Dieser Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift "f3 - farm, food, future" erschienen.
Es ist 7 Uhr morgens und noch dunkel. Matthias Kürten steht zwischen zwei Rinderhälften, die grob in Vorder- und Hinterviertel zerteilt sind. Kürten trägt weiße, wuchtige Metzgerstiefel, einen Fleischerkittel, Schürze und Kettenhandschuhe. Er schnappt sich die Säge und setzt am ersten Vorderviertel an, das von einer hellen Fettschicht umgeben ist. Langsam und gleichmäßig sägt er das Stück in zwei Teile. Den letzten Teil der Knochen trennt er mit beiden Händen durch. Es knackt. Wer glaubt, diese Szene spielt sich in einem großen Schlachthof ab, der irrt. Wir befinden uns auf einem kleinen Hof in Bergisch Gladbach. Mit einer 7 x 3m großen, mobilen Metzgerei liefert Kürten einen Gegenentwurf zur herkömmlichen Fleischindustrie. Er schlachtet und zerlegt die Tiere vor Ort. Genau da, wo sie gelebt haben.
Hohe Nachfrage
Matthias Kürten ist gelernter Metzger. Er kommt aus Wipperfürth im Bergischen Land. Ein großer, ruhiger Mann mit rheinischem Akzent und sanfter Stimme. Wer bei Metzgern an blutrünstige, grobschlächtige Männer mit einem ebenso derben Mundwerk denkt, liegt also falsch. So gelassen und routiniert, wie er auftritt, geht er an diesem Morgen auch an seine Arbeit. Der 41-Jährige ist seit mittlerweile 20 Jahren mit seinem mobilen Schlacht-, Zerlege- und Verarbeitungsbetrieb selbstständig. Kürten sagt, er ist der einzige Mobile Metzger in NRW. Er geht davon aus, dass er sogar der einzige in Deutschland ist.
Was damals in den 00er-Jahren als Nebenerwerb begann, ist heute ein Vollzeitgeschäft mit prall gefülltem Terminkalender. Zusammen mit seinen fünf Angestellten fährt der Metzger jährlich rund 350 Kunden im Umkreis von 100 bis 150 km um die Betriebsstätte in Wipperfürth an. Kürtens Fuhrpark umfasst einen Schlacht-LKW, einen Zerlege- sowie acht Kühlwagen.
Der Hof von Landwirt Michael Lucke, auf dem wir uns heute befinden, ist Kürten gut bekannt. Sein Mitarbeiter Lucian deckt die Plane vom Zerlegewagen ab. Landwirt Michael stellt Strom und Wasser zur Verfügung. Dann wird das erste Teilstück aus dem Kühlwagen geholt und nun weiter zerlegt. Der Arbeitstag begann für das Team schon um fünf. Kürten ist sechs Tage die Woche im Einsatz. Das ist angesichts der hohen Nachfrage nicht anders möglich, sagt er. „Wir sind bereits bis März nächsten Jahres voll ausgebucht.“ Ebenso wie der zunehmende Verbrauchertrend zum Kauf von regionalen Produkten nimmt auch der Wunsch nach einer regionalen und hofnahen Schlachtung zu. Diesen Trend erkannte Kürten schon zu Beginn seiner Laufbahn.
Ruhiger Umgang mit Tieren
Das Wohl der Tiere stand für Kürten immer an erster Stelle. Für ihn ist es kein Widerspruch, mit dieser Einstellung ausgerechnet Schlachter zu werden. Er wuchs auf dem kleinen Hof seiner Eltern mit Schweinen und Rindern auf. „Immer derselbe Mann kam zu uns auf den Hof und schlachtete dort die Tiere, ganz in Ruhe. Das beeindruckte mich“, erinnert sich der Metzgermeister.
Während seiner Ausbildung in den 80er Jahren hatte er wenig mit dem Schlachten zu tun. Ab und zu holten sie Fleisch aus einem größeren Schlachthof. Wie es dort zuging, erschreckte Kürten. „Für mich war klar: Nach der Ausbildung will ich nicht in einem so großen Schlachthof arbeiten“, erinnert sich der 41-Jährige. Mit 18 begann er, nebenbei Hausschlachtungen durchzuführen und meldete mit 20 ein Gewerbe an. Sein ruhiger Umgang mit den Tieren und sein Können als Metzger sprachen sich herum.
Kürtens Werdegang zeigt, wie sich die Branche verändert hat. Innerhalb einer Generation. Er wollte die „alte Art“ beibehalten. „Ich habe einen guten Beruf, den ich weitermachen will“, sagt er. In den 20 Jahren seiner Selbstständigkeit ist der Betrieb stetig gewachsen. „Ich habe jedes Jahr zwischen 80.000 und 100.000 € investiert, hier und da was dazu gekauft. Stillstand gab es eigentlich nie“, blickt der Metzger zurück.
Ablauf der Schlachtung
Zu Kürtens Aufgaben gehört neben dem Zerlegen natürlich auch das Töten der Tiere. Von Töten spricht er allerdings nie, sondern von „Totmachen“. Töten könne man nur Menschen. Ob er gerne Tiere „totmacht“, weiß er nicht. „Es ist vielleicht nicht meine liebste Arbeit. Aber wenn es gut funktioniert, macht es mir nichts aus“, gesteht er. Gut, damit meint er stressfrei und ohne Angst.
Vor genau zwölf Tagen war Kürten schon einmal mit seinem Schlacht-LKW hier auf dem Hof. „Wir schlachten neben Rindern auch Schafe, Schweine, Geflügel und gelegentlich Wild“, meint er. Geschlachtet werden zurzeit aber vornehmlich Rinder und Schafe.
Die Schlachtung erfolgt im Stall in der gewohnten Umgebung der Tiere. Der Landwirt sorgt dafür, dass das Tier im Stall fixiert wird und dass es möglichst ruhig ist. Geschlachtet wird stets unter Betäubung. Bei Rindern und Schafen passiert das mit einem Bolzenschuss in den Schädel, was zum Verlust des Bewusstseins führt. Unmittelbar danach werden die Tiere „gestochen“, damit sie ausbluten. Dieser Blutentzug, der meist durch die Durchtrennung der Hauptarterien in Herznähe erfolgt, führt zum Tod der Tiere. Schweine, Schafe und die übrigen Tierarten werden durch einen Stromstoß betäubt und daraufhin geschlachtet. Nach der Schlachtung werden die Tiere ausgeweidet und grob zerteilt. Die Teilstücke werden dann zur Reifung in den Kühlwagen gehängt.
Effiziente Fleischzerlegung
Nach der Schlachtung hängt das Fleisch für eine Zeit ab, um zu reifen. „Die Milchsäure zersetzt in der Zeit die Sehnen, dadurch wird das Fleisch zarter“, erklärt Matthias Kürten. „Den Zerlegewagen habe ich mir selbst umgebaut“, sagt Matthias Kürten, während er sich die Hände wäscht. Mit eingeübten Griffen zieht er ein sauberes Paar Handschuhe an, schärft noch einmal sein Messer nach und geht zur Bandsäge. Dann müssen wir uns kurz die Ohren zuhalten. Das schrille Geräusch der Säge beim Durchtrennen der Knochen scheint Kürten hingegen gewohnt zu sein.
„So einen mobilen Wagen kann man nicht fertig kaufen“, sagt er. Von Waschstelle, Wurstfüller, Fleischwolf über Spülmaschine, Vakuumiergerät und weiterem Handwerkzeug ist hier alles wichtige vorhanden. Der Zerlegewagen bietet Platz für drei Personen zum Arbeiten. Heute werden Steaks, Hackfleisch, Suppenfleisch, Gulasch und Bratenstücke gemacht.
Breite Produktpalette
Die Angebotspalette bei der Weiterverarbeitung reicht noch weiter. Von frischer Wurst, Konserven, Salami bis Fleischkäse stellt die mobile Metzgerei auf Wunsch alles her. „In diesem Jahr waren die geräucherten Pfefferbeißer der Renner“, sagt Kürten. Bei der Herstellung von Fleischwaren wahrt der mobile Metzger stets Tradition. So räuchert er in zwei Räucheröfen in seiner Betriebsstätte traditionell mit Buchen- und Kirschholz. Für die Wurst verwendet Kürten seine eigenen Gewürzmischungen. „Den Pfeffer mahlen wir selber. Der ist viel aromatischer als der weiße Pfeffer aus der Tüte“, meint er. Eine kleine Feldküche gehört zum Betriebsinventar und wird bei Bedarf mit auf die Höfe genommen, um etwa Fleisch- oder Leberwurst herzustellen.
Kürten ist teurer als die Konkurrenz. Sein Service muss entlohnt werden, sagt er selbstbewusst. Die Kosten variieren und hängen vor allem von den Wünschen der Kunden bei der Weiterverarbeitung ab. Für das „Komplettpaket“ von Schlachtung über Zerlegung, Verarbeitung und Verpackung eines Rindes fallen für den Kunden Kosten im mittleren bis oberen dreistelligen Bereich an.
Treuer Kundenstamm
Das ist Landwirt Lucke bereit zu zahlen. Bei einem Rundgang über den Hof zeigt er uns seine 20 Rinder, vier Milchkühe und 1.000 Hühner. Damit ist Lucke ein klassischer Kunde des mobilen Metzgers – die meisten betreiben Viehzucht in kleinem Umfang. „Von den 350 Betrieben halten nur zwei über 100 Tiere“, weiß er. Großbetriebe fährt der mobile Metzger kaum an. „Es gibt viele Schweinehalter, die 5.000 Schweine konventionell halten, und vorne im Garten 20 Stück ‚für schön‘. Die sollen wir dann schlachten – aber das machen wir nicht“, sagt er. Für den Überzeugungstäter zählt nur ganz oder gar nicht.
Landwirte wie Michael Lucke, der seit knapp zehn Jahren Kunde ist, ziehen Kürten der billigeren Alternative eines industriellen Schlachthofs vor. „Das Tier stirbt dort, wo es aufgewachsen ist, in vertrauter Umgebung. Kein Transport, kein unnötiger Stress. Besser geht es nicht“, sagt Lucke. Auch Kürten ist es sehr wichtig, dass das Tier nicht leidet. Schon bei der Auswahl seiner Kunden achtet er darauf. Wer ihn anfragt, wird erst mal besucht. Geht es den Tieren gut? Sind sie gesund und werden gut gehalten? All das ist für Kürten von Bedeutung, wenn er ein Tier schlachten soll.
Die Schlachtbranche
Die 2002 gegründete Metzgerei bildet den Gegenpol zur Schlachtbranche in Deutschland, die durch immer größere Skalenerträge gekennzeichnet ist. „Wir machen genau das Gegenteil“, reflektiert Kürten, „und es funktioniert wirklich gut.“
Für das schwindende Metzgerhandwerk zuverlässiges Personal zu finden, stellt den 41-Jährigen regelmäßig vor Herausforderungen. Oft arbeitet er mit ungelernten Kräften. „Das Metzgerhandwerk erlernt heute kaum noch jemand – im letzten Jahr haben nicht mal fünf Leute in Deutschland den Metzgermeister gemacht.“
Rechtlicher Rahmen: Matthias Kürten benötigt für seine mobile Schlachterei eine EU-Zertifizierung. Es müssen hohe Standards hinsichtlich Tierschutz, Dokumentation und Lebensmittelsicherheit eingehalten werden. Die Schlachtmethoden sind genau vorgegeben: Die Tiere müssen vor vermeidbaren Aufregungen, Schmerzen und Leiden verschont bleiben. Festgelegte Betäubungsmethoden sollen für hohe Tierschutzstandards sorgen. Zudem muss vor jeder Schlachtung die Lebendkörperbeschau durch einen Fleischbeschauer erfolgen. Nach jeder Schlachtung ist zudem eine Schlachtkörperuntersuchung verpflichtend. Lückenlose Dokumentationen für Lebensmittel tierischen Ursprungs sind Standard. Dazu gehören auch regelmäßige Besuche durch den Veterinär und Lebensmittelkontrolleure.