Herr Assheuer, Sie haben jährlich Einblick in die Auswertungen von mehr als 800 Milcherzeugerbetrieben in NRW. Wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage?
Die langjährigen Auswertungen zeigen, dass in den vergangenen zehn Jahren nur zweimal eine Kostendeckung erzielt werden konnte. Obwohl in diesem Zeitraum die Produktionskosten je Kuh um fast ein Drittel gestiegen sind, verharrt der Milchpreis abgesehen von einigen Schwankungen auf einem Niveau von etwa 33 Cent/kg. Somit entstehen in den Familienbetrieben Eigenkapitalverluste von 20.000 bis 30.000 € pro Jahr, Tendenz steigend. Kein Wunder also, dass Milcherzeuger sorgenvoll in die Zukunft blicken.
Wo drückt der Schuh Ihrer Meinung nach am meisten?
Rundherum. Die wirtschaftliche Lage ist für alle unbefriedigend. In der Vergangenheit waren besonders Betriebe mit unzureichender Produktionstechnik und kleineren Beständen betroffen. Jetzt klagen jedoch auch die vermeintlichen „Zukunftsbetriebe“ über ein ständig steigendes Kostenniveau.
Die Erfüllung baurechtlicher Auflagen, die hohen Anforderungen an die Tierhaltung und die steigenden Aufwendungen für Futter, Arbeit und Mechanisierung fallen dabei be sonders ins Gewicht. Werden dann noch die steigenden Kosten für Lebenshaltung, private Versicherungen und Altersvorsorge berücksichtigt, wird auch hier die Luft oftmals dünn.
Kann die Steigerung der Milchleistung nicht Abhilfe schaffen?
Die Steigerungen von Kuhzahlen und Milchmengen waren in der Vergangenheit – zumindest einzelbetrieblich – tatsächlich ein adäquates Mittel, die Gewinnsituation der Betriebe zu verbessern. Ermöglicht wurde dies durch ein immer besser werdendes Herdenmanagement, enorme Züchtungsfortschritte und eine auf Tierwohl ausgerichtete Haltung.
Dies hat jedoch nur solange Gültigkeit, wie der Ertragszuwachs die Kosten der zusätzlichen Einheit deckt. Dieser Prozess hat zuletzt an Dynamik verloren, da die Wachstumskosten exorbitant gestiegen sind bzw. die Produktionsfaktoren begrenzt sind.
Woran machen Sie das fest?
Ein Blick in die Auswertungen zeigt, dass die Kostendegression in den stark gewachsenen Betrieben fast vollständig aufgezehrt wird. Investitionen in Digitalisierung und Automatisierung sollen zwar die Zukunft auf den Betrieben sichern, sind aber zunächst extrem kapitalintensiv.
Hinzu kommen die hohe Arbeitsbelastung und die nicht immer gewährleistete Verfügbarkeit von Mitarbeitern, die wiederum zu noch stärkeren Investitionen in Arbeitserleichterungsmaßnahmen führen. Das alles muss bezahlt werden. Die Betriebsleiter gehen also mit jedem Gang in den Kuhstall eine neue Wette auf höhere Milchpreise ein.
Wie spiegelt sich das in Ihrem Beratungsalltag wider?
Bisher bestand unser Beratungsauftrag vorwiegend darin, ein vom Landwirt beabsichtigtes Vorhaben hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Auswirkungen zu prüfen und darzustellen. Zuletzt wenden sich aber immer mehr Betriebsleiter an uns, die ihren Betrieb unabhängig von einem konkreten Vorhaben einmal grund-sätzlich analysiert und bewertet haben möchten. Es geht schlicht und ergreifend darum, sich hinsichtlich der aktuellen und zukünftigen Situation des Be-triebes eine zweite Meinung einzuholen.
Wie gehen Sie dabei vor?
Wir haben in der Beratung zu diesem Zweck eine neuartige Potenzialanalyse entwickelt, mit der wir nicht nur die aktuelle Situation, sondern auch von uns aus mögliches Entwicklungspotenzial für die Betriebe darstellen. Dabei nehmen wir nicht nur den Hauptbetriebszweig, sondern den Gesamtbetrieb unter die Lupe.
Neben der Beurteilung der Märkte, des Standortes und seines Umfeldes erfolgt auch eine Prüfung der Stabilität des Betriebes in der Ist- und Ziel-Situation mittels geeigneter Kennwerte. Einen größeren Stellenwert als bisher hat die Darstellung der beruflichen und sozialen Situation des Betriebsleiters und seiner Familienangehörigen.
Genauer gesagt geht es darum zu prüfen, ob die betrieblichen Ziele und der Anspruch an ein zeitgemäßes Familienleben und Freizeitverhalten unter einen Hut gebracht werden können. Es bringt gar nichts, wenn die Ergebnisse mit zwei Nachkommastellen präsentiert werden und dabei übersehen wird, dass die Familie an der hohen Finanz- und Arbeitsbelastung zerbricht.
Könnte das neue Angebot der Kammer auch eine mögliche „Ausstiegs-Beratung“ beinhalten?
Bei der Zielplanung darf es keine Tabus geben. Auch die sogenannte „Null-Variante“, also die mögliche Betriebsaufgabe, wird auf Wunsch durchgerechnet. Wer dabei auf überregional tätige Beraterinnen oder Berater zurückgreifen möchte, sollte dies bei der ersten Kontaktaufnahme mitteilen.
Für wen ist die neue Potenzialanalyse besonders geeignet?
Unser Angebot richtet sich an alle Betriebe unabhängig von deren Produktionsschwerpunkt, die mehr Sicherheit im Tagesgeschäft und neue Impulse für ihre Entwicklung erhalten möchten.Darüber hinaus ist eine solche Analyse eine gute Basis für Strategiegespräche mit Steuerberatern, Banken, im Rahmen der Hofübergabe oder auch innerhalb der Familie.
Gute Arbeit kostet Geld, richtig?
Wir rechnen nach Aufwand im Rahmen der gültigen Gebührenordnung der Landwirtschaftskammer NRW ab. Je nach Vorarbeit und Struktur des Betriebes entstehen Kosten von etwa 2000 bis 3000 €.
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