wie genau die Kamera wiegt. „Im Schnitt passt das“, so die Erfahrung der Ringberater. Bei Einzelschweinen können unerklärliche Werte angezeigt werden. „Da braucht man ein gutes Auge und muss die Messung einfach wiederholen“, rät Ferdinand Fry. Differenzen im Vergleich zur Stallwaage bewerten die beiden Berater nicht über: „Die ist auch nicht geeicht.“ Zudem können Kot auf der Waage, vollgefressene Tiere oder Gewichtsverlagerungen deren Ergebnis beeinflussen.
Das Sollgewicht für die Sortierung sollte betriebsindividuell anhand des Schlachtprotokolls kalibriert werden, empfiehlt der versierte Berater. Wenn die Schweine trotz Kameraeinsatz am Haken 2 kg zu leicht sind, muss beim nächsten Mal das Sortiergewicht 2,5 kg hochgesetzt werden.
Bei Vorläufern zeigt die Kamera das Gewicht eher höher an, so die Erfahrung von Ferdinand Fry. Abweichungen von 4 kg sind schnell möglich. Doch sind die Berater sicher, dass künftig mit steigender Rechenleistung der Messvorgang schneller und die Ergebnisse präziser werden.
Probieren geht über Studieren
Die Ringberater nutzen den Optiscan in zwei Bereichen:
- Sortieren von schlachtreifen Schweinen für Mitglieder, um Abzüge zu verringern.
- Vorführen und Ausprobieren der Technik, sodass Landwirte Erfahrungen im eigenen Stall sammeln können.
Nach jedem Termin wird die Weste gewaschen. Kamera und Tablet werden mit Desinfektionstüchern gereinigt und in einer Ozonbox desinfiziert.Den Einsatz rechnet der Ring nach Zeit ab. Nichtmitglieder zahlen 104 € pro Stunde plus Umsatzsteuer, Mitglieder etwa die Hälfte.
Alternativ bietet der Hersteller Hölscher + Leuschner Vorführungen im Kundenbetrieb an. Wer es danach selbst ausprobieren will, bekommt per Fernwartung Unterstützung bei Problemen im Stall. Innerhalb von vier Wochen kann man das Gerät zurückgeben. Für Reinigung und Wartung wird dann eine Pauschale von 1.500 € netto fällig.