Wochenblatt: Herr Dr. Seufferlein, Einigkeit beim Berliner Milchforum: Die Milchpreise steigen 2021. Ist das Zweckoptimismus oder spricht der Markt wirklich für mehr Milchgeld?
Dr. Seufferlein: Diese Einigkeit war schon einmal ein Fortschritt zum milchpolitischen Frühschoppen im Januar, als die Verarbeiter noch keinen Spielraum für Preiserhöhungen gesehen haben. Ich beobachte jetzt ähnlich starke Impulse wie 2007 und 2013, der Markt gibt deutlich höhere Preise her. Nach drei Jahren sinkender Milchpreise ein doppeltes Muss, für Psyche und Geldbeutel. Viele Milchbauern wollen und können sonst nicht mehr!
Optimisten sehen im Herbst bereits Grundpreise von 40 Cent/kg. Ist das illusorisch?
Die 40 Cent im Herbst sind keine Illusion. Sie sind nicht vergleichbar mit Preisforderungen vor 15 Jahren, als das Weltmarktniveau um ein Drittel niedriger lag als in der EU. Und angesichts der Kostenentwicklung für Futtermittel und der ungebremsten Dynamik der Standards ist diese Marke mehr als notwendig. Und: Bei einer Molkerei in Bayern sind die 40 Cent/kg netto inklusive Zuschläge für Haltungsformen bereits gefallen – also erste Realität!
Etwa ein Drittel der deutschen Milch geht in den Lebensmittelhandel. Hier stehen entscheidende Kontraktverhandlungen an. Was erwarten Sie?
Den Milchpreis über drei Monate hinaus zu prognostizieren, ist unseriös, weil es nicht vorhersehbar ist. Zudem laufen die Kontraktverhandlungen für das Standardsegment gerade an. Aber so viel Rückenwind für die Verarbeiter war selten. Der aktuelle Butterkontrakt war schnell überholt, Blockbutter notiert höher als abgepackte Ware. Von diesem Sog auf der Fettseite müssen auch die gelbe und weiße Linie profitieren, also Käse sowie Trinkmilch. Trotz der jüngsten leichten Preissenkung spiegelt die internationale Handelsplattform für Milchprodukte Global Dairy Trade den boomenden Markt zwischen Ozeanien und Asien ab.
In den Export fließt die Hälfte der deutschen Milch. Wie sieht es im EU-Binnenmarkt aus?
Die Milcherzeugung in Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren eine Selbstversorgung von etwa 112 % erreicht. Die Spitze ist erreicht. In der EU wächst die Menge aber kontinuierlich, weltweit sogar stärker. Beim Absatz am EU-Binnenmarkt gibt es die ungewissen Folgen des weichen Brexits. Mit Sorge sehe ich die protektionistischen Züge einiger Länder.
Und im Drittland-Export?
Trotz der bekannten Schwierigkeiten wie Dauerkonflikt mit Russland, Corona-bedingte logistische Probleme nach Asien, mangelnde Kaufkraft durch lange niedrige Ölpreise oder auch dem starken Euro waren die Absatzzahlen für 2020 erfreulich stabil. Und nichts spricht gegen ein Ende.
Gleichzeitig muss Deutschland Milchprodukte einführen, um den Bedarf zu decken. Warum?
Der Gedanke fällt zwangsläufig auf Biomilch: 30 % des Bedarfs muss importiert werden, vornehmlich aus Österreich und Dänemark. Bio(milch) ist im Aufwind, politisch gewollt, des Handels Liebling. Es gibt ein vorbildliches Rohmilchmanagement zwischen Erzeugern sowie Verarbeitern und deshalb Wartelisten bei Milcherzeugern. Darüber hinaus keine Exportorientierung. Trotzdem sind die Vollkosten der Biomilcherzeuger massiv unterdeckt. Auch bei derzeit nur 4 % Biomilch legt der Handel das Preisniveau fest. Der Markt für Biomilch zeigt eindrucksvoll, dass das Milchpreisproblem mit einer einfachen Mengensteuerung nicht zu lösen ist!
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